Kommentar
Urteil zu Genome Editing ist bedenklich
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Ende Juli letzten Jahres sollen Nutzpflanzen, die durch die Genomschere CRISPR/Cas9 und ähnliche Werkzeugen verändert werden, wie klassische gentechnisch veränderte Pflanzen reguliert werden. Ein Kommentar von Ulrich Schurr
Die wachsende Weltbevölkerung und der Klimawandel werden die Anforderungen an eine nachhaltige Landwirtschaft und damit auch an die Züchtung von Pflanzen mit hohem Ertrag, besserer Qualität und Toleranz gegen Krankheiten, Trockenheit und Hitze weiter erhöhen. Trotzdem schränken wir gerade jetzt in Europa die Nutzung neuer Technologien ein, welche die Züchtung solcher Nutzpflanzen beschleunigen könnte.
Die Züchtung(-sforschung) hat in erster Linie die Aufgabe, Pflanzen mit neuen Eigenschaften auszustatten, um so verbesserte Sorten zu erhalten. Hierzu gehören beispielsweise Resistenzen, die Qualität oder verbesserte Aussaat- oder Ertragseigenschaften. Gerade hier liegt ein eklatanter Vorteil von Methoden wie dem Genome Editing: Traditionelle Mutagenesemethoden oder auch Einkreuzungen erzeugen ungerichtete und viele Änderungen im Erbgut. Die ungewünschten Eigenschaften muss der Züchter erst wieder aufwendig aus dem Genom eliminieren.
Warum soll eine ungerichtete Methode mit vielen Mutationen per se sicherer sein als ein Verfahren, das gezielt wenige Veränderungen erzeugt? Das EuGH-Urteil hat nun einer gezielteren Technologie ein höheres Risiko als traditionellen Verfahren zugewiesen, mit dem Argument, dass diese „seit Langem angewandt werden“. Auf diese Weise verlagert Europa die Aufgabe, eine neue Methode in der Praxis zu erproben, in andere Länder – mit allen möglichen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Auch ethisch ist dieses Vorgehen zumindest fragwürdig. In anderen Ländern wie beispielsweise Kanada wird die Regulierung neuer Technologien übrigens völlig anders gehandhabt: Hier muss nachgewiesen werden, dass von neuen Produkten – in diesem Fall also Pflanzen auf dem Feld – keine Gefahr ausgeht. Letzteres erscheint ein viel logischerer Ansatz.
Sehr bedenklich ist zudem, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht berücksichtigt werden, die zeigen, dass bei richtiger Anwendung kein erhöhtes Risiko vorhanden ist. Die Nichtberücksichtigung wissenschaftlicher Evidenzen entwickelt sich zu einem verbreiteren Phänomen. Zur Klarstellung: Diese Kritik richtet sich nicht primär an den EuGH, sondern vielmehr an den gesellschaftlichen und politischen Dialog.
Klar ist: Es ist dem Genom einer Pflanze nicht unbedingt anzusehen, ob und wie es verändert wurde. Produkte aus Pflanzen, die unter Zuhilfenahme von Genome Editing hergestellt wurden, werden auch zukünftig außerhalb Europas entwickelt und nach Europa eingeführt. Wie aber kann man die Regulierung für genetisch identisches Material praktisch durchführen? Das kann nur über hohe Auflagen bei der Deregulierung und komplexe Nachweispflichten bei Züchtern und Agrarindustrie funktionieren. Dieser Aufwand wird so hoch sein, dass sich nur große Konzerne die Deregulierung leisten können.
Was ist nun aber die Konsequenz? Die Politik hat in den vergangenen Jahren die Verantwortung an Gerichte abgegeben. Es wird Zeit, dass in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs Risiken und Chancen auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Herausforderungen bewertet werden. Die Wissenschaft muss – nicht nur hier – bereit sein, sich intensiver in den Dialog einzubringen, kritisch zu fragen und sich kritischen Fragen zu stellen. Die neuen Techniken bieten neue Potenziale – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn Gesellschaft und Politik zu Recht verlangen, dass Wissenschaft Beiträge für große gesellschaftliche Herausforderungen bereitstellt, müssen wir als Gesellschaft auch bereit sein, uns ernsthaft mit diesen Technologien zu beschäftigen.
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