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Quantenjahr 2025

Teil #02: Wie eine Gleichung die Antimaterie vorhersagte

Beate Heinemann ist Forschungsdirektorin am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY. Bild: Angela Pfeiffer/DESY

Kaum war Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger der erste Schritt bei der Entwicklung einer Quantenmechanik gelungen, erfolgte bereits der zweite, der elementar ist für das Verständnis vom Universum bis zur Supraleitung. Die Physikerin Beate Heinemann, Forschungsdirektorin am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY, berichtet im folgenden Beitrag, was es genau mit dieser zweiten Quantisierung auf sich hat.

Unmittelbar nach den bahnbrechenden Veröffentlichungen von Heisenberg und Schrödinger 1925 gelingt es Physikern wie Max Born und Paul Dirac einen mathematisch kohärenten Formalismus der Quantenmechanik zu entwickeln. „Und Dirac schafft es kurz darauf, die Quantenmechanik mit Einsteins Spezieller Relativitätstheorie zu vereinen“, erklärt Heinemann. Das Ergebnis mündet in die berühmte Dirac-Gleichung. „Allein die zu betrachten ist wahnsinnig spannend“, sagte Heinemann begeistert. Die Dirac-Gleichung ebnet den Weg zur Quantenfeldtheorie, was die quantenmechanische Beschreibung des kollektiven Verhaltens vieler Teilchen ermöglicht.  „Die Quantenfeldtheorie beschreibt die elementaren Teilchen und ihre Wechselwirkungen letztlich über quantisierte Felder, die miteinander interagieren.“ Teilchen manifestieren sich darin als Anregungen dieser Felder. Doch wie kann man sich das anschaulich vorstellen? Beate Heinemann lacht. „Wir Menschen sind in unserer Wahrnehmung natürlich sehr begrenzt. Quantenmechanische Prozesse bleiben uns verschlossen, wir können sie letztlich nicht sinnlich wahrnehmen und begreifen.“ Unsere makroskopische Welt ist halt nicht quantenmechanisch, deswegen haben wir dafür keine Intuition. „Wenn man allerdings sehr viel Quantenphysik rechnet“, räumt Heinemann mit einem Augenzwinkern ein, „dann kann man zumindest im physikalischen Sinne eine gewisse Intuition entwickeln.“

Doch zurück zu Dirac: Dessen Gleichung kann ad-hoc eine in den Jahren zuvor entdeckte und bisher nicht verstandene Anomalie des magnetischen Moments beim Elektron beschreiben, was Dirac als Bestätigung seiner Gleichung wertet. „Aber die Gleichung bietet eine zweite Lösung, die scheinbar negative Energien zulässt.“ Doch negative Energien ergeben in der Physik keinen Sinn. Deshalb vermutet Dirac, dass diese zweite Lösung ein Teilchen beschreibt, das im Fall des Elektrons eine dem Elektron entgegengesetzte elektrische Ladung haben muss, sprich eine positive. Aber welches Teilchen könnte hierfür in Frage kommen? Das in den 1920er Jahren einzig bekannte positiv geladene Teilchen, das Proton, scheidet im besagten Fall aufgrund seiner viel größeren Masse als Erklärung schnell aus.

Dirac hält an seiner Gleichung fest und postuliert schließlich Antiteilchen, die mit den scheinbar negativen Energiezuständen assoziiert sind. Alles sehr merkwürdig, viele dachten, dass die Gleichung falsch sein müsse. Aber tatsächlich werden nur wenig später von Carl David Anderson in Nebelkammerexperimenten mit der Kosmischen Strahlung Elementarteilchen beobachtet, die offensichtlich die gleiche Masse wie Elektronen haben, aber die entgegengesetzte Ladung: die Positronen. „Damit ist die Antimaterie zuerst in der Theorie vorhergesagt und kurz darauf im Experiment entdeckt worden“, erklärt Beate Heinemann. Treffen ein Teilchen und ein Antiteilchen aufeinander, kommt es zur Annihilation, zur kompletten Auslöschung unter Freisetzung von Energie. „Doch erstaunlicherweise stellt unser Universum eine reine Materiewelt dar, was wieder ein weiteres Rätsel eröffnet: Warum besteht unsere Welt nur aus Materie?“ Eigentlich müsste beim Urknall genauso viel Materie wie Antimaterie entstanden sein, was schnell zur Annihilation aller Materie und Antimaterie geführt und die Entstehung unseres Universums unmöglich gemacht hätte.

Die Dirac-Gleichung ist fundamental für die Quantenfeldtheorie, die es zum Beispiel im Rahmen der Quantenelektrodynamik ermöglicht, die Erzeugung und Vernichtung von Photonen zu beschreiben. Die Quantenfeldtheorie macht zudem Aussagen über das Vakuum, die sich mit unserer Alltagsvorstellung von „absoluter Leere“ nur schwerlich vereinbaren lassen. Denn laut der Heisenbergschen Unschärferelation kann die Natur für kurze Zeit aus dem Vakuum Materie und Antimaterie erzeugen. „Folglich sagt die Quantenfeldtheorie für das Vakuum ein Quantenzittern voraus.“  Messbare Quantenfluktuationen, in deren Verlauf Teilchen und Antiteilchen wie aus dem Nichts erscheinen und wieder verschwinden. „Heute bildet die Quantenfeldtheorie das theoretische Gerüst, um die Elementarteilchen zu beschreiben und weiter, wie sich die Materie in unserem Universum in den ersten drei Minuten entwickelt hat.“ In diesem Sinne fußt die Theorie im Forschungsprogramm „Materie und das Universum“ der Helmholtz-Gemeinschaft, an der die Forscherinnen und Forscher aus dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung beteiligt sind, ganz wesentlich auf Diracs Beitrag zur Quantenfeldtheorie, die in der Folgezeit von der elektromagnetischen Kraft auf die Schwache und Starke Kernkraft der Teilchenphysik weiterentwickelt wird.

„Was die Quantenphysik in der Forschung aktuell so bahnbrechend macht“, sagt Beate Heinemann, „ist der Umstand, dass man sie im Sinne eines Quanten-Engineerings zu nutzen beginnt. Hatten wir die Quantenphysik, überspitzt gesagt, lediglich beobachtet, nutzen wir inzwischen aktiv die Besonderheiten quantenphysikalischer Systeme, wie beispielsweise beim Quantencomputing. Das ist wirklich neu und revolutionär.“

Weshalb wir in der nächsten Folge beleuchten wollen, was es mit dem Quantencomputing auf sich hat. Bleiben Sie dran!

Serie im Quantenjahr 2025

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