Portrait
Von Garching nach Hawaii
Günther Hasinger ist Direktor für den Bereich Wissenschaft bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Seine Begeisterung für Astronomie hat ihren Anfang in der Sternwarte München genommen – und ihn durch die ganze Welt geführt.
Es sind Momente wie jener im vergangenen Oktober, die Günther Hasinger sehr glücklich machen. Damals reiste er nach Südamerika, in die Kleinstadt Kourou in Französisch-Guayana, wo die Europäische Weltraumorganisation ESA ihre Abschussbasis unterhält. Im verschwitzten Hemd stand er neben den Kollegen, strahlte übers ganze Gesicht und konnte kaum erwarten, dass er endlich eingeläutet werde: der Raketenstart der BepiColombo-Mission. Alleine der Schall, der einem auf die Lungen drücke, sei überwältigend, sagt er: „Alles um uns herum bebte, obwohl wir zehn Kilometer entfernt standen.“ Noch irrer sei nur, wenn man sich überlege, wohin die Sonde aufgebrochen sei. Zum Merkur, dem Planeten, der am dichtesten um die Sonne kreist. Sieben Jahre dauert die Reise. Neun Milliarden Kilometer muss der Satellit zurücklegen. Angetrieben mit Energie aus Sonnensegeln. Das ist nicht weniger als eine Sensation, sagt der 65-Jährige.
Seit Ende 2017 ist Günther Hasinger Direktor für Wissenschaft bei der ESA. Vom Raumfahrtzentrum vor den Toren Madrids aus koordiniert er die Forschungsprojekte von 500 Mitarbeitern. Mehr als 20 Missionen befinden sich derzeit in der aktiven Phase, von der ersten europäischen Marssonde über das Röntgen-Observatorium XMM-Newton bis zur Sonde Gaia, die auf ihrem Weg durchs All fast zwei Milliarden Sterne präzise vermessen soll.
"Snacks" für schwarze Löcher
Hasingers eigenes Spezialgebiet ist die Röntgenastronomie. Im Laufe der Karriere baute er an etlichen Röntgensatelliten mit und wertete deren Daten aus, oder mit eigenen Worten: „Meine größte Leistung war, dass ich mit diesen Satelliten sehr, sehr lange auf irgendwelche leeren Flecken am Himmel geschaut und dabei tausende schwarzer Löcher entdeckt habe.“ Mitte der 1990er Jahre wurde er Direktor am Leibniz-Institut für Astrophysik der Universität Potsdam, später wechselte er an das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, dann weiter an das für Plasmaphysik.
Ab 2011 leitete Hasinger das Institut für Astronomie der Universität Hawaii. Dort entdeckten seine Mitarbeiter ein seltsam zigarrenförmiges, rund 400 Meter langes Objekt im All, das sie „Oumuamua“ tauften. Bald wurde weltweit über das Objekt berichtet. Bis heute ist unklar, um was genau es sich handelt. Hasinger tippt auf einen Kometen aus festem Fels, und er grinst, wenn ihn jemand fragt, ob es nicht auch ein Raumschiff von Aliens sein könnte. „Bisschen Rumspinnen finde ich nicht schlimm“, sagt er. Seine Geduld verliere er nur, wenn er Leuten begegnet, die ernsthaft behaupten, die Welt sei eine Scheibe. Leider nehme die Zahl der Unbelehrbaren aktuell sogar zu: „Mit Vernunft und Argumenten kommt man diesen Menschen nicht bei. Da fasst man sich an den Kopf.“
Er sagt, eine seiner wichtigsten Aufgaben bestehe darin, seine Begeisterung für das Weltall nicht für sich zu behalten. Also andere anzustecken oder sie zumindest ahnen zu lassen, wie wichtig Grundlagenforschung ist. Deshalb benutzt er in seinen Vorträgen oft anschauliche Bilder. Er erzählt, dass es am Merkur für BepiColombo so heiß werde „wie in einem Pizzaofen“ und dass die Raumsonde Gaia nun mal „das Arbeitspferd“ der ESA sei. Um zu verdeutlichen, wie gefräßig schwarze Löcher sein können, hat er sich eine launige Metapher zurechtgelegt: „Manche von denen verschlingen einmal am Tag einen ganzen Berg – so einfach als Snack.“ Wenn er die bringt, muss er selbst jedes Mal schmunzeln.
Ein bisschen Rampensau, sagt er, habe wohl schon immer in ihm gesteckt. Hasinger wuchs in Oberammergau auf, dem kleinen Ort in Oberbayern, dessen Bewohner alle zehn Jahre zu Laiendarstellern werden und bei den berühmten Passionsspielen die letzten Tage im Leben Jesu auf die Freiluftbühne bringen. Bereits als Sechsjähriger jubelte er so als Statist Jesus zu, wie der auf seinem Esel in Jerusalem einritt. Später am Tag durfte er, im Beisein von Pontius Pilatus, laut „Kreuzigt ihn, kreuzigt ihn“ rufen.
Als Oberschüler hat Hasinger in einer Rockband gespielt. „Saffran“ nannten sie sich. Experimenteller Krautrock von fünf jungen, langhaarigen Männern, Hasinger übernahm den Bass und manchmal die Querflöte. Sie gehörten damals zu den drei, vier angesagtesten Bands im Münchner Raum. Sogar die „Bravo“ berichtete. Weil Hasinger schon immer technikverrückt war, durfte er bei „Saffran“ alle kaputten Kabel löten und die Röhren in den Verstärkern austauschen. Als die Band ihr erstes Album aufnahm, verbrachte er so viel Zeit im Studio, dass er ganz vergaß, sich um einen Studienplatz zu bemühen. Irgendwann rief seine Mutter an, die Angst hatte, das Kindergeld zu verlieren. „Da bin ich dann doch zur Uni, und das einzige Fach, wo ich mit meinem Abischnitt gleich loslegen konnte, war halt Physik.“
Die Liebe zu den Sternen war ein kleines bisschen größer als die zur Musik
In den Semesterferien absolvierte er ein Praktikum in der Sternwarte München. Weil sich alle Kollegen dort gerade im Urlaub befanden, war er eines Tages der einzige, der eine seltene Sternengeburt, die Nova Cygni 1978, beobachten konnte. Da setzte augenblicklich seine Begeisterung für Astronomie ein. Er tüftelte am Spektrografen herum und verbesserte Stück für Stück die Sicht, sodass er die Spuren der Nova noch Wochen später am Himmel beobachten konnte. So lange, bis irgendwann das Oktoberfest begann und die Lichter der Fahrgeschäfte und Buden den Himmel verdeckten. Von da an ging es nicht mehr ohne das All.
Nervt seine Dauerbegeisterung heute manchmal, zum Beispiel seine Frau? „Wir haben uns mit den Jahren einen gesunden Modus angewöhnt“, sagt Hasinger. Bedeutet: Zuhause bemüht er sich, nicht zu viel Raumfahrt im Kopf zu haben. Stattdessen gehen sie häufig in Museen, in Madrid haben sie sich eine Jahreskarte gekauft, jedes Wochenende erkunden sie eine andere Ausstellung. Am liebsten ist ihnen das Museo del Prado, das berühmte Kunstmuseum mit seinen spanischen Meistern.
Zu seinen alten Kollegen von Saffran, der Rockband, hält Hasinger noch immer Kontakt. Einer wurde Jazzmusiker und tourt durch die Clubs. Ein anderer spielte lange für Roy Black, wurde dann Alleinunterhalter auf einem Kreuzfahrtschiff. Hasinger sagt, er habe die Musik geliebt, aber die Planeten und Satelliten und seine Forschung liebe er womöglich noch ein kleines bisschen mehr. Ende diesen Jahres, nach seiner Gutachtertätigkeit bei Helmholtz, will er wieder nach Kourou in Französisch-Guayana. Mit „Cheops“ soll dann der nächste ESA-Satellit ins All geschossen werden. Der Termin ist auf den 17. Dezember festgelegt. Kurz vorher wird die Ministerratskonferenz in Sevilla das neue Budget für die ESA beschließen. Der Bereich Wissenschaft habe bei der ESA in den vergangenen 15 Jahren leider „ein bisschen ein Schattendasein geführt“, weil in der öffentlichen Diskussion meist andere Themen im Vordergrund gestanden hätten, sagt Hasinger. 530 Millionen Euro im Jahr bekommt der Wissenschaftsbereich der ESA, ein knappes Zehntel des gesamten Budgets. Hasinger will das steigern.
Es gibt noch so viele Geheimnisse da draußen, sagt er. Eines, dass er unbedingt bald gelüftet sehen will: ob die Theorie stimmt, dass schwarze Löcher in Wahrheit dunkle Materie sind. „Über beide wissen wir wenig, das wären zwei Fliegen mit einer Klappe“ Wie toll wäre es, wenn er das noch erleben dürfte.
In absehbarer Zeit wollen seine Frau und er ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlagern. Einer der zwei Söhne lebt hier, forscht als Biotechniker in einem Start-up zu Frühdiagnosen bei Prostatakrebs. Die Enkeltochter ist viereinhalb, und Hasinger sagt, ein klein wenig habe er sie schon für das Weltall begeistern können. „Gerade fragt sie sich, warum man nachts die Sterne braucht, wenn man doch das Licht anschalten kann.“
Strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme
Im Herbst 2019 beginnt die strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme. Der Forschungsbereich Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr macht den Anfang.Günter Hasinger gehört zu dem hochkarätig besetzen Gremium aus internationalen, unabhängigen Wissenschaftlern, die die Programme unter die Lupe nehmen. Die Gutachter prüfen, ob die Forschungsprogramme richtig aufgestellt sind, und erarbeiten Empfehlungen für die Neuausrichtung der Helmholtz-Programme in den kommenden Jahren.
Die strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme
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