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Vorhofflimmern

Mit Sensortechnologie das Schlaganfallrisiko senken

Markus Reinthaler und Kate Polak-Kraśna. Foto: Hereon/Hanin Alkhamis, Kate Polak-Kraśna

Herzrhythmusstörungen können das Schlaganfallrisiko erhöhen. Ein Eingriff kann helfen, doch führt nicht immer zum gewünschten Ergebnis. Katarzyna Polak-Kraśna und Markus Reinthaler vom Helmholtz-Zentrum Hereon haben zusammen mit ihrem Team ein Gerät entwickelt, mit dem man die Erfolgschancen erhöht. Jetzt bereiten sie die Gründung ihres Start-ups Sensimply vor.

Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Erkrankungen des Herzens. Rund 60 Millionen Menschen sind weltweit betroffen. Eine Folge davon: Es können Blutgerinnsel entstehen, bis ins Gehirn wandern und dort einen Schlaganfall auslösen. Neben Blutverdünnern kommt heute immer öfter ein Eingriff ins Spiel, die die Quelle der Blutgerinnsel verschließen soll. Der Erfolg hängt aber davon ab, wie gut der Pfropf im Herzen sitzt. Die Lösung könnte in einer Kombination aus angepasstem Verschluss und sensorgesteuerter Operation liegen. Wie das funktioniert, erzählen die Biomedizintechnikerin Katarzyna Polak-Kraśna und der Mediziner Markus Reinthaler im Interview.

Grafik: Hereon

Ihr bereitet gerade ein Spin-off vor, mit dem ihr das Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern senken wollt. Was genau hat es damit auf sich?

Markus: Beim Vorhofflimmern sind die Kontraktionsabläufe der Vorkammern eingeschränkt und unregelmäßig, wodurch die Fließgeschwindigkeiten des Blutes reduziert werden und so das Risiko für die Entstehung von Blutgerinnseln steigt. In den letzten 20 Jahren hat man festgestellt, dass bei diesen Patient:innen 90 Prozent aller Blutgerinnsel, die einen Schlaganfall im Gehirn auslösen, in einem kleinen Hohlraum des linken Vorhofs entstehen. Diesen Hohlraum nennt man linkes Vorhofohr. Da nicht jeder die Standardtherapie mit Blutverdünnern verträgt, gibt es die Möglichkeit, diese kleine Ausstülpung des linken Vorhofes mit einem Occluder zu verschließen. Dadurch sinkt das Risiko eines Schlaganfalls beträchtlich.

Kate: Das Hauptproblem dabei ist jedoch, dass diese Dichtung nicht immer wie angegossen passt. In über 50 Prozent der Fälle leckt sie. Blutgerinnsel können dann aus dem Vorhofohr am Verschluss vorbei wandern. Das Schlaganfallrisiko ist also wieder erhöht. Deshalb haben wir eine Technologie entwickelt, die während der Implantation dafür sorgt, dass eventuell Lecks sofort erkannt und durch eine Änderung der Ausrichtung des Occluders minimiert werden können. Dies ist eine vielversprechende Lösung zur Verbesserung der Implantation und zur Verringerung des Schlaganfallrisikos.

Herz mit zwei Ohren

Sie heißen Auricula dextra und Auricula sinistra – rechtes und linkes Herzohr. Kleinen Beuteln gleich, stülpen sie sich in die Wand der beiden Vorhöfe unseres Herzens. Welchen Zweck sie genau erfüllen, wird immer noch erforscht. Eines ist aber klar: In ihnen können Blutgerinnsel entstehen. Im linken Vorhofohr führt Vorhofflimmern – eine verbreitete Erkrankung des Herzens – besonders häufig zur Bildung dieser winzigen Verklumpungen. Die können dann mit dem Blutfluss ins Gehirn wandern, dort ein Gefäß verstopfen und damit einen Schlaganfall auslösen. Auch im rechten Vorhofohr können möglicherweise Blutgerinnsel entstehen und dann in der Lunge eine Embolie verursachen. Doch das ist medizinisch eher eine Randerscheinung und vermutlich nicht von Relevanz.

Wie funktioniert das?

Markus: Um zu entscheiden, wo und wie man den Verschluss im Herzen platziert, werden normalerweise bildgebende Verfahren eingesetzt. Vor allem die Echokardiografie. Doch dabei ist die Bildqualität oft nicht ausreichend, um den optimalen Sitz des Implantates zu bestätigen.  Dies trifft im Übrigen auch auf andere Katheter gestützte Behandlungsformen zu. Deshalb verfolgen wir einen sensorgesteuerten Ansatz, um die Implantation von kardiovaskulären Geräten zu verbessern. Am Beispiel des Vorhofohrverschlusses befinden sich unsere Sensoren also auf der Oberfläche des Occluders. Diese ermöglichen es uns, Informationen in Echtzeit über die Position des Implantates zu generieren. So kann der oder die behandelnde Ärzt:in sofort sehen, ob er nachjustieren muss. Damit wird das Verfahren insgesamt schneller, sicherer und natürlich auch effektiver.

Gibt es etwas Ähnliches bereits auf dem Markt?

Kate: Definitiv nicht. Es gibt keine Geräte mit sensorgesteuerter Implantation auf dem Markt. Es gibt auch kein Echtzeit-Feedback direkt vom Ort der Implantation. Wie Markus bereits erwähnt hat, erfolgt die gesamte Bildgebung während des Eingriffs mit bildgebenden Verfahren. Mit unserem Sensor, der Informationen direkt vom Implantat liefert, haben wir ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.

3D-gedruckte Okkluder. Foto: Hereon/Katarzyna Polak-Kraśna

Wie seid ihr auf die Idee für das Gerät gekommen?

Markus: In der kardiovaskulären Medizin gibt es seit einigen Jahren einen ausgeprägten Trend von offenen Operationen hin zu minimal-invasiven Eingriffen mit Kathetertechnologien. So werden auch die Verschlüsse des linken Vorhofohrs durchgeführt. Als ich 2015 ans Helmholtz-Zentrum Hereon kam, wollten wir an der nächsten Generation dieser Geräte arbeiten. Denn die gibt es nur in Standardgröße und das passt nicht für jedes Herz einwandfrei. Wir hatten mehrere Ansätze und auch schon einige Prototypen gebaut, als Kate zum Team hinzustieß. Und sie brachte die Idee mit der Sensortechnologie mit. Uns war klar: Die Kombination unseres Prototypen mit der Sensorik würde die Einsatzmöglichkeiten enorm verbessern.

Kate: Damals tauchten in der Literatur immer mehr Berichte über Lecks bei diesen Eingriffen auf. Es wurde gezeigt, dass sie recht häufig sind. Und es gab immer mehr Daten, dass selbst kleine Lecks das Schlaganfallrisiko erhöhen. Da haben wir erkannt, dass die direkte Behebung dieser Lecks ein wichtiger Ansatz ist, um die Implantation noch besser, sicherer und effizienter zu machen. Die Idee mit dem Sensor vor Ort war dann nur eine logische Schlussfolgerung.

Wo steht ihr aktuell und welche Meilensteine habt ihr euch gesetzt?

Markus: Bisher haben wir mehrere 3-D-gedruckte Prototypen entwickelt, um die Funktionsweise des mechanisches Designs zu testen. Außerdem haben wir Proof-of-Concept-Studien mit den Sensoren durchgeführt. Damit zeigen wir, dass sie die Platzierung im Herzgewebe erkennen können. Der Machbarkeitsnachweis ist also erbracht. Jetzt geht es an die Realisierung des Prototyps, der in den ersten Tierversuchen verwendet werden kann.

Kate: Genau. Wir haben bereits gezeigt, dass unsere Sensoren mit tierischem Gewebe ziemlich gut funktionieren. Aber es ist natürlich kein lebendes Gewebe. Nun wollen wir sicherstellen, dass das Ganze auch in einem lebenden, sich bewegenden, schlagenden Herzen funktioniert. Das ist die Richtung, die wir jetzt einschlagen. Dafür werden wir vom Go-Bio initial Programm des BMBF gefördert. Wir werden mit dem Projekt in den nächsten Monaten beginnen. Es wird zwei Jahre dauern, an deren Ende wir die ersten Tiermodelle fertiggestellt haben wollen – und bis dahin hoffentlich auch bereit für ein Spin-off sind.

Markus, du arbeitest auch als Arzt an der Charité. Was bedeutet für die Kombination aus Klinik und Forschung für euer Projekt?

Markus: Die Charité hat in verschiedenen Bereichen der Grundlagenforschung enormes Fachwissen. Durch meine Tätigkeit im deutschen Herzzentrum der Charité pflege ich gute Kontakte zu diversen Forschungsgruppen. Einige werden uns nun bei der Umsetzung dieses doch sehr ambitionierten Projektes unterstützen. Insgesamt haben wir uns bemüht alle Schlüsselelemente des Projektes mit entsprechenden Expert:innen zu besetzen. Dies ist uns denke ich durch die Kooperation von Charité und Hereon sehr gut gelungen.

Kate: Ich würde sagen, ohne die Charité, ohne Markus würde es diese Idee gar nicht erst geben. Denn wir brauchen unbedingt die klinischen Perspektive. Forschungseinrichtungen finden oft erst Lösungen und suchen dann nach den Problemen. Wir versuchen, es andersherum zu machen. Dank Markus und seinen Kolleg:innen erhalten wir direkte Einblicke in die Klinik. So können wir Lösungen für wirklich existierende Probleme entwickeln und an klinischen, bedarfsorientierten Ansätzen arbeiten, die einen großen Einfluss auf die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in der Zukunft haben werden.

Das Team hinter den sensorischen Okkludern nach dem erfolgreichen Pitch um eine Finanzierung aus dem GoBio Initial-Programm, von links: Adalbert Pakura, Marcin Kraśny, Kate Polak-Kraśna, Markus Reinthaler, Fabian Barbieri. Foto: Hereon/Katarzyna Polak-Kraśna

Kate, was bedeutete es für Dich, ein Startup zu gründen?

Kate: Wir sind in erster Linie Wissenschaftler:innen und Kliniker:innen. Am Anfang hatten wir absolut keine Ahnung, was wir hier tun. Wir haben dann eine Finanzierung vom Helmholtz Enterprise Spin-off Programm erhalten. Die hat es uns ermöglicht, zusätzliche Teammitglieder einzustellen. Die helfen uns bei der Sensortechnologie und der Strategie für die Vermarktung. Dadurch konnten wir die unternehmerische Denkweise besser verstehen und lernen, was auf dem Weg zur Kommerzialisierung unseres Produkts und zur Gründung eines Start-ups zu tun ist. Es hat uns auch viele Schulungen, Coachings und Networking-Events ermöglicht, bei denen wir Investoren und potenzielle Partner treffen konnten. Wir haben nun also die nötigen Werkzeuge und Mittel an die Hand, um zu verstehen, wie es geht. Das macht mir Spaß. Versteh mich nicht falsch – ich liebe es, Wissenschaftlerin zu sein. Aber das ist etwas ganz Neues, ganz anderes und ein sehr aufregender Teil meines Lebens.

Markus, was ist Deine Vision von der Medizin der Zukunft?

Markus: Das ist eine sehr interessante und wichtige Frage. Denn genau darum geht es uns: Wir wollen die Zukunft gestalten. Bei kardiovaskulären Verfahren, die ja Kern unserer Arbeit sind, wird es in den nächsten Jahren sicherlich noch viele Verbesserungen geben. Der Wechsel von der offenen Herzchirurgie zu Transkatheter-Verfahren wird sich meiner Meinung nach beschleunigen. Die Eingriffe werden immer komplexer. Um dieser Komplexität aber gerecht zu werden, benötigen wir genauere Informationen über das Verhalten des Implantates während des Eingriffs. Diesem Problem wollen wir nun durch integrierte Sensoren begegnen. Durch eine KI basierte Verarbeitung der Sensorinformationen zusammen mit anderen für den Eingriff relevanten Daten, könnte in Zukunft auch eine roboterassistierte Therapie Realität werden. Das heißt, der oder die Mediziner:in behält immer noch die Kontrolle über den Eingriff, aber wird durch Assistenzsysteme unterstützt. Dies würde die Lernkurve für neue Verfahren extrem beschleunigen.

Kate, teilst du diese Vision?

Kate: Ja, absolut. Ich bin froh, dass Markus das Thema angesprochen hat. Denn den menschlichen Faktor im klinischen Kontext zu eliminieren, war einer der Gründe, aus denen ich Biomedizintechnikerin werden wollte. Mit der Sensortechnologie machen wir weniger Fehler. Denn wir sehen, was während des Eingriffs im oder in der Patient:in vor sich geht. Und wir haben auch die Möglichkeit, die Patient:innen danach zu überwachen. Wir sind immer wieder überrascht, wie viele Dinge wir noch nicht wissen, noch lernen, noch verstehen müssen. Die Sensoren werden uns die Daten liefern, die wir dafür benötigen. Dadurch wächst unser Verständnis und wir können die Verfahren weiter verbessern. Ich denke also, dass die Sensortechnologie das Potenzial zum Game Changer für die Medizin der Zukunft hat.

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