CRISPR/Cas
Skalpell statt Schrotflinte
Der Molekularbiologe Holger Puchta forscht seit Jahren an modernen Methoden der Pflanzenzüchtung. Genome Editing ist im Vergleich zur herkömmlichen Mutagenese schneller und präziser. Er begrüßt deshalb den Vorschlag der EU-Kommission, Beschränkungen bei gentechnischen Verfahren in der Pflanzenzüchtung zu lockern.
Wenn Holger Puchta deutlich machen will, welch enormes genetisches Potenzial in einer einzigen Pflanzenart steckt, verweist er auf Brassica oleracea – im Gartenbau besser bekannt als Gemüsekohl. Denn das krautige Wildgewächs mit den gelben Blüten ist der Urahn einer ganzen Gemüsepalette, die bei Generationen von Kindern für mehr oder weniger viel Freude auf dem Teller gesorgt hat. Weißkohl und Grünkohl, Blumenkohl und Rosenkohl, Broccoli und Kohlrabi – sie alle stammen vom unscheinbaren Kreuzblütengewächs ab.
„Es ist erstaunlich, was die klassische Züchtung aus dieser einen Spezies herausgekitzelt hat“, sagt Holger Puchta. Doch all das kostete Zeit. Viel Zeit. So reicht die Zuchtgeschichte des Gemüsekohls weit zurück, bis in die Antike und wohl noch darüber hinaus. „Wir haben natürlich keine Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte Zeit, wenn wir den Folgen des Klimawandels begegnen und auch weiterhin eine wachsende Weltbevölkerung ernähren wollen“, erklärt der KIT-Forscher. „Wir brauchen landwirtschaftliche Nutzpflanzen, die möglichst salz- und hitzeresistent, ertragreich, geschmacksintensiv sowie widerstandsfähig gegenüber Krankheiten sind. Und wir brauchen sie schnell. Die Standardwerkzeuge der klassischen Züchtung und Mutagenese arbeiten zu langsam. Mit molekularen Scheren gelingt uns das heute innerhalb von ein oder zwei Pflanzengenerationen, also innerhalb von Monaten.“
Bedenken gegenüber dieser Technologie begegnet Holger Puchta mit einem praktischen Blick zurück in die Vergangenheit: „Man muss sich vergegenwärtigen, wie die Zucht vor der Genschere ablief und noch immer abläuft. Seit etwa 70 Jahren ist die Mutagenese gängige und legale Praxis. Dabei erzeugt radioaktive Bestrahlung 10.000 unkontrollierte Mutationen in einer Pflanze. Zufällig entsteht dann manchmal ein gewünschtes Ergebnis.“ Im Gegensatz dazu erzeugen molekulare Scheren ganz gezielt eine einzige Mutation in einem ganz bestimmten Gen. „Wir haben also die Mutagenese und Tausende unkontrollierte Mutationen auf der einen und die molekulare Schere und eine einzige gezielte Veränderung auf der anderen Seite. Es ist also wie mit einer Schrotflinte und einem Skalpell. Letzteres ist dabei schneller, sicherer und hochspezifisch“, sagt Puchta.
Seit 2012 wird dafür weltweit eine ganz bestimmte Genscheren-Methodik verwendet: CRISPR/Cas, für deren Entwicklung die Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 den Chemie-Nobelpreis erhielten. „Durch CRISPR/Cas erleben wir gerade die größte Revolution seit 30 Jahren in der Biologie, Medizin und Landwirtschaft, weil das Verfahren extrem flexibel und zielgenau ist“, sagt Holger Puchta. Am KIT hat er die Einsatzmöglichkeiten von CRISPR/Cas erheblich erweitert und erstmals von der Ebene einzelner Gene auf die Ebene des Chromosoms gehoben.
Gene sind linear auf Chromosomen angeordnet. Lange wurde CRISPR/Cas nur dazu verwendet, einzelne Gene auf einem Chromosom zu verändern. Puchta und seinem Team ist es dagegen vor wenigen Jahren gelungen, ganze Teile von Chromosomen auszutauschen und so die Gene neu zu kombinieren – also neu anzuordnen. Dank dieses Durchbruchs aus Karlsruhe ist es nun unter anderem möglich, gute Eigenschaften einer Pflanze von schlechten zu trennen. Liegt bei einer Spezies X etwa ein Gen für einen Bitterstoff, der die Früchte der Pflanze schlecht schmecken lässt, direkt neben einem wünschenswerten Gen, das resistent gegen ein Virus macht, werden beide Gene wegen ihrer unmittelbaren Nachbarschaft auf dem Chromosom immer gemeinsam vererbt. In der normalen Generationenfolge werden also immer alle Pflanzen mit Resistenz auch bitter sein. Mit der Technik Puchtas kann nun der Chromosomenteil mit der Virusresistenz abgetrennt, auf ein anderes Chromosom ohne Bitterstoff transferiert und dann separat weitervererbt werden.
Ebenfalls mit CRISPR/Cas gelang es der Arbeitsgruppe von Holger Puchta, ein ähnlich gelagertes Problem zu lösen. Liegen Gene für positive Eigenschaften auf einem Chromosom weit auseinander, werden sie bei der Vererbung in der Regel voneinander getrennt, gehen also bei der Züchtung nach und nach verloren. Mit der molekularen Schere schafften es die KIT-Forschenden nun, den Großteil eines Chromosoms herauszuschneiden, um 180 Grad zu drehen und wieder einzubauen. „Damit legen wir fast ein komplettes Chromosom still – machen es quasi unsichtbar für den Genaustausch mit anderen Chromosomen“, erklärt Holger Puchta. „Die positiven Eigenschaften auf dem invertierten Teilstück werden so fixiert und künftig immer im Paket gemeinsam vererbt, bleiben also erhalten.“
Die Forschungsarbeit aus Karlsruhe haben dazu beigetragen den Werkzeugkoffer in der Pflanzenzüchtung deutlich zu vergrößern. „Wir wissen inzwischen sehr genau, welche genetischen Veränderungen nötig sind, um etwa größere und mehr Früchte zu erzeugen oder Bitterstoffe zu reduzieren, um den Geschmack zu verbessern“, sagt der KIT-Wissenschaftler. „Mit den neuen Methoden können wir so zum Beispiel eine hitze- und salzresistente Wildart aus warmen und trockenen Regionen wie Afrika praktisch im Zeitraffer in eine ertragreiche und schmackhafte Kulturpflanze für Europas Landwirtschaft verwandeln. Solche Pflanzen, die den Folgen des Klimawandels trotzen und dank zusätzlicher Krankheitsresistenzen den Einsatz von Pestiziden reduzieren, brauchen wir dringend.“
In diesem Jahr erhielt Holger Puchtas Forschung am KIT eine 1,22 Millionen Euro starke Förderung in einem Reinhart Koselleck-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die höchstdotierte Exzellenzförderung der DFG für Personen. Und auch die lange skeptische Politik erkennt mehr und mehr den Wert und die Notwendigkeit der Technologie. So will die EU-Kommission den Umgang mit Genome Editing-Methoden wie CRISPR/Cas in der Pflanzenzüchtung neu regeln und so geschaffene neue Pflanzensorten unter bestimmten Bedingungen konventionell gezüchteten Pflanzen gleichstellen. „Das ist aus wissenschaftlicher Sicht absolut sinnvoll“, sagt Holger Puchta, der seit Jahren auch die Politik berät. „Beim Genome Editing bringen wir kein fremdes Erbgut in die Pflanzen ein. Die Technik ist schnell, präzise und sicher. Und es wäre schon etwas merkwürdig die Mutagenese – also die unkontrollierte Schrotflinte – zu erlauben und das Skalpell zu verbieten. Im Übrigen ist bei beiden Methoden noch nie aus einer Pflanze ein Monster entstanden.“
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