Mission GRACE-FO
Satelliten vermessen das Schwerefeld der Erde
Ein Satellitenpaar ist ins All gestartet, um das Erdschwerefeld mit unglaublicher Präzision zu vermessen. Dadurch wollen Forschende vor allem die Folgen des Klimawandels besser verstehen.
Die von 2002 bis 2017 enorm erfolgreiche Satellitenmission "Gravity Recovery and Climate Experiment", kurz "GRACE", geht in die Verlängerung. "GRACE" hatte es Forschenden ermöglicht, den Wasserhaushalt der Erde mit zuvor unerreichter Genauigkeit und Konstanz zu vermessen. Nun sind mit der Nachfolgemission "GRACE-FO" zwei neue Satelliten ins All gestartet, um die Datenreihen fortzuführen.
Die Massenverteilung auf der Erde ist nicht überall gleich. Im Erdinneren bewegen sich flüssige Gesteinsmassen, Wassermassen bewegen sich in den Ozeanen und auf den Kontinenten. Auch Luftmassen sind in ständiger Bewegung. Die ungleiche Verteilung der Massen führt dazu, dass sich die Erdanziehungskraft nicht gleichförmig über den Erdball verteilt. An den Stellen, an denen mehr Masse vorhanden ist, ist das Gravitationsfeld geringfügig stärker als an anderen Stellen. Aus der Verteilung der Massen können Forschende viel lernen. GRACE war vor allem für die Erforschung des Klimas von zentraler Bedeutung. So konnte die Mission zeigen, dass die Eismassen in Grönland zwischen 2002 und 2016 um rund 270 Milliarden Tonnen pro Jahr zurückgingen. "Die GRACE-Daten sind heute eine der Grundlagen für die Berichte des Weltklimarates IPCC. Die Mission findet in den Berichten sogar mehrfach direkte Erwähnung", erklärt Frank Flechtner vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam. Er ist der wissenschaftliche Leiter von "GRACE-FO", nach dem englischen Begriff "Follow-On" für eine Nachfolgeunternehmung.
"Nach dem großen Erfolg von GRACE haben die Nutzenden der Daten darauf gedrängt, die Messreihen weiterzuführen", erinnert sich Flechtner. GRACE lieferte verschiedenste Einblicke in den Wasserhaushalt der Erde, von regionalen Niederschlägen bis hin zur weltweiten Eisschmelze. Mehrmonatige Trockenperioden im Amazonas ließen sich ebenso zuverlässig beobachten wie der Anstieg des Meeresspiegels über ein ganzes Jahrzehnt.
Ausgefeilte Messung
Der entscheidende Kniff, um das Wasser auf der Erde so präzise zu kartieren: Es wird allein anhand seiner Schwerkraftwirkung erfasst. Denn unabhängig davon, ob es als flüssiges Wasser zu einem Ozean gehört oder in Form von Eis oder Schnee vorliegt: Wasser übt mit seiner Masse eine Gewichtskraft aus. Mit einem geschickt platzierten Paar von Satelliten in einer Umlaufbahn um die Erde gelingt das – wenn auch auf Umwegen. "Wir messen die Schwerkraftwirkung nicht direkt mit den Satelliten", räumt Frank Flechtner ein. "Doch wir können sie dank komplizierter Rechenverfahren am Boden aus den Bewegungen rekonstruieren, die sie im Erdorbit vollführen."
Dafür fliegen zwei GRACE-Satelliten in einem festen Abstand hintereinander um die Erde. Nähern sie sich nun beispielsweise einem schweren Gebirge, erfährt der vorausfliegende Satellit zunächst eine stärkere Anziehungskraft. Er wird dadurch schneller und entfernt sich leicht von seinem nachfolgenden Partner. Liegt das Gebirge zwischen den beiden Satelliten, bewirkt die Schwerkraft hingegen wieder eine Annäherung.
Aus diesen Änderungen im Abstand zwischen den beiden Satelliten auf ihrem Weg um die Erde rekonstruieren die Forschenden die Schwerkraftwirkung des überflogenen Geländes. Die Genauigkeit der Messung ist erstaunlich: "Die GRACE-Satelliten flogen im Abstand von etwa 220 Kilometern voneinander. Diese Entfernung wurde mithilfe von Mikrowellenstrahlung ständig auf etwa 1 bis 2 Mikrometer genau vermessen", erklärt der GFZ-Wissenschaftler – das entspricht etwa einem Hundertstel der Dicke eines Blattes Druckerpapier.
Wissen über das Wasser
Natürlich können die Wissenschaftler nur anhand der Schwerkraftwirkung nicht unterscheiden, ob es Gestein oder Wasser ist, das an den Satelliten zieht. Doch in der Änderung des Schwerefelds mit der Zeit steckt die gesuchte Information: Während sich Gebirge oder der Meeresboden nur selten oder sehr langsam ändern, zeigen sich Verlagerungen großer Wassermengen – etwa durch Niederschlag, Verdunstung oder Abfließen ins Meer – schon in kurzer Zeit deutlich in den Daten. Alle 30 Tage nahm GRACE ein vollständiges Bild des Erd-Schwerefeldes auf, und lieferte so fast 15 Jahre lang monatliche Daten über Niederschläge, Dürren und Eisdecken.
So konnte GRACE beispielsweise anhand der weltweiten Bilanzierung des Zuflusses in die Ozeane zeigen, dass der Anstieg des Meeresspiegels nur zu etwa zwei Dritteln auf zusätzliches Wasser in den Ozeanen zurückgeht. Ein Drittel des Anstiegs kommt allein dadurch zustande, dass sich das Meerwasser erwärmt und infolgedessen ausdehnt.
Wie Flechtner erklärt, erlauben die GRACE-Daten sogar die Vermessung von Grundwasser-Reservoirs: "Wenn Sie aus dem Wasserhaushalt einer Region Faktoren wie Niederschlag, Bodenfeuchte und Flüsse herausrechnen, bleibt ihnen ein Blick auf die Menge an Grundwasser, die darunter lagert. Dass die GRACE-Daten solche Einblicke erlauben, ist ein echter Knüller."
So sorgten beispielsweise im Jahr 2016 Analysen der GRACE-Daten für weltweites Aufsehen, die eine alarmierende Abnahme der Grundwasservorräte im Nordwesten Indiens aufzeigten. Über die Interpretation der Daten wird zwar unter Forschenden noch gestritten – doch klar ist, dass das Problem erst durch GRACE aufgedeckt werden konnte. Zugänglich sind die Daten für international Forschende durch Datenbanken, in denen GFZ und NASA sie kostenlos zur Verfügung stellen.
GRACE-FO: die nächste Generation
Die GRACE-Mission endete im Jahr 2017 mit dem Abschalten der altersschwachen Satelliten, die nach beachtlichen 15 Jahren im All dreimal länger als ursprünglich geplant im Einsatz gewesen waren. Zu dieser Zeit liefen längst die Arbeiten an der Nachfolgemission GRACE-FO: Gemeinsam mit dem Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA hat das Potsdamer GFZ die beiden neuen Satelliten entwickelt. "Dabei spielte auch das Max-Planck-Institut für Gravitationsforschung (Albert-Einstein-Institut) in Hannover eine entscheidende Rolle", erzählt Flechtner. "Dort wurde nämlich das Laser-Interferometer entwickelt, mit dem die Abstandsmessung zwischen den Satelliten noch viel genauer gelingen soll." Gebaut wurden die beiden Satelliten von Airbus in Friedrichshafen.
Der Start von GRACE-FO erfolgte mit einer SpaceX-Rakete, die sich der kommerzielle Satellitenbetreiber Iridium und das GFZ teilen. Der Weg dorthin war nicht leicht, wie Flechtner berichtet: "Die Frage des Starts hat uns manche schlaflose Nacht bereitet. Ursprünglich wollten wir mit einer russischen Rakete starten, wie zuvor auch GRACE. Doch im Zuge der Ukraine-Krise wurden wir von offizieller Stelle unterrichtet, dass dies nicht möglich sein würde." Nach intensiven Verhandlungen gelang es, den neuen Startplatz in den USA zu buchen.
Frank Flechtner saß zum Starttermin selbst im Kontrollzentrum in Kalifornien. Er sollte sicherstellen, dass die Satelliten funktionstüchtig und zum Start bereit sind, in Rücksprache mit allen Beteiligten in Deutschland und den USA. Er war schon vor dem Start guter Dinge: "Wir arbeiten mit einem tollen Team in einer einzigartigen Partnerschaft. Man kann sagen, dass wir alle zu einer GRACE-Familie zusammengewachsen sind." Als Belohnung für deren Arbeit winken unersetzliche Einblicke in unseren Lebensraum Erde.
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