Sibirien
Rätselhafte Krater im Permafrost
In der Tundra Nordsibiriens wurde ein mysteriöser Krater im Erdboden entdeckt. Wissenschaftler haben nun das Rätsel seiner Entstehung gelöst. Es handelt sich offenbar um ein geologisches Phänomen, das künftig öfter auftreten könnte
Was dachte wohl der russische Pilot, als er im Juli 2014 vom Cockpit seines Helikopters aus als erster den dunklen Schlund im Erdboden erblickte? Mitten in der baumlosen Einöde der nordsibirischen Tundra klafft ein etwa 30 Meter breites, schwarzes Loch im Boden. Schlug dort ein Meteorit ein? Ist der Krater das Resultat eines Vulkanausbruchs oder waren Außerirdische am Werk? Die Entdeckung auf der Jamal-Halbinsel wirft unter Geologen Fragen auf. Wie entstand der mysteriöse Trichter? Weshalb gerade dort in der Tundra? Eines steht fest: Der Krater ist vor nicht allzu langer Zeit entstanden. Auffällig sind die glatten Wände im gefrorenen Boden, der frisch aufgeschüttete Erdwall, der ihn umsäumt und das Eis am Grund des etwa 70 Meter tiefen Lochs. In seinem Inneren messen russische Wissenschaftler ungewöhnlich hohe Konzentrationen von Methan.
"Alles deutet darauf hin, dass die Krater durch einen Überdruck von Methangas- entstanden sind", meint Hans-Wolfgang Hubberten, der die Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung (AWI) leitet. Dabei spielt die Klimaerwärmung womöglich eine entscheidende Rolle. Seit etwa drei Jahrzehnten erwärmt sich der hunderte Meter dicke, dauerhaft gefrorene Boden auf der Halbinsel. Außergewöhnlich warme Sommer, wie zuletzt die der Jahre 2012 und 2013, beschleunigen den Prozess. Taut der Permafrostboden, hat das Folgen, so Hubberten. Denn im gefrorenen Wasser des Dauerfrostbodens sind gewaltige Mengen Methan eingeschlossen. Zusammen mit Wasser entsteht Methanhydrat, das im Eis stabil gebunden ist. Erwärmt sich jedoch der Boden und schmilzt das Eis, wird Methan frei. Es dehnt sich aus, mitunter um das 150fache seines ursprünglichen Volumens als Hydrat. Es entsteht ein immenser Gasdruck. Wird er zu groß, geschieht das, was auch mit einem Dampfdruckkessel passiert. Explosionsartig platzt der Deckel ab, der Druck entlädt sich nach außen.
Doch woher stammt das Gas im Eis und weshalb bricht es gerade in Nordsibirien aus dem Boden? "Um das zu verstehen, müssen wir uns die Geologie der Region anschauen", sagt Bernhard Diekmann vom AWI. Vor rund 280 Millionen Jahren gab es rund um die Jamal-Halbinsel starken Vulkanismus und Erdbewegungen. Die Region senkte sich ab und wurde von einer kilometerdicken Schicht aus Meeresablagerungen aufgefüllt. Durch Fäulnisprozesse und Wärme entstand dort Biogas, das heute in riesigen Erdgasfeldern tausende Meter tief im Boden lagert. Sein Hauptbestandteil ist Methan. Entlang von Verwerfungszonen bahnen sich Gase aus den Lagerstätten ihren Weg nach oben. Doch der Permafrostboden schirmt sie ab. Sie werden als Gashydrat im Eis eingeschlossen. Taut der Boden, drückt frei gewordenes Gas durch Zwischenräume nach oben.
Der Krater im Tundraboden liegt nur 30 Kilometer vom Erdgasförderfeld Bowanenkowskoje entfernt und er scheint kein Einzelphänomen zu sein. In Nordsibirien haben Rentierhirten zwei weitere Löcher im Permafrostboden entdeckt. Könnten sich Entladungen dieser Art künftig häufen? Wenn der Permafrost taut, wäre damit zu rechnen, soweit sind sich die AWI-Forscher einig. Wie drastisch, ist bislang schwer zu sagen. Dennoch könnten Gasausbrüche den umliegenden Siedlungen und vor allem dem nahegelegenen Bowanenkowskoje-Gasfeld gefährlich werden. Das russische Forscherteam hat daher Entlastungsbohrungen vorgeschlagen, um den Gasdruck im Erdinnern zu verringern. Hans-Wolfgang Hubberten sieht das skeptisch: "Wir wissen nicht, wie viel Gashydrate insgesamt in der Region lagern und auch nicht, wie viel Methan dort längst durch Spalten im Boden entweicht, ohne dass es bislang jemand bemerkt hat." Auch dürfte sich ein Monitoring der Bodenbewegung per Satellit schwierig erweisen. Der aufgetaute Permafrostboden ist oft viel zu weich und matschig. Sinnvoll dagegen wäre es, die Gebiete in denen geologische Verwerfungen vorkommen, gezielt zu überwachen, glaubt Bernhard Diekmann. Womöglich treten gerade in diesen Arealen stärkere Entladungen auf. Verhindern ließen sich Gasausbrüche damit zwar genauso wenig wie Erdbeben. Aber man könnte die Menschen in den betroffenen Gegenden zumindest vorzeitig warnen.
Methan ist ein hochwirksames Treibhausgas. Der Effekt der Methanentladungen zum Klimawandel, lasse sich derzeit zwar ebenfalls schwer einschätzen, meint Hans-Wolfgang Hubberten. "Doch auch wenn sich diese Vorgänge häufen würden ist die zusätzliche Menge an Methan, die dadurch in die Atmosphäre gelangt vergleichsweise gering im Vergleich zu anderen Quellen." Massive Rinderhaltung, überflutete Reisfelder oder sogar der Gasanteil, der natürlicherweise in Feuchtgebieten entweicht, hätten einen weit höheren Effekt.
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