Portrait
Pionier im Kampf gegen den Krebs
Stefan Pfister vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) entwickelt neue Methoden, mit denen Tumore bei Kindern und Jugendlichen präziser diagnostiziert und besser behandelt werden können.
Dass sie diesen mittelalterlichen Hof in Ladenburg kaufen würden, war Stefan Pfister und seiner Familie gleich klar, als sie ihn vor ein paar Jahren besichtigten. Es passte einfach alles: Das Gemäuer mit seinem historischen Fachwerk bietet genug Platz für die ganze Familie mit den zwei Kindern, es gibt einen Musikkeller, in dem bis zu 70 Zuhörer Platz finden und einen Innenhof für Konzerte und Theateraufführungen mit bis zu 110 Gästen – und es dauert mit dem Fahrrad nur eine halbe Stunde neckaraufwärts nach Heidelberg, wo Pfister als Kinderonkologe am Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ), dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Universitätsklinikum Heidelberg arbeitet.
„Unser Hof und der zugehörige Kulturverein sind ein ziemlich extensives Hobby“, sagt Stefan Pfister – aber er sagt es mit einem solchen Strahlen im Gesicht, dass deutlich wird: Aus der Renovierung des Hofes, aus all den Kindertheater-Vorstellungen und Wochenend-Konzerten gewinnt er mehr Energie, als er hereinsteckt. Es ist Energie, die er für seinen Hauptberuf dringend benötigt: Pfister gilt als Pionier bei der Klassifizierung und molekularen Diagnostik von Tumoren bei Kindern und Jugendlichen – eine Arbeit, mit der sein Team und er dazu beitragen, die Lebenserwartung von jungen Patienten mit Krebserkrankungen zu erhöhen.
Eigentlich aber ist sein wissenschaftlicher Erfolg das Ergebnis eines nicht gehaltenen Versprechens. „Meine Mutter ist Kinderärztin“, sagt der 48-Jährige, „und meine Schwester und ich haben uns vorgenommen: Wir werden nie Medizin studieren, und wenn doch, dann zumindest auf keinen Fall mit der Spezialisierung auf Pädiatrie.“ Er lacht. Der Plan ist nicht nur ihm missglückt: Seine Schwester hat inzwischen die Kinderarzt-Praxis der Mutter in Tübingen übernommen.
Leibniz-Preis 2023
Der Molekularbiologe Stefan Pfister erhält den wichtigsten deutschen Wissenschaftspreis. Mehr dazu hier.
„Ich hatte das Glück, dass ich zu einer Zeit in diesen Beruf gekommen bin, in der eine Revolution ablief“
Was Stefan Pfister während seines Medizinstudiums in Hamburg und Tübingen als erstes in den Bann zog, war aber weniger die Kinderheilkunde als vielmehr die Onkologie. „Ich finde, in dem Bereich gibt es die besten Möglichkeiten, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in konkrete Anwendungen zu übersetzen“, sagt er. Und genau das will er: Nicht nur „schöne Forschung“ zu produzieren, wie er es nennt, sondern konkrete Verbesserungen bewirken. Deshalb ging er auch als Postdoc an die Universität nach Harvard, schon fokussiert auf Onkologie, und bewusst nur auf zwei Jahre angelegt – „getrieben von der Neugier, einmal in diesem weltberühmten Laden zu schauen, wie die Sachen dort funktionieren.“ Manches, stellte er fest, funktioniert im deutschen Gesundheitswesen besser als in Amerika, aber anderes inspirierte ihn auch: Er lernte das Konzept der Comprehensive Cancer Center kennen, bei denen Forschung und Patientenversorgung unter einem Dach stattfinden. Er sah die große Rolle, die Philantropen in der Forschung und medizinischen Versorgung spielen, die Offenheit für die Zusammenarbeit mit Firmen, die Gründerkultur, die Freude der Forschenden daran, ihre Arbeit in der Öffentlichkeit vorzustellen und zu erklären.
Das alles sind Impulse, die schließlich zur Gründung des KiTZ beigetragen haben – des Hopp-Kindertumorzentrums in Heidelberg, das 2016 entstand, zu wesentlichen Teilen getragen durch großzügige Mäzene aus der Region. Es ist eine der europaweit führenden Einrichtungen zur Behandlung von Krebs bei Kindern und Jugendlichen. „Wir reden von etwa 2.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland“, sagt Stefan Pfister – und weil Krebs bei Kindern völlig anders geartet ist als bei Erwachsenen, gibt es den eigenständigen Bereich der Kinderonkologie. Erwachsene beispielsweise haben oft Brust-, Darm-, Leberkrebs, während Kinder vor allem an Hirntumoren, Leukämien oder Bindegewebstumoren leiden – alles Erkrankungsgruppen, die bei Erwachsenen wiederum nur selten vorkommen. Und: Glioblastome etwa – eine besonders bösartige Art des Gehirntumors – gibt es bei Erwachsenen wie Kindern, es stehen aber jeweils völlig andere genetische Mechanismen dahinter.
„Ich hatte das Glück, dass ich zu einer Zeit in diesen Beruf gekommen bin, in der eine Revolution ablief“, sagt Stefan Pfister. Die Gensequenzierung und die Möglichkeiten, mit Petabytes von Daten zu arbeiten – alles das hat einen ganz neuen Blick auf die Onkologie ermöglicht, und Stefan Pfister hat mit seinem Team wesentlich dazu beigetragen, diesen Blick zu schärfen. Sein großes Ziel: Er will die Tumore besser klassifizieren. Hunderte Arten gibt es, die sich in ihrer Ausprägung unterscheiden und früher, vor den modernen Methoden, kaum zu unterscheiden waren. Die genetischen und epigenetischen Grundlagen verwendet sein Team für eine präzisere Diagnosestellung: Die Wissenschaftler nutzen also die Sequenzierung, um zu schauen, welche Gene sich wie verändert haben. Und sie schauen auf die Entstehung der Tumore: Viele Krebserkrankungen im Kindesalter werden durch eine einzige genetische Veränderung verursacht, zum Beispiel die Verschmelzung zweier Gene, die eigentlich auf verschiedenen Chromosomen liegen. Solche Ereignisse können zufällig in einer Zelle während ihrer Entwicklungsphase auftreten und in der Folge zu einer unkontrollierten Zellteilung führen.
„Wenn wir mehr über den Krebs wissen, den jeder einzelne Patient hat, können wir die Behandlung präziser darauf abstimmen, wir haben mehr Handlungsoptionen und können die Nebenwirkungen der Therapie reduzieren“, sagt Stefan Pfister. Die Arbeiten des Heidelberger Teams, an denen mehrere Fachdisziplinen wie etwa die Neuropathologie eng beteiligt sind, ist inzwischen sogar zur Grundlage für die Tumor-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation geworden.
Für ihn fängt jetzt eine neue Phase der Karriere an, vielleicht war der Leibniz-Preis dafür einer der Auslöser: „Die vergangenen 20 Jahre haben wir uns vornehmlich mit der richtigen Klassifikation und Diagnose beschäftigt. Die nächsten 20 Jahre will ich jetzt dazu nutzen, bessere Therapien zu den Patienten zu bringen“, sagt er, dann fügt er hinzu: „Schon jetzt ist es für mich ein größerer Durchbruch, wenn eine neue Analysemethode, die wir entwickelt haben, von der Krankenkasse übernommen wird, als wenn wir ein weiteres Nature-Paper veröffentlichen.“
Und noch ein Ziel hat Stefan Pfister; eines, das nichts mit der Medizin zu tun hat. Er ist Mitbegründer des Tübinger Saxophon-Ensembles – ein gutes Dutzend Musiker spielt dort zusammen, um zu beweisen, dass das Saxophon durchaus auch in die klassische Musik gehört. Johann Sebastian Bach ist Pfisters Lieblingskomponist, dem Saxophon und dem Kulturverein Kettenheimer Hof e.V. widmet er seine freien Wochenenden. Und dem Saxophon verdankt er viel: Seine Frau hat er als Schüler beim Instrumentalunterricht kennengelernt, sie hatte die Stunde vor ihm.
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