Portrait
Neugierig auf das Universum
Dunkle Materie und kleinste Teilchen interessieren die Physikerin Beate Heinemann schon lange. Mit Begeisterung und Liebe zum Detail forscht und lehrt sie im Bereich Teilchenphysik.
Als die Öffentlichkeit vom Nachweis des Higgs-Teilchens erfuhr, war die Nachricht bei Beate Heinemann längst angekommen. "Unglaublich", sagt sie. "Ich war doch überrascht." Zwar rechneten Physiker fest damit, aber rund fünfzig Jahre lang war es eben nur eine Theorie. Sie selbst weiß gut, wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich aus den Daten eines Teilchenbeschleunigers ein Ergebnis herauslesen kann und "zum ersten Mal sieht, dass etwas funktioniert."
Beate Heinemann ist Leitende Wissenschaftlerin am Helmholtz-Forschungszentrum DESY sowie Professorin für experimentelle Teilchenphysik an der Universität Freiburg. Sie forscht zur Wechselwirkung zwischen Teilchen und zur Dunklen Materie. In der Forschung zu den kleinsten Teilchen hofft sie eine Antwort auf eine der größten Fragen zu finden:
Wie funktioniert das Universum?
Heinemann – die erste Naturwissenschaftlerin in ihrer Familie – war schon in der Schule sehr gut in Mathe und wollte zuerst Ingenieurin werden, schrieb sich aber doch an der Universität Hamburg für Physik ein und war selbst überrascht, wie gut sie abschnitt. "Es hat mir Spaß gemacht", sagt sie. "Ich habe schon immer gern Probleme gelöst." Nach dem Diplom wurde ihr angeboten, eine Doktorarbeit zu schreiben und so blieb sie an der Universität.
Nach ihrer Promotion 1999 arbeitete sie sieben Jahre an der Universität Liverpool und forschte von 2001 bis 2006 mit mehr als 700 Kollegen an einem Experiment am Teilchenbeschleuniger Tevatron bei Chicago, dem damals größten der Welt. Von 2007 bis 2016 lehrte sie an der Universität von Kalifornien, zuerst als Assoziierte Professorin, ab 2012 als Professorin, und wurde Leitende Wissenschaftlerin des Lawrence Berkeley National Labors.
2016 wurde ihr die Stelle als Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und die Professur in Freiburg angeboten und ein Jahr später kehrte sie nach 18 Jahren im Ausland wieder zurück in ihre Heimatstadt Hamburg. Hier konnte sie an eine lange Geschichte anknüpfen: Bereits ihre Promotion hatte sie über ein Experiment an einem DESY-Ringbeschleuniger geschrieben und seit 2007 arbeitete sie zusammen mit DESY-Forschern in der ATLAS-Kollaboration am Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Teilchenphysiklabor CERN mit. Von 2013 bis 2017 war sie stellvertretende Sprecherin der internationalen ATLAS-Kollaboration. Mithilfe der Experimente am Teilchenbeschleuniger will sie unter anderem herausfinden, wie sich Dunkle Materie bildet.
Nicht nur richtig, sondern auch elegant
In diesem Fachgebiet sind noch viele Fragen offen. Man nimmt an, dass es Dunkle Materie geben muss, ohne sie bisher zu kennen – ähnlich wie jahrzehntelang das Higgs-Teilchen. Der Dunklen Materie nähert sie sich im Ausschlussverfahren. "Wir machen jedes Jahr Fortschritte dabei festzustellen, was sie nicht ist", sagt Heinemann. Sie hält es für möglich, innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre herauszufinden, worum es sich bei der Dunklen Materie handelt. "Alles über sie zu verstehen wird länger dauern", sagt sie und lacht.
"Ich bin davon getrieben, dass mir die tägliche Arbeit Spaß macht", sagt Heinemann. Ihr Arbeitstag beginnt zwischen acht und neun Uhr morgens, nachdem sie Sport gemacht hat, denn gerade trainiert sie für den Berliner Marathon – es wäre ihr dritter. Sie arbeitet an Experimenten, hat Meetings mit Postdocs oder Studenten, tauscht sich mit anderen Wissenschaftlern aus und konzipiert neue Experimente. Heinemann schätzt die großen internationalen Kollaborationen, bei denen mehrere hundert Wissenschaftler auf der ganzen Welt zusammenarbeiten. Von sich selbst sagt sie: "Ich bin sehr detailorientiert" und es gefällt ihr, wenn eine physikalische Erklärung nicht nur richtig ist, sondern auch elegant.
75 Prozent ihrer Zeit verbringt sie in Hamburg, die übrige in Freiburg an ihrem Lehrstuhl. Was nach einem großen Abstand klingt, ist für Heinemann schon viel näher als früher, als sie in den USA lehrte und zum CERN in die Schweiz flog. "Ob ich im Büro arbeite oder im Zug, ist egal", sagt sie. Auch die Lehre ist ihr wichtig.
Die komplizierte Welt begreifen
Wissenschaft hat für Heinemann auch eine gesellschaftliche Bedeutung. Es ist kein Sonderbereich für Experten, sondern ein Weg um die komplizierte Welt zu begreifen und ihre ebenfalls komplizierten Probleme anzugehen. "In Deutschland gibt es eine enorme Wertschätzung von Wissenschaft und Bildung", sagt sie. "Hamburg als Wissenschaftsstadt gefällt mir auch." Zudem leben Familie und Freunde noch hier.
Ganz unaufgeregt setzt sie sich für Frauen ein, hat viele weibliche Postdocs und engagiert sich im Mentorenprogramm "dynaMENT" der Uni Hamburg. Sie hofft aber auch, "einfach durch meine Existenz" etwas zu bewirken, denn sie kann sich noch gut erinnern, dass sie es als Studentin sehr bewusst wahrgenommen hat, dass unter den Professoren an ihrem Fachbereich auch eine Frau war.
Ein Anliegen ist es ihr, den Nachwuchs zu fördern und Wissenschaft zu erklären. Auf YouTube kann man sich ansehen, wie sie in der Reihe "Was Physiker tun" in verständlichen Worten erklärt, wie man nach dem Higgs-Teilchen gesucht hat. Heinemann stellt fest, dass Kinder oft wissen wollen, wie Dinge funktionieren. Dass sie nach und nach dieses Interesse verlieren, bedauert sie, denn das neugierige Nachfragen ist für Heinemann eine Grundfrage der Naturwissenschaft.
Auf ihrer Homepage steht in der Rubrik "Lieblingszitate" auch eines von Albert Einstein: "The important thing is not to stop questioning. Curiosity has its own reason for existing." Zu Deutsch: Es ist wichtig, nicht mit dem Fragen aufzuhören. Neugier hat seine eigene Existenzberechtigung.
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