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Portrait

Voller Tatendrang ins nächste Abenteuer

Ana Zenclussen leitet das Department Umweltimmunologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig. Bild: Universität Leipzig/Swen Reichold

Von Santa Fe nach Berlin, von der DAAD-Stipendiatin zur Abteilungsleiterin am UFZ: Für ihre Forschung zur Schwangerschaftsimmunologie scheut die gebürtige Argentinierin Ana Zenclussen keine Herausforderung. Die Frage, wie Kinder gesund zur Welt kommen und gesund bleiben können, treibt sie dabei an.

Es war dieser eine Brief, der das Leben von Ana Zenclussen auf den Kopf stellte. Die junge Immunologin arbeitete gerade daheim in Argentinien an ihrer Promotion, der experimentelle Teil war bereits abgeschlossen, als sie sich für ein DAAD-Stipendium bewarb. Sechs Monate an der Charité in Berlin, für Ana Zenclussen ging es um die Erfüllung eines Traums. Es war das Jahr 2000, als sie den Brief mit ihren Bewerbungsunterlagen einwarf, und kurz darauf bekam die angehende Forscherin die Nachricht, dass es klappt mit dem halben Jahr in Deutschland. Aus den sechs Monaten sind inzwischen 20 Jahre geworden und aus der Doktorandin die Leiterin des Departments Umweltimmunologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig.

In gewisser Weise war der Schritt nach Europa für sie eine Reise zurück in die Familiengeschichte: „Die Familie meines Vaters ist aus der Schweiz nach Argentinien ausgewandert, das erklärt meinen Nachnamen. Und auch die Familie mütterlicherseits hat europäische Wurzeln – aber Deutsch haben wir zu Hause nie gesprochen“, sagt Ana Zenclussen. Ihr Interesse war trotzdem groß: Als Kind stürzte sie sich auf die deutsche Sprache, als Jugendliche arbeitete sie bereits als Aushilfslehrerin für Deutsch. Und als sie dann ihr Studium der Biochemie begann, entschied sie sich für die Universität in Santa Fe unweit ihres Heimatorts – ein Umstand, der für ihre Erfolge in Deutschland später noch eine wichtige Rolle spielen sollte.

Bild: UFZ/André Künzelmann

Während ihres Studiums beschäftigte sie sich erstmals mit der Plazenta, in der Promotion konzentrierte sie sich ganz auf die Schwangerschaftsimmunologie – und auf ein Paradigma, das damals als unumstößlich galt: Der Fötus im Mutterleib werde von der Mutter immunologisch ignoriert; die Plazenta sei eine starre Barriere, die dafür sorge, dass der Fötus ähnlich wie ein künstliches Transplantat immunologisch neutral ist und deshalb nicht abgestoßen werde. Peter Medawar hatte diese Theorie aufgestellt, 1960 bekam er den Nobelpreis. „Ich habe mir gedacht: Das kann heute einfach nicht sein“, erinnert sich Ana Zenclussen: „Ein Transplantat ist hochgradig künstlich, ein Produkt der modernen Medizin – und die menschliche Schwangerschaft existiert schon, seit es Menschen gibt. Dieser Vergleich kann einfach nicht mehr stimmen. Aber andererseits: Der Mann hat den Nobelpreis dafür bekommen.“

Es war diese Frage, die sie anspornte: Kann sie als damals unbekannte Immunologin aus Argentinien diese Theorie weiterentwickeln, kann sie die Forschung auf diesem Feld voranbringen? Nach ihrem halben DAAD-Stipendiumsjahr in Deutschland kehrte Ana Zenclussen nach Lateinamerika zurück, beendete die Promotion – und ging dann gleich wieder nach Deutschland, wo sie an der Charité weiterforschte und habilitierte, zunächst als Alexander-von-Humboldt Stipendiatin und danach mit einer eigenen Arbeitsgruppe. Es gelang ihr, was niemand für möglich hielt: „Wir haben gezeigt, dass der Fötus Strukturen hat, die das Immunsystem der Mutter aktivieren können. Regulatorische T-Zellen der Mutter schützen aber den Fötus, damit er überleben kann, und der Fötus ist dabei aktiv involviert“, erläutert sie. Für einen Paradigmenwechsel in der Immunologie sorgte diese Entdeckung, auf die Ana Zenclussen bis heute stolz ist.

„Ich habe nun einmal eine Schwäche für neue Themen.“

2007 wurde sie an die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg berufen und leitete die Abteilung für Experimentelle Gynäkologie und Geburtshilfe. Es folgte eine turbulente Zeit: Sie brachte ihre beiden eigenen Kinder zur Welt, die heute 11 und 13 Jahre alt sind; sie nahm zusätzlich zur argentinischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft an – und sie bekam einen Anruf aus Argentinien von einem früheren Kommilitonen, der mit ihr an der Universität in Santa Fe studiert hatte. „Er arbeitete inzwischen im großen argentinischen Umweltforschungszentrum und hatte immer verfolgt, woran ich arbeite. Und jetzt frage er mich also: Hast du nicht Lust, mit mir zusammenzuarbeiten?“

Ihm schwebte eine Studie vor, wie Weichmacher beispielsweise aus Kunststoffen hormonelle Prozesse in der Schwangerschaft beeinflussen. „Das war zwar weit weg von meiner bisherigen Arbeit“, sagt Ana Zenclussen, „aber ich habe nun einmal eine Schwäche für neue Themen.“ Die neu entstandene argentinisch-deutsche Arbeitsgruppe machte sich also an die Arbeit und kam zu Ergebnissen, die für Schlagzeilen sorgten: „Wir fanden eindeutige Hinweise darauf, dass der Weichmacher Bisphenol-A Föten in ihrem Wachstum einschränkt“, erklärt die Immunologin.

Dass sich Ana Zenclussen durch diese Arbeit inhaltlich breiter aufstellte, half ihr einige Jahre später, als am UFZ in Leipzig eine neue Leitung für das Department Umweltimmunologie gesucht wurde: Die Aufgabe ist ihr wie auf den Leib geschnitten. Seit wenigen Monaten ist sie jetzt in Leipzig, und sie hat große Pläne für ihre Abteilung, zu der 28 Mitarbeiter gehören: Das Team will untersuchen, wie Umweltchemikalien in Schwangerschaft und Stillzeit langfristig die Kindesgesundheit beeinflussen. Was passiert beispielsweise, wenn schwangere Frauen Kontakt mit Umweltchemikalien haben? Wie beeinflussen sie die Immunreaktion der Mutter? Welche langfristigen Folgen haben sie für den Fötus und dann später für Kinder und Jugendliche? Diese sind nur einige der Fragen, die im Department Umweltimmunologie beantwortet werden sollen.

Ana Zenclussen will dazu auf laufende Kohortenstudien zurückgreifen und eine neue, maßgeschneiderte Kohortenstudie auflegen. Das sind Studien, die den Zusammenhang zwischen dem Kontakt mit einer Substanz und dem Auftreten von Krankheiten in größeren Bevölkerungsgruppen untersuchen. „Dazu braucht man gute Kooperationspartner, und Leipzig hat genau dafür eine großartige Infrastruktur. Das Ökosystem an Forschungseinrichtungen hier ist ein wahrer Schatz, vom Max-Planck-Institut über das hiesige Kompetenzzentrum des Robert-Koch-Instituts bis hin zur Uniklinik“, sagt sie.

Der erste Schritt indes, den sie sich für ihre neue Stelle vorgenommen hat, ist weitaus einfacher: „Ich muss mir jetzt nach dem Umzug erstmal einen Kittel organisieren, damit ich wieder im Labor arbeiten kann – da bin ich bislang schlicht noch nicht dazu gekommen“, sagt sie, und ihr Lachen klingt nach Tatendrang.

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