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Standpunkt

Prävention – unsere schärfste Waffe gegen Krebs

Bild: Uwe Anspach

Michael Baumann, Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums, erläutert, warum wir in Sachen Prävention so hinterherhinken und was wir tun müssen, um die Forschung und Anwendung voranzutreiben.

In den nächsten 20 Jahren wird die Anzahl der Krebserkrankungen weltweit deutlich steigen. In Deutschland zählen wir aktuell etwa 510.000 Neuerkrankungen im Jahr, mehr als 200.000 Menschen sterben an Krebs. Bereits für 2030 rechnen wir mit jährlich etwa 600.000 neuen Krebsfällen.

Rund 40 Prozent aller neu auftretenden Krebserkrankungen in Deutschland gehen auf das Konto einiger weniger, vermeidbarer Krebsrisikofaktoren: Tabakkonsum, ungesunde Ernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel, hoher Alkoholkonsum sowie bestimmte Infektionen. Eine konsequente Primärprävention kann einen großen Teil dieser Fälle verhindern. Gleichzeitig sind die Ursachen für das Entstehen der übrigen 60 Prozent der Krebsfälle noch nicht völlig entschlüsselt.

Das Gesundheitssystem in Deutschland wie auch in den meisten Industrieländern ist primär auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtet – der Begriff „Reparaturmedizin“ drückt es aus. Doch unsere schärfsten Waffen gegen Krebs sind Prävention und Früherkennung. Leider jedoch herrscht in Deutschland ein eklatanter Mangel an langfristiger und zielgerichteter Präventionsforschung. Auch die Umsetzung unseres Wissens ist unzureichend.

Es fehlt an koordinierten und langfristig angelegten Informationskampagnen sowie an flankierender Evaluationsforschung. Es fehlt an Programmen, die zielgerichtet auf die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ausgerichtet sind und die insbesondere auch Menschen mit hohem Krebsrisiko erreichen. Wir brauchen geeignete Strukturen sowie den politischen Willen, Menschen eine gesunde Lebensweise zu erleichtern und sie zu motivieren, die Krebsfrüherkennung wahrzunehmen.

Handlungsfelder mit erhöhtem Forschungsbedarf

Es besteht Forschungsbedarf, um zentrale Fragen der Prävention zu beantworten: Wie entsteht Krebs und an welchen molekularen „Stellschrauben“ lässt sich dieser Prozess aufhalten? Was motiviert Menschen, bekannte Krebsrisikofaktoren zu meiden? Wie können Tumoren noch früher entdeckt werden? Was erhöht die Gesundheitskompetenz auf individueller und Systemebene? Welche Potenziale bietet die Digitalisierung für die Krebsprävention? Um in diesen Feldern weiterzukommen, sind Fortschritte in der Datenanalyse und im Datenmanagement notwendig.

Das Nationale Krebspräventionszentrum, das wir gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe in Heidelberg aufbauen, wird ein wichtiger Knotenpunkt und Taktgeber für die Krebspräventionsforschung in Deutschland sein – kann diese Aufgaben aber allein nicht bewältigen. Um diese große Herausforderung für eine gesündere Zukunft anzugehen, brauchen wir weitere Verstärkung – aus Lebenswissenschaften und Medizin, aber ebenso ist die Expertise aus der Datenwissenschaft, Pädagogik, Psychologie und anderen Fachdisziplinen gefragt.

Ein konsequent krebspräventiver Lebensstil verlangt den Einzelnen viel ab. Doch Forschungsergebnisse und daraus abgeleitete Appelle an die individuelle Einsicht sind nur ein Teil der Lösung. Denn die Umgebung und soziale Faktoren machen es Menschen leichter oder schwerer, den Präventionsempfehlungen zu folgen. Deswegen engagieren wir uns gleichermaßen für eine Gesetzgebung, die es allen erleichtert, gesundheitsbewusst zu leben – durch Anreize, durch Besteuerung oder Werbeeinschränkungen. Denn auch, wenn die Erfolge der Krebsprävention erst nach Jahrzehnten in der Statistik sichtbar werden, so gilt doch für jede:n Einzelne:n: Wer sich zu einem gesünderen Lebensstil entschließt, senkt damit sofort sein Lebenszeitrisiko, an Krebs zu erkranken!

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