Interview
Was kann Googles neuer Quantenprozessor?
Der Quantencomputer gilt als vielversprechende Zukunftstechnologie. Der Internetkonzern Google hat nun einen neuen Prototyp vorgestellt. Er hat das Potenzial zum Meilenstein, meint David DiVincenzo vom Forschungszentrum Jülich.
Google präsentierte kürzlich einen Quantenprozessor mit 72 Qubits, den elementaren Recheneinheiten eines Quantencomputers. Das ist ein neuer Rekord. Wie kann man sich diesen Chip vorstellen?
Google setzt auf sogenannte supraleitende Qubits, also auf Recheneinheiten, die bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt arbeiten. Und soweit ich weiß, handelt es sich beim neuen Prozessor um eine direkte Weiterentwicklung jenes 9-Qubit-Chips, den Google bereits vor drei Jahren präsentiert hatte. Also eine recht konservative Strategie.
Die bisherigen Quantencomputer-Prototypen hatten deutlich weniger Qubits, so um die 16 bis 20. Was ist der Mehrwert, den der neue Prozessor mit seinen 72 Qubits bringen könnte?
Im Moment haben wir eine Schwelle bei etwa 45 Qubits, bei denen ein Quantencomputer noch keinen Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Rechner bringt. Denn alle Berechnungen, die mit 45 Qubits oder weniger möglich sind, lassen sich heute auch mit einem Supercomputer erledigen. Allerdings verdoppelt sich mit jedem zusätzlichen Qubit die Rechenkomplexität. Deshalb dürfte es ziemlich schwierig werden, ein System mit 72 Qubits mit einem Supercomputer zu simulieren.
Also ist der neue Google-Prototyp ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Quantencomputer?
Möglicherweise ja. Denn damit wäre erstmals bewiesen, dass ein Quantencomputer den herkömmlichen Rechnern tatsächlich überlegen ist, zumindest bei bestimmten Rechenoperationen. Das bedeutet aber noch nicht, dass so ein Chip mit 72 Qubits schon irgendeinen Nutzen für die Wirtschaft hätte.
Hat Google diesen Beweis der Überlegenheit denn schon erbracht?
Ich denke nein, offensichtlich funktioniert der Prototyp noch nicht so wie gewünscht. Eigentlich hatte Google ihn schon für Ende 2017 angekündigt, hat diesen Termin aber nicht halten können. Und zwischen den Zeilen ist zu lesen, dass nicht alle 72 Qubits gleich gut funktionieren. Es scheint noch irgendwelche Hardwareprobleme zu geben, die verhindern, dass der Prozessor so arbeitet wie erhofft. Das ist jedenfalls meine Vermutung.
Auch IBM testet derzeit einen neuen Chip, er besitzt 50 supraleitende Qubits. Könnte IBM damit trotzdem das Rennen um die Quanten-Überlegenheit gewinnen?
Die Möglichkeit besteht. Allerdings scheint auch IBM noch nicht genau zu wissen, wie gut ihr Quantenprozessor eigentlich funktioniert. Die Fehlerraten scheinen zum Teil recht hoch, bei einigen der Qubits liegen sie bei 5 %. Google dagegen hofft auf eine deutlich geringere Fehlerrate von 0,5 %, hat das aber auch noch nicht erreicht.
Dennoch: Derzeit scheint die Entwicklung große Sprünge zu machen. Könnte es also sein, dass wir einen kommerziellen Quantencomputer schon deutlich früher haben als noch vor einigen Jahren gedacht?
Das könnte passieren. Es ist gut möglich, dass wir innerhalb der nächsten beiden Jahre einen Quantencomputer mit 200 Qubits sehen werden. Und sollte es gelingen, die Fehlerraten gering zu halten und außerdem effektive Algorithmen für solche Maschinen zu entwickeln, könnte er für manche Anwendungen durchaus einen Nutzen bringen. Allerdings würde ein richtiger, großer Quantencomputer, von dem man letztlich träumt, Millionen von Qubits besitzen müssen. Und davon sind wir noch weit entfernt.
Im Herbst letzten Jahres sprachen wir schon einmal mit David DiVincenzo über Quantencomputer. Das Interview können Sie hier nachlesen:
Als Werner Heisenberg einmal gefragt wurde, wie man sich die Quantenphysik vorstellen solle, sagte er nur: „Versuchen Sie’s lieber erst gar nicht!“ Hat Sie das nie abgeschreckt?
Ach, diese alten Zitate! Die sind doch längst überholt. Man sagte ja auch einmal, dass nur sechs Menschen auf der ganzen Welt die Relativitätstheorie verstehen könnten, und heute ist sie gar nicht mehr so mysteriös. Eines haben die Quantenphysik und die Relativitätstheorie übrigens gemeinsam: Wer sich damit beschäftigt, den bringen diese Dinge aus seiner Alltagserfahrung heraus, denn deren Regeln gelten dort auf einmal nicht mehr.
Sie arbeiten an den Grundlagen dafür, dass eines Tages Quantencomputer gebaut werden können. Was können die, was bisherige Rechner nicht können?
Dafür gehe ich ein bisschen in die Geschichte zurück. Nehmen Sie die erste Rechenmaschine, den ENIAC-Computer aus dem Jahr 1946, ein raumgroßes Gerät. Es folgte eine Innovation, dann die nächste, die Rechenleistung stieg immer weiter und die Geräte wurden immer kleiner. Bei einem Supercomputer von heute reicht ein einziger Millimeter für die Rechenleistung, die ENIAC damals schaffte. Aber das Funktionsprinzip ist immer noch das gleiche. Wir gehen jetzt eine Ebene zurück und arbeiten an einem völlig neuen Funktionsprinzip. Diese neuen Computer werden so weit entfernt sein von den heutigen Supercomputern, wie diese Supercomputer von den ersten Rechenmaschinen.
Ein gewaltiger Fortschritt. Wodurch wird der möglich?
Sehr grob erklärt: Heute rechnen Computer mit Bits, die nur die beiden Werte ‚0‘ oder ‚1‘ annehmen können. Ein Quantencomputer arbeitet mit Quantenbits, den sogenannten Qubits. Die können beliebig viele Zwischenzustände annehmen. Dadurch werden Quantencomputer gewaltige Mengen an Informationen speichern und verarbeiten können.
Das klingt einfach. Wo ist der Haken?
Vor einer praktischen Umsetzung müssen wir tatsächlich noch ein paar Probleme lösen: Wir müssen zum Beispiel die Quantenzustände der Qubits länger aufrechterhalten, als wir das bislang können. Wir müssen sehr viele Qubits miteinander verschränken und wir brauchen einen Algorithmus, der Rechenfehler von Quantencomputern korrigiert – das alles sind Baustellen, auf denen Forscherteams bei uns derzeit arbeiten.
Ab wann arbeiten wir denn mit Quantencomputern?
Ich glaube, es wird keinen harten Übergang geben. Das zeigt sich ja auch jetzt schon: IBM zum Beispiel hat unlängst einen ersten Quantencomputer in Betrieb genommen mit 16 Qubits, und Google hat für das nächste Jahr ein 49-Qubit-Gerät angekündigt. Das sind natürlich Prototypen, die noch erforscht werden. Schon 100 Qubits aber übertreffen alles, was man mit einem klassischen Computer von heute tun könnte.
Wird der Quantencomputer mit der erhofften gewaltigen Rechenleistung etwas an der Art verändern, wie Menschen leben?
Die Frage muss man sich ja schon weit früher stellen, nicht nur in Zusammenhang mit den Quantencomputern. Wir diskutieren heute über autonome Systeme wie selbstfahrende Autos, wir reden über künstliche Intelligenz und andere Phänomene – da werden Tore zu einer ganz anderen Welt aufgestoßen. Die Quantencomputer sind nur ein Teil davon. Wissen Sie, woran ich dabei denken muss?
Na?
Es gibt da einen kolportierten Dialog zwischen dem Physiker Michael Faraday, der mit seinen Entdeckungen die Grundlage für die Elektroindustrie legte, und dem englischen Premierminister. Der Premier fragte: „Was genau ist der Nutzen dieser Elektrizität?“ Und Faraday antwortete: „Keine Ahnung – aber eines Tages werden Sie sie besteuern.“ An einen ähnlichen Punkt werden wir mit den Quantencomputern auch kommen.
IBM, Intel, Microsoft oder Alphabet (Google). Fast alle großen Computer- und Internetfirmen arbeiten an Quantencomputern. Mit teils riesigen Budgets. Google-Wissenschaftler haben den neuen Quantenprozessor mit dem Namen Bristlecone bei einer Konferenz in Los Angeles vorgestellt. Ein Problem der Quantencomputer sind Fehler, die auftreten, wenn die Quantenbits ihre Zustände unkontrolliert ändern. Klassische Fehlerkorrekturverfahren funktionieren nicht, denn quantenmechanische Daten können grundsätzlich nicht kopiert werden. Ein Speichern der Zwischenergebnisse, um diese zur Fehlerkorrektur zu verwenden, fällt damit aus. Eine Fehlerrate von unter 0,5 Prozent - wie von Google angepeilt, wäre ein großer Forschritt.
Zum Weiterlesen:
Nachgefragt: Was ist eigentlich ein Quantencomputer?
Leser:innenkommentare