Blickwinkel
Was bringen Schockbilder auf Zigarettenpackungen?
Seit Freitag müssen neu produzierte Zigarettenpackungen in Deutschland Schockbilder zeigen. Doch bremsen solche Fotos tatsächlich die Lust auf das Laster? Zwei Blickwinkel
Die Frage nach dem Sinn von Schockbildern wird damit zu einer Frage des Menschenbildes. Während der Konsument in der Tradition der Marketingkommunikation – und inzwischen auch von der Verbraucherschutzpolitik – als Mängelwesen gesehen wird, dessen natürliche Defizite durch staatliche Institutionen kompensiert werden müssen, verklären ihn Vertreter der Industrie gern zum homo oeconomicus, dem kompetenten und strikt rationalen Nutzenmaximierer. In unserem Forschungsprogramm „Restriktionen von Markenkommunikation zwischen Werbestrategie und Konsumentensouveränität“ zeigte sich dagegen, dass gerade jüngere Verbraucher heute entsprechende Intentionen blitzschnell durchschauen. Das trifft insbesondere für Schockbilder als „Werbung gegen die Werbung“ zu, die bei den Probanden starke Abwehrreaktionen auslösten. Darüber hinaus waren weitere nicht-intendierte Effekte, zum Beispiel Aneignungspraktiken wie die Gestaltung eigener Aufkleber oder Etuis, zu beobachten. So liefert die Studie weitere Indizien dafür, dass den in Wirtschaft und Politik dominierenden Leitbildern des souveränen beziehungsweise naiven Konsumenten ein neues, drittes Bild gegenüberzustellen ist – das Bild des aktiven Konsumenten.
Auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Verbraucherverständnis ist also festzuhalten, dass Konsumenten weitaus aktiver, gewiefter und subversiver mit den Überzeugungsversuchen beider Seiten umgehen können, als ihnen gemeinhin unterstellt wird. Sie werden auch in Zukunft dem Paradox eines Genussmittels, das vor sich selbst warnt, mit kreativem Ungehorsam begegnen
Studien aus Ländern wie Australien oder Großbritannien, die bildliche Warnhinweise auf Zigarettenschachteln verwenden, zeigen, dass Raucher dort besser über die gesundheitlichen Folgen des Rauchens Bescheid wissen als Raucher in Ländern, die rein textliche Warnhinweise einsetzen. Bei Rauchern, die mit klinischen Bildern konfrontiert werden, steigen die Motivation zum Rauchstopp und die Zahl der Rauchstoppversuche deutlich an. Erfolgreiche Exraucher berichten, dass sie durch die Bilder auf ihrem Weg zum stabilen Nichtraucher unterstützt werden; die Bilder sind also eine erfolgreiche Rückfallprophylaxe.
Jugendliche in Ländern mit bildlichen Warnhinweisen sehen diese als wichtige Informationsquelle an und empfinden das Rauchen als deutlich weniger attraktiv. Jugendliche, die bereits rauchen oder mit dem Rauchen experimentieren, rauchen aufgrund der Bilder weniger und denken häufiger ans Aufhören.
Und zu guter Letzt: Bereits in den 1990er Jahren wies das Bundesverfassungsgericht eine Klage der Tabakindustrie über das Aufbringen der damals neu eingeführten textlichen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen zurück und stellte im Urteil vom 22. Januar 1997 fest, dass „die Warnung vor diesen Gesundheitsgefahren (...) zu den legitimen Aufgaben des Staates“ gehöre: „Die Warnungen sind geeignet, den Verbraucher zumindest von einem bedenkenlosen Konsum von Tabak abzuhalten.“ Diese Feststellung des höchsten deutschen Gerichts trifft noch auf ein Vielfaches mehr für die bildlichen Warnhinweise zu: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
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