Amazing GRACE
Satelliten-Mission geht in die nächste Runde
Die Verfolgungsjagd im All begann im März 2002. Ein Satellit vornweg. Der andere gut 200 Kilometer hinterher. Der Abstand zwischen ihnen schwankt und darin liegt der große Wert für die Wissenschaft. „Die Mission nutzt zwei identische Satelliten, die in gut 500 Kilometer Höhe ihre Kreise ziehen“, erklärt Frank Flechtner. Der Geowissenschaftler arbeitet am GeoForschungsZentrum (GFZ) und leitet die deutsche Beteiligung an der Mission. „Der Abstand zwischen ihnen wird ständig aufs Genaueste vermessen.“ Fliegt der erste Satellit über ein Gebiet mit größerer Schwerkraft, wird er ein wenig auf eine niedrigere Umlaufbahn gezogen und damit schneller. Der Abstand zu seinem Verfolger erhöht sich. Überfliegt dieser wenig später das Gebiet, wird auch er schneller und schließt wieder auf. „Aus der Abstandsänderung können wir das Schwerefeld errechnen und damit die Massenverteilung der Erde einmal im Monat komplett kartieren.“
Schwerkraft verrät Trockenheit
Das Schwerefeld der Erde sorgt dafür, dass wir nicht die Bodenhaftung verlieren und dass Satelliten um die Erde kreisen. Die Massenverteilung auf der Erde ist nicht gleich. Folglich variiert auch die Erdanziehungskraft in geringem Maße. Sie ist eine Eigenschaft von Massen und diese sind auf der Erde ständig in Bewegung. Wassermassen zum Beispiel in Flüssen, Seen, Ozeanen. Eismassen zum Beispiel im Eisschild von Grönland, der Antarktis oder in Hochgebirgsgletschern. Oder auch Gesteinsmassen, die bei einem Erdbeben urplötzlich ihre Lage verändern. Wer nun aber weiß, wie sich die Masse in einem bestimmten Gebiet mit der Zeit verändert, kann daraus Rückschlüsse über den Zustand unseres Planeten ziehen. Zum Beispiel, ob es in einer Region immer trockener wird. Oder ob sich Eismassen in Wasser verwandeln und den Meeresspiegel steigen lassen. Oder wie lange zwei Erdplatten nach einem schweren Beben brauchen, um wieder zur Ruhe zu kommen. Seit 2002 liefert das Gravity Recovery And Climate Experiment, kurz GRACE, die Daten, um Antworten auf solche Fragen zu erhalten.
Blick unter die Oberfläche
„Mit GRACE können wir die Massenverteilung bestimmen, wissen dann aber noch nicht, was diese verursacht“, erklärt der Geowissenschaftler. „Deshalb kombinieren wir die Daten mit anderen Satellitendaten und mit Modellen. So rechnen wir Effekte wie Schneebedeckung oder Bodenfeuchte heraus.“ Übrig bleibt dann zum Beispiel die zeitliche Veränderung des Grundwasserspiegels in einer Region. „Die Pegelstände von Flüssen oder die Füllstände von Seen lassen sich auch von der Erde aus beobachten“, sagt er. „Grundwasserstände hingegen sind nur schwer zu überwachen, vor allem nicht auf globalen Skalen und mit regelmäßigen Wiederholungen. Mit GRACE können wir das.“ So haben er und sein Team herausgefunden, dass sich die überlebenswichtigen Grundwasserspeicher in den letzten Jahren merklich leeren. Auch die Dürre der letzten Jahre in Deutschland und Europa zeigte sich deutlich. „Außerdem haben wir den Rückgang der Eismassen in der Westantarktis und in Grönland beobachtet“, fügt Frank Flechtner hinzu. „Der ist dramatisch. Etwa 270 Gigatonnen gehen pro Jahr alleine in Grönland verloren und tragen zum Meeresspiegelanstieg bei. Das entspricht einem Würfel mit etwa 6,5 Kilometern Kantenlänge.“
Besonders stolz ist er darauf, dass die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) die „Terrestrial Water Storage“ Daten, die er und sein Team aufbereiten, erst kürzlich zur essenziellen Klimavariable erhoben hat. Darin enthalten ist auch das Wasser im Boden und im Untergrund. Das muss im Auge behalten werden und das kann aktuell nur GRACE.
Es ist aber nicht nur die Bewegung von Wassermassen, die die Satelliten beobachten können. Sie hatten auch mindestens vier schwere Erdbeben im Blick, darunter jenes im Jahr 2015 in Chile und das Beben 2011 vor der japanischen Küste, das die Reaktorkatastrophe von Fukushima auslöste. „Erdbeben sind mit enormen Masseverlagerungen verbunden“, sagt der Geowissenschaftler. „Beim Beben verändert sich die Massenverteilung sehr schnell. Dann dauert es meist einige Monate, bis sie wieder ihre Ausgangslage erreicht.“
Drittes Satellitenpaar in Vorbereitung
GRACE war eine Kooperation zwischen US-amerikanischer Raumfahrtbehörde NASA und dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt, das GFZ war bereits damals mit der wissenschaftlichen Auswertung betraut. Das erste Satellitenpärchen nahm 2002 seine Arbeit auf und verglühte Ende 2017 kontrolliert in der Atmosphäre. Da waren die beiden Satelliten der GRACE Follow-On Mission bereits weitgehend fertig gestellt, die in Kooperation der NASA und dem GFZ die GRACE-Zeitreihe ab Mai 2018 fortsetzte. Neben dem Standard-Abstandsmesser auf Mikrowellenbasis fliegt nun auch ein Laser-Entfernungsmesser des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik als Technologiedemonstrator mit. „Der funktioniert so gut, dass er beim dritten Satellitenpaar als Standardinstrument eingesetzt wird“, freut sich Frank Flechtner. Die Mittel für die Missionsverlängerung wurden gerade bewilligt. Ab dem kommenden Jahr werden dann die beiden Satelliten gebaut. „Spätestens Ende 2027 wollen wir starten“, sagt er. „Wir hoffen, die neuen Satelliten dann noch eine Weile parallel mit den aktuell im Orbit befindlichen GRACE-FO Satelliten betreiben zu können, um die Daten der beiden Missionen direkt vergleichen zu können. Das war uns bei GRACE leider nicht vergönnt.“
Kontinuität ist einer der Gründe dafür, dass die Mission verlängert wurde. Denn um aus aktuellen Daten verlässlich in die Zukunft zu blicken, braucht es mehr als nur ein paar Momentaufnahmen. „Klimaforscher nutzen in der Regel Datenreihen über einen Zeitraum von 30 Jahren, um mit ihren Modellen belastbare Prognosen für die Zukunft geben zu können“, weiß Frank Flechtner. „Mit der Missionsverlängerung können wir diese liefern.“ Und noch viel mehr. Denn auch die Auflösung der Daten soll sich mittelfristig erhöhen. Noch hat jedes Datenpixel eine Auflösung von 300 Kilometern Kantenlänge. Die neuen Satelliten sollen in Kombination mit einer von der ESA geplanten Mass-change And Geosciences International Constellation (MAGIC) diese Auflösung dann ab etwa 2031 auf 100 bis 150 Kilometer verringern. Und auch die zeitliche Auflösung wird besser. Statt monatlich soll nun alle drei, fünf oder sieben Tage ein komplettes Bild des Schwerefeldes unseres Planeten entstehen. Damit ließen sich dann sogar kurzfristige Masseverteilungen wie zum Beispiel bei Flutkatastrophen beobachten.
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