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Portrait

Protonen gegen den Krebs

Esther Troost. Bild: NCT Dresden/Philip Benjamin

Esther Troost arbeitet in Dresden daran, die Bestrahlung von Tumoren mit Protonen effizienter und schonender zu machen. Der Umgang mit den Patienten hat sie schon in jungen Jahren verändert.

Wenn die Praxis der Technik hinterherhinkt, kann Esther Troost sehr ungeduldig werden. Dass die IT-Systeme an deutschen Gesundheitseinrichtungen divers und nicht vernetzt sind, ist in ihren Augen ein Riesenmanko. "Die Systeme sprechen nicht miteinander! Andere Länder haben die Vernetzung weiter vorangetrieben, sodass Patienten dort überall aufschlagen können und die Ärzte mit einem Klick die wichtigen Daten finden." Vielleicht ändert sich das bald, immerhin fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung jetzt die Digitalisierung der Medizin. Big Data für Ärzte und Forscher. Die Radioonkologin Troost weiß aus eigener Erfahrung, wie viel das bringt: "Am OncoRay in Dresden arbeiten wir mit den anderen europäischen und auch amerikanischen Protonenzentren zusammen. Nur so können wir den potenziellen Mehrwert der Protonentherapie nachweisen. Es braucht große Datensätze, um Erkenntnisse zu gewinnen."

Bei der Protonentherapie werden Krebsgeschwüre mit positiv geladenen Teilchen beschossen, die auf bis zu 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Gemeinsam mit dem Team aus Ärzten, Physikern und Biologen erforscht Troost diese Technik am OncoRay - einer gemeinsamen Einrichtung der TU Dresden, des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf und des Universitätsklinukums Dresden - und treibt so den Fortschritt voran, für ihre Patienten. Die leiden nicht nur an Krebs, sondern fürchten auch (Spät-)Schäden, die eine herkömmliche Bestrahlung an gesunden Organen verursachen kann. Protonenstrahlen lassen sich sehr genau lenken und dosieren; sie geben ihre Energie überwiegend im Tumor ab und zerstören dessen DNA. Durch die physikalischen Eigenschaften der Protonen wird umliegendes Gewebe so weniger geschädigt. Wer zum Beispiel einen Gehirntumor hat, kann durch die Strahlenbelastung des umliegenden gesunden Gehirns Gedächtnisprobleme entwickeln; es wird erwartet, dass die präzisen Protonenstrahlen dieses Risiko mindern.

Noch genauer hinschauen, noch besser behandeln, darum geht es ihr. Austausch hilft dabei, und auf manche Forschungsidee bringen sie die Patienten selbst. Einer war unglücklich mit den Gedächtnistests, die er regelmäßig machen sollte: Welcher Tag ist heute? Was ist das für ein Tier? ... Er stellte eine Gegenfrage: "Kann man nicht durch bildgebende Verfahren viel objektiver herausfinden, ob gesundes Gewebe geschädigt wurde?" Am Tag darauf bewarb sich ein junger Mann, der genau an dieser Technik forscht, und nun gibt es eine ganze Forschungsgruppe zum Thema. Troosts Arbeit mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs füllt manche Stunde ihrer Tage - neben dem Job als stellvertretende Klinikdirektorin und der Behandlung der Patienten. Das eigene Handwerkszeug und Ethos weiterzugeben macht ihr große Freude. "Ich habe es selbst von meinem Doktorvater übernommen: sich Zeit nehmen, um eine Aufgabe zu durchdenken, damit auch wirklich was dabei rumkommt."

Ärztin werden wollte Troost schon als kleines Mädchen. Sie wuchs im Schwabenland auf, als Kind niederländischer Eltern, und hat in Tübingen studiert. Das Praktische Jahr absolvierte sie in den Niederlanden. Danach plante sie ihre Rückkehr nach Deutschland, für die Facharztausbildung, doch sie brauchte auch Forschungszeit. "Ich wollte nicht nur den üblichen medizinischen Doktor machen, sondern auch einen Ph.D." Das wurde ihr in den Niederlanden angeboten - also blieb sie. "Ich habe es nie bereut", sagt Troost. Einer der schönsten Tage ihres Lebens, erinnert sie sich, war die Verteidigung ihres Ph.D. "Die Niederländer machen das ganz festlich, alle Professoren tragen Roben. Und die 'Aula' war gut gefüllt."

Nur eins will Troost nicht von ihrem Doktorvater übernehmen: das Arbeiten bis zum Burn-out. Deshalb hat sie zwei Coaches engagiert, die auf einen pünktlichen Feierabend bestehen: Beaucerons, große, unternehmungslustige französische Schäferhunde. Morgens um sechs geht Troost mit den beiden an der Elbe spazieren, bevor sie über die berühmte Brücke das Blaue Wunder zur Klinik radelt; abends muss sie rechtzeitig heim für die zweite Runde. Oft aber ist sie schon beim Abendessen wieder gedanklich bei der Arbeit. Troosts Lebensgefährte ist Medizinphysiker, das ergibt zwei Strahlenexperten, die einander beflügeln. "An den Randbereichen meines Faches mit Kollegen anderer Disziplinen zu sprechen, gemeinsam weiterzukommen, das liebe ich." 2012 haben die beiden eine Arbeit publiziert mit dem Ziel, die Bestrahlung stärker zu individualisieren, statt dem üblichen Muster zu folgen.

Die Verschiedenheiten und Wünsche der Menschen nimmt Troost sehr ernst. Der Umgang mit Schwerkranken habe sie schon in jungen Jahren verändert, sagt sie. Seitdem sehe sie das Leben anders, schätze jeden Tag. Ob sie manchmal lieber ein leichteres Medizinfach gewählt hätte? "Nein! Ich habe als Studentin ein Praktikum in der Gynäkologie gemacht, da gingen die meisten Patientinnen nach einer Nacht heim, und ich durfte nur Betten schütteln." In der Strahlentherapie gehen ihr zwar die Einzelschicksale nah, doch sie kann viel für sie tun. "Es ist eine Notsituation, dessen sind sich all meine Kollegen bewusst. Und so verbünden wir uns - mit dem Patienten, gegen den Krebs."

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