Portrait
Mit Mini-Poren und KI gegen Krankheitserreger
Am Helmholtz-Zentrum in München entwickelt Lara Urban ein schnelles Genlabor für die Hosentasche. In Verbindung mit Künstlicher Intelligenz will sie damit Krankheitserreger in der Umwelt aufspüren, bevor sie zur Gefahr für bedrohte Tiere – und für uns – werden.
Covid-19 war ein Weckruf für die Welt. Eine globale Pandemie mit mindestens 20 Millionen Toten. Ausgelöst durch ein aus dem Tierreich stammendes Virus (SARS-CoV-2). Sehr wahrscheinlich befördert durch die Zerstörung von natürlichen Waldhabitaten in Südostasien. Das Thema Gesundheit – so viel ist spätestens seit „Corona“ klar – muss künftig breiter und globaler verstanden werden. „Genau das beschreibt der One-Health-Ansatz“, erklärt die Bioinformatikerin Lara Urban. „Dieses auch als ‚Planetare Gesundheit‘ bekannte Konzept besagt, dass die Gesundheit aller Lebewesen – Menschen, Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen – und Ökosysteme auf unserer Erde eng miteinander verflochten ist und deshalb immer zusammen gedacht werden muss.“
Aus „One-Health“ folgt unter anderem, dass Zoonosen – also Infektionskrankheiten, die sich zwischen Tier und Mensch übertragen – deutlich seltener auftreten, wenn Ökosysteme intakt und vielfältig sind. Werden natürliche Habitate wie Wälder dagegen durch menschliche Aktivitäten zurückgedrängt oder zerstört, sind monotone Lebensräume mit geringer Artenvielfalt die Folge. „Krankheitserreger wie SARS-CoV-2 können in diesen uniformen Populationen mit geringer genetischer Diversität viel schneller entstehen und sich leichter ausbreiten“, sagt Lara Urban. „Mit der Umweltzerstörung befördern wir also nicht nur das Artensterben, sondern schaden auch unserer eigenen Gesundheit. Deshalb ist es so wichtig, One Health besser zu verstehen und dafür moderne Technologien anzuwenden.“
Lara Urban setzt dabei auf Genomik-Technologien wie die Nanoporen-Sequenzierung und verbindet sie mit Künstlicher Intelligenz. Seit 2022 leitet sie die Helmholtz-Nachwuchsgruppe „One Health“, die bei Helmholtz AI und am Helmholtz Pioneer Campus in München angesiedelt ist. Für ihre Forschung wurde sie 2023 auf der Gala der Deutschen Wissenschaft als Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres 2022 geehrt. Anfang 2024 berief sie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in den deutschen „One Health“-Beirat.
„Ein Ziel unserer Arbeit ist die mobile und schnelle Erkennung von Krankheitserregern in der Natur“, erklärt Lara Urban. „Dafür müssen wir deren genetisches Material in Umweltproben identifizieren. In Echtzeit ist das derzeit nur mit Nanoporen-Sequenzierung möglich.“ Dabei befindet sich in einem USB-Stick-großen Sequenzier-Gerät eine Polymermembran, in die winzige Proteinporen eingelagert sind. Eine über die Membran gelegte Spannung erzeugt einen konstanten Ionenfluss durch die Nanopore. Spezielle Enzyme (Helikasen) trennen dann die Doppelhelix der Proben-DNA auf. Schließlich gleitet der Einzelstrang durch die Pore und stört dabei den Ionenfluss je nach Abfolge der Basen auf charakteristische und messbare Weise. „Heraus kommt ein relativ verrauschtes Signal, aus dem wir dann mithilfe von KI-Modellen und leistungsstarken Prozessoren in Echtzeit die reale DNA-Sequenz ableiten und sofort mit Referenzdaten vergleichen können“, sagt die Wissenschaftlerin. „Das ist ein Riesenvorteil gegenüber der klassischen Sequenzierung, bei der man Proben in entfernte Labore schickt und einige Tage auf die Ergebnisse warten muss. Wir erzeugen die Daten direkt vor Ort in zwei Stunden.“
Nach ihrem Studium der Bioinformatik und Ökologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und ihrer Zeit als Doktorandin an der University of Cambridge forschte Lara Urban als Postdoc im Rahmen eines Humboldt-Stipendiums in Neuseeland. Hier arbeitete sie intensiv im Bereich Monitoring akut vom Aussterben bedrohter Tierarten wie dem flugunfähigen Kakapo-Papagei, von dem es nur noch 248 Exemplare auf einigen vorgelagerten neuseeländischen Inseln gibt. „Der Kakapo zeigt in Folge von Inzucht eine sehr geringe genetische Diversität – auch bei den Immungenen. Daher ist er von einem hohen Aussterberisiko durch Infektionskrankheiten betroffen“, erklärt die Bioinformatikerin. „Wahrscheinlich begünstigt durch den Klimawandel leiden frisch geschlüpfte Küken derzeit immer wieder unter Aspergillose, einer durch den Schimmelpilz Aspergillus ausgelösten Infektion.“
Gemeinsam mit den zuständigen Wildhütern entwickelte Lara Urban ein voll tragbares Analysesystem – bestehend aus Sequenzier-Gerät, Batterie, kastenförmiger KI-Maschine, Sonnenkollektor und Laptop. Mit dem System konnten sie direkt in der Wildnis Speichelproben der Küken untersuchen und in zwei bis drei Stunden die enthaltenen pathogenen Pilze identifizieren. „Die Wildhüter können nun selbst und direkt im Feld besonders gefährliche und hoch virulente Aspergillus-Varianten aufspüren und rechtzeitig reagieren“, sagt die Wissenschaftlerin. „Das Beispiel zeigt das große Potenzial der Methode: Bedrohte Arten lassen sich überwachen und vor Krankheitserregern schützen, zugleich können auch für den Menschen gefährliche Zoonosen frühzeitig erkannt werden.“
In München erweitert Lara Urban mit ihrem Team das Anwendungsspektrum der KI-unterstützten Nanoporen-Sequenzierung deutlich und möchte neue Ansätze testen. So läuft bereits eine vielversprechende Studie zur Überwachung der städtischen Luftqualität und der Auswirkung von luftgetragenen Krankheitserregern auf unsere Gesundheit. Ein weiteres Projekt konnte bereits erfolgreich nachweisen, dass die Nanoporen-Sequenzierung auch im Krankenhaus eine große Hilfe sein kann. So gelang es dem Team um Lara Urban, spezifische Resistenzgene in Blutproben von Patienten mit bakteriellen Blutinfektionen aufzuspüren. Das Krankenhauspersonal könnte so künftig in nur wenigen Stunden ein Resistenzprofil erstellen und vorhersagen, welche Antibiotika dem Patienten helfen können und welche nicht. Die herkömmliche Methode dauert dagegen meist Tage und ist für eine effektive Behandlung oft zu langsam.
„Unsere Forschung zeigt, dass Nanoporen-Sequenzierung die planetare Gesundheit massiv verbessern kann“, erklärt Lara Urban. „Das System ist schnell, tragbar, vielseitig einsetzbar und vergleichsweise günstig. Deshalb kann es – und das ist uns besonders wichtig – auch sehr zur Demokratisierung von Wissenschaft beitragen. Denn auch Forschende in Entwicklungsländern können die Technik einsetzen und damit unabhängiger von wohlhabenden Ländern werden.“
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