Portrait
Sein Vorbild ist das menschliche Gehirn
Rainer Waser entwickelt Computer-Chips, die weit weniger Energie verbrauchen als heute gebräuchliche elektronische Bauteile. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Supercomputer von morgen
Rund zehn Prozent des deutschen Stromverbrauchs gehen auf das Konto elektronischer Geräte - Tendenz zunehmend. Zwar arbeiten die Chips effizienter als früher, aber weil immer mehr von ihnen gebraucht werden, steigt der Energieverbrauch letztlich doch. "Mit unseren neuartigen elektronischen Bauteilen könnte sich das bald ändern", sagt Rainer Waser vom Forschungszentrum Jülich.
Schon in zehn Jahren, prognostiziert der Professor für elektronische Materialien, könnten die ersten Computer neuer Machart im Handel sein. Im Unterschied zu der herkömmlichen Siliziumtechnologie basieren ihre wesentlichen Funktionen auf neuen Grundstoffen, darunter bestimmte Metalloxide, mit denen sich Informationen deutlich energieeffizienter verarbeiten lassen. "Im Vergleich zu herkömmlichen Systemen ist eine Steigerung um den Faktor 10 und mehr vorstellbar" sagt Rainer Waser. Darüber hinaus punkte die neue Technologie mit einer Reihe bisher nicht realisierbarer Funktionen.
Die Schlüssel zu der neuen Elektronikwelt sind winzige elektronische Bauteile, sogenannte memresistive Schalter. Um sie von einem Zustand in einen anderen zu schalten und auf diese Weise Daten zu speichern, genügen ultrakurze Spannungspulse. Energiesparend sind die Schaltungen auch deshalb, weil sie Arbeitsspeicher und Recheneinheit zugleich sein können: Normalerweise sind diese beiden Einheiten voneinander getrennt und benötigen viel Strom, um miteinander zu kommunizieren. Und anders als bei den Transistoren der Siliziumära verflüchtigen sich die in resistiven Speichern konservierten Informationen nicht gleich beim Ausschalten des Computers, sondern bleiben dort so lange wie gewünscht erhalten.
Erste Ansätze für die neue Technologie auf der Basis von Metalloxiden stammen aus den 1960er-Jahren. "Nachdem es aber damals nicht gelang, grundlegende Mechanismen zu verstehen, geriet das Konzept wieder in Vergessenheit", berichtet Rainer Waser. Zwar wurde es Ende der 1990er-Jahre mancherorts wieder aufgegriffen, aber die Lösung des Rätsels blieb Waser und seiner Arbeitsgruppe vorbehalten: Ihre Erkenntnisse über die Funktionsweise resistiver Schalter erschienen 2006 im angesehenen Fachjournal Nature Materials und trugen dem Jülicher Team internationales Renommee ein. Es war auch der Startschuss für eine neue Forschungsrichtung: "Heute gibt es weltweit um die vierzig starke Gruppen auf diesem Gebiet", sagt Waser.
Für seine besonderen Leistungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie erhielt der 58-Jährige im März den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er ist mit stattlichen 2,5 Millionen Euro dotiert. Was Rainer Waser mit dem Geld vorhat? "Ich kann weitere hochkarätige Mitarbeiter ins Team holen, ohne dafür aufwändige Anträge einreichen zu müssen", sagt er und freut sich über erste Erfolge in dieser Richtung.
Rainer Waser sei auf herausragende Weise zugleich Naturwissenschaftler und Ingenieur, heißt es in der Begründung zum Leibniz-Preis. Sein wissenschaftliches Werk umfasse Fragestellungen aus Chemie, Materialforschung und Physik. "Das Rätsel der resistiven Schaltungen war nur durch eine Kombination all dieser Ansätze zu lösen", betont Waser. Die Neigung zum Interdisziplinären habe er von seinem Vater: "Er war Manager beim Fernmeldedienst der Post, sein großes Hobby aber war die Philosophie."
Der Sohn interessierte sich schon früh für Chemie, Physik und Elektronik und blieb später bei seinen Vorlieben. Er studierte Chemie in Darmstadt, setzte seine Forschungen dann im britischen Southampton fort und arbeitete einige Jahre im Forschungslabor der Firma Philips, bevor er 1992 eine akademische Laufbahn einschlug: als Universitätsprofessor an der RWTH Aachen und 1997 dann zusätzlich und im Nebenamt als Direktor am Peter Grünberg Institut des Forschungszentrums Jülich.
Seit mehr als zehn Jahren ist Rainer Waser Sprecher des Helmholtz-Forschungsprogramms: Fundamentals of Future Information Technology. Wer also wäre besser geeignet, den Computer von morgen zu beschreiben? Sein großes Vorbild sei das menschliche Gehirn, sagt Waser. Bei einem spektakulär niedrigen Energieverbrauch von 25 Watt - das ist weniger als eine klassische Glühbirne - übertreffe das Denkorgan in vielerlei Hinsicht heutige Supercomputer: "Die brauchen für die gleiche Leistung ein Millionenfaches an Energie." Sein Ziel seien daher neuromorphe Rechner auf der Basis resistiver Speicher, die das Gehirn nachahmen. Ein monumentales Projekt, doch die ersten Schritte sind getan.
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