Quantenjahr 2025
Teil #01: Als die Physik sich neu erfand
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenphysik ausgerufen. Anlass ist das Hundertjährige Jubiläum der Formulierung der Quantenmechanik. Was genau vor hundert Jahren geschehen ist, erzählt der Physiker Ilja Bohnet in der ersten Ausgabe unserer Reihe anlässlich des Quantenjahres.
Die Entwicklung der modernen Elektronik – vom Transistor, dem Computer bis hin zum Quantencomputer – all das wäre ohne moderne Quantenphysik nicht möglich. Auch unser Verständnis vom Universum, das fast bis zum Urknall reicht, fußt neben der Relativitätstheorie auf der Quantenphysik. Sie beschreibt die physikalischen Gesetzmäßigkeiten im mikroskopisch Kleinen, im Bereich der Moleküle, Atome, Atomkerne und Elementarteilchen.
Die Entwicklung der Quantenphysik erfolgte stufenweise. Ihren Beginn markiert die Formulierung der Strahlungsformel von Max Planck im Jahr 1900, worin Planck die Übermittlung von Lichtenergie mit einem „Wirkungsquantum“ versieht. Demnach kann die Übertragung der Energie des Lichts bloß in standardisierten Paketen, sozusagen „gequantelt“ erfolgen. Nur fünf Jahre später erklärt Albert Einstein einen anderen bis dato unerklärten Effekt, nämlich den (lichtelektrischen) Photoeffekt, in dem er dem Licht einen teilchenartigen Charakter zuweist. Bis dahin war Licht als Welle interpretiert worden. Einstein deutet Licht als „lokalisierte Energiequanten“, als Photonenteilchen.
Kurz darauf entwickeln Ernest Rutherford und andere die ersten genaueren Vorstellungen vom Aufbau der Atome, mit elektrisch positiv geladenen Protonen im Kern und entsprechend negativ geladenen Elektronen in der Hülle. Um die seit langem bekannten optischen Linienspektren der Atome zu verstehen, die nun als sprunghafte (diskrete) Zustandsänderungen von Elektronen im atomaren Bereich gedeutet werden müssen, weist Niels Bohr den Elektronen entsprechende diskrete Eigenschaften zu. Bohr postuliert die „Quantelung“ ihrer kinematischen Eigenschaften und kennzeichnet die möglichen Zustände der Elektronen im Atom durch Quantenzahlen. Ein Konzept, das in der klassischen Mechanik nicht auftaucht, sich aber experimentell bewährt. Trotzdem kommt Bohrs Atom-Modell, wonach sich die Elektronen wie Planeten kreisförmig um den Atomkern bewegen, schnell an seine Grenzen. Es scheint, als müsse das Begriffssystem der Physik von Grund auf neu aufgebaut werden.
Einsteins Erklärung des Photoeffekts bringt den jungen Louis de Broglie in seiner Doktorarbeit 1924 dazu, den verblüffenden Welle-Teilchen-Dualismus des Lichts auf freie Elektronen zu übertragen und ihnen neben der Teilcheneigenschaft auch einen Wellencharakter zuzuschreiben. Demnach ziehen die Elektronen in Atomen keine Kreisbahnen, sondern wabern als Materiewellen um die Bohrschen Kreisbahnen herum.
Im Jahr 1925 wird der Gordische Knoten endlich durchschlagen, der bisher den physikalisch konsistenten Zugang zur Quantenwelt versperrte: Werner Heisenberg, Max Born und Pascual Jordan entwickeln zur Beschreibung der Zustände von Elektronen im Atom einen von ihnen als „Quantenmechanik“ bezeichneten Formalismus. Den physikalischen Messgrößen (Observablen) der klassischen Physik entsprechen in der Quantenmechanik sogenannte Operatoren, deren besondere mathematischen Eigenschaften die Beschreibung und Berechnung quantenphysikalischer Phänomene ermöglichen. Obschon die Gesetze von der Erhaltung des Impulses oder der Energie auch in der Quantenmechanik gelten, muss sie auf eine exakte Beschreibung der Bewegung atomarer Teilchen im Sinne der klassischen Mechanik verzichten, weil für Messergebnisse nur Wahrscheinlichkeiten angegeben werden können. Doch diese Wahrscheinlichkeiten sind nicht auf mangelndes Wissen zurückzuführen, sondern stellen eine grundlegende Eigenschaft der Quantenwelt dar. Die auf Matrizen, also auf einer rechteckigen Anordnung von Zahlen oder Variablen, beruhende Quantenmechanik von Heisenberg ist jedoch mathematisch anspruchsvoll und wenig anschaulich. Kurz darauf entwickelt Erwin Schrödinger einen anderen Ansatz. Er überträgt die bekannten Verhältnisse aus Wellenoptik und Geometrischer Optik der klassischen Physik auf die bereits erwähnten Materiewellen de Broglies.
Zunächst ist unklar, ob die Heisenbergsche Matrizenmechanik und die Schrödingersche Wellenmechanik nur unterschiedliche Ausdrucksweisen derselben quantenmechanischen Theorie darstellen. Schnell erkennen Max Born und Paul Dirac die Berührungspunkte der beiden Ansätze und bestätigen, dass sie auf gemeinsamen, allgemeinen quantenmechanischen Prinzipien basieren, die sich mathematisch gesehen auf verschiedene Weisen formulieren lassen. In kürzester Zeit wird nun die Quantenmechanik auf eine Vielzahl bisher ungelöster Probleme der Atomphysik angewendet – mit Erfolg! Das löst einen Dammbruch in der Quantenphysik aus. Doch geht diese sensationelle Entwicklung mit einer grundlegenden Revision erkenntnistheoretischer Grundsätze der klassischen Physik einher: Nach dieser ist alles Geschehen in der Natur im Prinzip von vorneherein bestimmt und somit voraussagbar. Die Quantenmechanik von Heisenberg und Schrödinger muss diesen strengen Determinismus aufgeben, weil sie zeigt, dass vielen physikalischen Wirkungen auf quantenmechanischer Ebene eine natürliche Unbestimmtheit innewohnt. Diese naturgegebene Unbestimmtheit formuliert Heisenberg zwei Jahre später in seiner berühmten Heisenbergschen Unschärferelation. Doch betrachtet man die Wahrscheinlichkeitsaussagen der Quantenmechanik als ihre eigentlichen Aussagen, so sind diese wiederum streng determiniert.
Wir werden im Laufe dieses Jahres die Entwicklung der Quantenphysik und ihren Siegeszug in der modernen Forschung eng verfolgen. Bleiben Sie dran!
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