5 Fragen an…Ahmad Aziz
„Unser Gehirn bestimmt alles, was uns zum Menschen macht“
Herr Aziz, Sie haben einen ERC Starting Grant in Höhe von knapp 1,5 Millionen Euro für Ihre Forschung über die Auswirkungen von „Tandem Repeats“ und „genomischer Instabilität“ auf das Gehirn erhalten. Was kann man sich darunter vorstellen?
Genomische Instabilität bedeutet einfach, dass unser Erbgut nicht konstant ist. Es kann sich im Laufe des Lebens ändern. Mutationen treten dabei nicht nur während der Zellteilung auf, sondern auch in somatischen Zellen also in solchen, die schon erwachsen sind. Also zum Beispiel in Nervenzellen, den Neuronen. Meine Hypothese ist: Die Änderungen in der DNA, die sich im Laufe des Lebens aufbauen, können letztendlich zu neuronaler Dysfunktion und Degeneration führen. Hier kommen die Tandem Repeats ins Spiel. So nennen wir Wiederholungen von bestimmten Mustern in der DNA. Folgen zum Beispiel die drei Basen Cytosin, Adenin und Guanin vier Mal aufeinander, wäre der Tandem Repeat CAG, CAG, CAG, CAG. Je öfter sich die Gruppen wiederholen, umso instabiler wird das Genom im Vergleich zu anderen Bereichen der DNA. Es gibt zum Beispiel ein Gen, das ursachlich mit der Huntigton-Erkrankung in Verbindung steht. Bei dieser werden Bereiche im Gehirn zerstört, die sowohl für die Muskelsteuerung als auch für das Gedächtnis eine wichtige Rolle spielen. Treten Tandem Repeats mit einer Länge von 36 oder mehr Wiederholungen in diesem Gen auf, steigt die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung. Ein wichtiger Punkt meines Projektes ist es nun, in Daten aus der Allgemeinbevölkerung und verschiedenen Patientenkohorten nach Anhaltspunkten für meine Hypothese zu suchen. Ich will also wissen, ob die genomische Instabilität tatsächlich eine Ursache für den Tod von Neuronen ist.
Das klingt nach einer großen Herausforderung. Wie gehen Sie dabei vor?
Die Herausforderung ist tatsächlich groß. Deshalb gehe ich in meinem Projekt multidisziplinär vor. Mein Team und ich kombinieren epidemiologische, klinische und Grundlagenforschung. Im ersten Teil bestimmen wir die genomische Instabilität in der DNA von Blutzellen. Dazu nutzen wir Blutproben, die für die Rheinland Studie des DZNE gesammelt wurden. In Vorbereitung auf das Projekt habe ich bereits Pilotierungsstudien betrieben und festgestellt, dass wir auch in sehr wenig DNA die Tandem Repeats zuverlässig bestimmen können. Parallel zur Untersuchung der Blutzellen bestimmen wir auch die genomische Instabilität in der DNA von Neuronen. Das ist deshalb möglich, weil Nervenzellen wie viele andere Zellen auch extrazelluläre Vesikel ins Blut abgeben. Das sind winzige Bläschen, die Proteine, RNA und auch DNA der Zelle enthalten. Wir bekommen also mit der Blutprobe direkten Zugriff auf das Erbgut der Nervenzellen. Kennen wir die genomische Instabilität der Probanden, vergleichen wir sie mit dem Grad der Schädigung ihrer Nervenzellen. Diesen können wir ebenfalls aus den Blutproben ablesen, nämlich anhand der NfL-Konzentration. Das steht für Neurofilament light chain und ist ein Protein, dessen Konzentration im Blut bei Nervenschäden ansteigt. Zudem werden wir MRT-Scans des Gehirns nutzen, um die Auswirkungen der genomischen Instabilität auf die Hirnsubstanz zu erforschen. Das sind die epidemiologischen Populationsstudien. Dazu kommen als zweiter Teil die klinischen Studien. Hier nutzen wir die Daten von Patienten mit Erkrankungen, die von langen Tandem Repeats ausgelöst werden. Das betrifft z.B. die Huntigton-Erkrankung und verschiedene spinozerebelläre Ataxien. Hier wird neben Blutproben und MRT-Scans des Gehirns auch die Krankengeschichte über das Fortschreiten des Leidens in Betracht gezogen. Wir wollen aber nicht nur untersuchen, ob es zwischen Tandem Repeats und neurodegenerativen Erkrankungen einen Zusammenhang gibt, sondern auch wie genau die Instabilität zu Nervenschäden führt. Deshalb gehen wir im dritten Teil des Projektes in die Tiefe. Dazu experimentieren wir im Labor mit Neuronen, die wir aus Stammzellen gewinnen.
Die Ursachen von neurodegenerativen Erkrankungen zu ergründen, ist ein ehrgeiziges Ziel. Wie sind Sie eigentlich zur Neurologie gekommen?
Ich habe in den Niederlanden Humanmedizin studiert und dann noch zwei Ausbildungen absolviert. Eine als Neurologe und eine als Epidemiologe. Einer meiner Mentoren hat es einmal in einem Buch auf den Punkt gebracht: Wir sind unser Gehirn. Und genau das hat mich schon immer sehr begeistert. Unser Gehirn bestimmt unser Verhalten. Unser Gehirn bestimmt unsere Emotionen. Unser Gehirn bestimmt eigentlich alles, was uns zum Menschen macht. Doch warum funktioniert es bei manchen plötzlich nicht mehr richtig? Wie kann das passieren? Wodurch wird das verursacht? Das sind wichtige Fragen. Sie müssen wissen, dass ich immer noch auch als Facharzt für Neurologie in der Klinik arbeite. Und ein Großteil meiner Motivation kommt daher, dass ich den Patienten mit neurologischen und neurodegenerativen Erkrankungen helfen will. Denn im Moment hat die Medizin ihnen sehr wenig zu bieten. Wir können die Symptome unterdrücken. Aber wir können die Krankheiten weder heilen noch ihre Progression hemmen. Und das ist eine Sache, die ich gerne ändern möchte.
Mit dem ERC Starting Grant haben Sie ja nun die Mittel, diesem Ziel ein gutes Stück näher zu kommen. Was würden Sie anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern raten, die sich auf die Förderung bewerben wollen?
Man darf auf jeden Fall nicht aufgeben. Für mein Projekt habe ich bei anderen Förderprogrammen bereits zwei oder drei Ablehnungen erhalten – die letzte im vergangenen Jahr von der DFG. Aber dadurch darf man sich nicht entmutigen lassen. Man muss persistent bleiben; muss seinen Antrag verbessern; und wieder verbessern; und es erneut versuchen. Obwohl ich das Thema schon für die vorangegangenen Anträge intensiv vorbereitet hatte, habe ich diesmal weitere zwei Monate an Vorbereitungszeit hineingesteckt. Und als der erste Schritt geschafft war, stand ja das Panelinterview vor der Tür. Ich habe viel dafür geübt. Zum Glück gibt es hier einige Wissenschaftler, die bereits ein ERC Grant gewinnen konnten. Von denen habe ich mir Tipps geholt. Und ich habe bestimmt fünf oder sechs Mock-Interviews mit ihnen geführt, um gut vorbereitet zu sein. Und trotzdem ist immer auch eine große Portion Glück notwendig. Denn die Chancen stehen ja bei nicht einmal 10 Prozent.
Was bedeutet die Förderung für Sie persönlich?
Es ist wunderbar, dass das passiert ist. Ich war total begeistert, dass ich das geschafft hatte. Angesichts der Chancen eben auch mit einer Menge Glück. Ich denke, der Grant ist ein sehr großer Antrieb, eine wichtige Weiche für meine Karriere. Man wird auf einmal sehr sichtbar. Ich habe auch Angebote von anderen Instituten und anderen Universitäten bekommen. Und das hätte ich nicht gedacht. Wie Sie sicher wissen, ist es heute in der Forschung sehr schwer, eine feste Anstellung zu bekommen. So ein großer Grant eröffnet da ganz neue Perspektiven für die Zukunft. Aber ich möchte trotzdem hier am DZNE bleiben, vor allem wegen der hochwertigen Infrastruktur und der sehr guten Zusammenarbeit mit den Kollegen. Der Karriereschub ist aber nur die eine Seite. Die andere ist praktischer Natur. Denn es geht um eine Menge Geld. Und das ermöglicht es mir eine viel tiefergreifendere Forschung, sodass ich meinen Zielen nun tatsächlich näherkommen kann.
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