Interview
„Nur im Dialog finden wir Lösungen für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit“
Israel zählt zu den wichtigsten Partnern für die deutsche Wissenschaft. Das Land investiert so stark in Forschung und Entwicklung wie kaum ein anderes. Mit seiner dynamischen Gründerszene gilt es als Hightech-Nation. Doch seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg steckt das Land in einer Krise, von der auch die Wissenschaft betroffen ist. Helmholtz-Präsident Otmar D. Wiestler traf sich zwei Tage lang mit Partnerorganisationen, um über die aktuelle Lage und gemeinsame Projekte in schwierigen Zeiten zu sprechen.
Herr Wiestler, Israel steht nach über neun Monaten Krieg mitten in einer tiefgreifenden Zäsur, die auch Spuren an den Wissenschaftsinstitutionen hinterlassen hat. Wie nehmen Sie das Land heute wahr?
Man muss zwischen zwei Eindrücken unterscheiden. Wenn man in das Land kommt, nach Tel Aviv fliegt, durch die Stadt fährt und Institutionen besucht, fühlt es sich zunächst mehr oder weniger an wie eh und je. Vordergründig herrscht eine geradezu auffallende Normalität, was das tägliche Leben angeht. Es ist bemerkenswert, wie die Menschen es schaffen, unter schwierigsten Rahmenbedingungen weiterzumachen. Allerdings, wenn man hinter die Kulissen blickt, mit Kolleginnen und Kollegen spricht, die man gut kennt, wird deutlich, dass der Krieg nicht spurlos an dem Land vorbeigeht und sich auch stark auf das Wissenschaftssystem auswirkt.
Es ist Ihre zweite Reise nach Israel in diesem Jahr. Was hat sich in den vergangenen Monaten verändert?
Die Lage hat sich in den vergangenen Monaten auf jeden Fall noch einmal verschärft. Es ist relativ offensichtlich, dass die Wirtschaft angeschlagen ist. In Gesprächen mit unseren israelischen Partnern hören wir außerdem, dass die Wissenschaft unter Druck gerät. Es wird zunehmend eine Herausforderung, internationale Talente zu rekrutieren. Die Wissenschaft zahlt einen hohen Preis für das, was politisch im Land passiert. Es hat einen Stimmungsumschwung gegeben, seitdem sich viele Länder von Israel abwenden. Wir sehen die Proteste an Universitäten und leider auch internationale Boykott-Aufrufe gegen wissenschaftliche Institutionen in Israel.
Was ist Ihre Antwort darauf?
Darauf haben wir eine ganz klare Antwort: Gemeinsam mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen stellen wir uns entschieden gegen derartige Boykott-Forderungen. Nur im Dialog finden wir Lösungen für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass unsere Verbindung zur israelischen Wissenschaft weiterhin so stark bleibt. Dafür machen wir uns auch in Brüssel auf Ebene der EU stark. Außerdem achten wir darauf, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Israel bei Konferenzen, in Gremien und anderen Austauschformaten vertreten sind. Die deutsch-israelischen Wissenschaftsbeziehungen sind teils älter als die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Wir sollten diese wichtige Brücke niemals unterschätzen. Das ist auch ganz in unserem wissenschaftlichen Interesse, denn in Israel arbeitet eine eindrucksvolle Anzahl brillanter Forscherinnen und Forscher.
Über welche Forschungsprojekte haben Sie während der Reise gesprochen?
Wir haben ein gutes Dutzend Gespräche mit Partnern aus fast allen unseren Forschungsbereichen geführt. Victor Malka vom Weizmann Institut zum Beispiel ist Pionier auf dem Gebiet der Laser-Plasma-basierten Elektronenbestrahlung für medizinische Anwendungen und arbeitet dazu eng mit einem Team am HZDR in Dresden. Diese Alternative zu klassischen Beschleunigern hat unter anderem das Potenzial, die Strahlentherapie von Tumoren wesentlich zu vereinfachen. An der Tel Aviv University haben uns Yaron Oz und Haim Suchowski ihre bahnbrechenden Arbeiten zur verschlüsselten Quantenkommunikation über Satelliten vorgestellt. Mit Ilana Berman-Frank von der Haifa University haben wir uns zu den Fortschritten in einem gemeinsamen Ozeanforschungsprojekt mit dem GEOMAR ausgetauscht, das sich die Veränderungen des östlichen Mittelmeeres vom Küstenbereich bis in die Tiefsee anschaut – einer Region, die sowohl vom Klimawandel als auch durch anthropogene Belastungen stark beeinflusst wird. An der Hebrew University in Jerusalem haben wir außerdem vereinbart, unsere erfolgreiche Zusammenarbeit im Bereich Entrepreneurship kontinuierlich weiter auszubauen. Das sind nur wenige Beispiele aus einer eindrucksvollen Reihe von exzellenten Projekten.
Helmholtz hat seit fünf Jahren ein Büro in Tel Aviv. Wie kann eine langfristige Vision für Kooperationen der Helmholtz-Gemeinschaft mit Israel aussehen?
Wir sollten die besondere Beziehung, die wir über Jahrzehnte zur israelischen Wissenschaft aufgebaut haben, gut nutzen und systematisch ausbauen. Schwerpunkte sehe ich unter anderem in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Physik, Biomedizin und Klimaforschung. Dafür müssen wir den Austausch gerade von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch weiter intensivieren. Neben der rein wissenschaftlichen Zusammenarbeit wollen wir die Wirtschaft und insbesondere Start-ups stärker einbeziehen. Unser Innovation Summit, den wir seit einigen Jahren in Kooperation mit unseren Partnern von der Israel Innovation Authority in Tel Aviv ausrichten, ist dafür ein erfolgreiches Format, das wir kontinuierlich weiterentwickeln. Mit Dror Bin, dem CEO und mit Michael Kaschke, habe ich mich auf der Reise darüber ausgetauscht, wie wir Kooperationen zwischen Wissenschaft, Industriepartnern und Startups beider Länder zukünftig noch stärker ausbauen können. In Israel findet man in einer ganzen Reihe von Forschungsgebieten so viele Talente wie an kaum einen zweiten Ort. Das betrifft gerade Schlüsseltechnologien mit einem hohen Wertschöpfungspotenzial. Wir sollten uns deshalb auch fragen, wie wir Deutschland für Israelis attraktiver machen können, um bei uns Unternehmen zu gründen.
Hintergrund der Reise
Im Juli 2024 besuchte Helmholtz-Präsident Otmar Wiestler zusammen mit Maike Sander, Wissenschaftliche Vorständin am Max Delbrück Center, und Stifterverband-Präsident Michael Kaschke mehrere Partner der Helmholtz-Gemeinschaft in Israel, um sich über die Situation der Wissenschaft im Land und über aktuelle Forschungsprojekte auszutauschen. Stationen waren unter anderem das Weizmann Institut, die Tel Aviv University, die Hebrew University. Darüber hinaus gab es Gespräche mit einer Delegation der Haifa University und dem deustchen Botschafter Steffen Seibert. Bei einem Treffen mit der Israel Innovation Authority und weiteren Vertretern aus dem Innovationsökosystem ging es um die Frage, wie sich Kooperationen zwischen Wissenschaft Industriepartnern und Start-ups beider Länder zukünftig noch weiter ausbauen lassen.
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