5 Fragen an …Timo Müller
„Meine Forschung soll später einmal Menschen wirklich helfen“
Timo Müller will verstehen, wie das Hormon GIP den Energie- und Glucksestoffwechsel beeinflusst. Für seine Forschung hat er einen ERC Consolidator Grant in Höhe von knapp 2 Millionen Euro erhalten.
Das Hormon GIP ist wichtig zur Bekämpfung von Diabetes Typ-2 und Adipositas. Es senkt nicht nur den Blutzuckerspiegel durch eine gesteigerte Ausschüttung von Insulin, sondern reduziert auch das Körpergewicht über bislang unbekannte Mechanismen. Wie genau das funktioniert, untersucht Timo Müller von Helmholtz Munich.
Herr Müller, bei Ihrem Projekt dreht sich alles um den GIP Rezeptor im Gehirn. Was genau hat es damit auf sich?
Meine Arbeitsgruppe beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten für Diabetes und Adipositas. Beides muss eng beieinander betrachtet werden, denn ein erhöhter Körperfettanteil – also eine Adipositas – ist der Hauptrisikofaktor für die Entstehung eines Typ-2-Diabetes. Unser Energie- und Glukosestoffwechsel wiederum wird von verschiedenen Hormonen gesteuert. Vor einiger Zeit haben wir nun ein Konzept entwickelt, bei dem wir die Sequenz zweier Hormone zusammenfügen. Das ist einerseits GLP-1, das Glucagon-like Peptide-1, und andererseits GIP, das glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid. Daraus haben wir ein einziges Molekül hergestellt, dass beide Rezeptoren gleichzeitig anspricht. Unser Konzept wurde von verschiedenen Pharmafirmen aufgegriffen und hat in klinischen Studien phänomenale Ergebnisse gezeigt. Die entwickelten Wirkstoffe sind die stärksten gegen Diabetes und Adipositas, die wir bisher gesehen haben. Dabei ist die Rolle des GIP aber höchst umstritten. Verschiedene Studien zeigen, dass sowohl die Aktivierung als auch die Hemmung des GIP-Rezeptors positive Einflüsse auf den Energie- und Glukosestoffwechsel haben können. Und über welche Organe und Signalmechanismen GIP wirkt, war bisher unbekannt. Wir konnten unlängst zeigen, dass der Rezeptor für GIP im Gehirn eine große und essenzielle Rolle spielt, um Nahrungsaufnahme und das Körpergewicht zu regulieren. Und das ist der Ausgangspunkt für diesen Forschungsantrag gewesen.
Wie wollen Sie nun das Geheimnis um das GIP und seine Rolle für unseren Zuckerstoffwechsel lüften?
Jetzt wollen wir gezielt schauen, über welche Signalmechanismen und Hirnareale die Aktivierung beziehungsweise Hemmung des GIP-Rezeptor wirkt, um unseren Glukosestoffwechsel beziehungsweise unser Körpergewicht zu beeinflussen. Dazu setzen wir einerseits auf immunhistochemische Experimente. Das heißt, wir machen den Signalweg des GIP-Rezeptors im Gehirn mit Fluoreszenzfarbstoffen sichtbar. Dabei werden wir herausbekommen, welche Neurone diesen Rezeptor ausbilden und an welche Hirnareale das Signal weitergeleitet wird, um den Energiestoffwechsel zu beeinflussen. Außerdem wir werden neben Zellkulturexperimente auch verschiedene Tiermodelle herstellen. So wird es zum Beispiel Mäuse geben, denen der GIP-Rezeptor in bestimmten Hirnarealen oder in bestimmten neuronalen Populationen fehlt. An denen werden wir untersuchen, ob der Wirkstoff immer noch in der Lage ist, das Körpergewicht beziehungsweise den Zuckerstoffwechsel zu regulieren. Oder ob er dann seine Wirksamkeit verliert.
Was fasziniert Sie besonders an der Forschung zu Diabetes und Adipositas?
Ich habe Biologie in Marburg studiert und mich auf Tierphysiologie spezialisiert. Schon während meiner Diplomarbeit beschäftigte ich mich dann mit Adipositas und Diabetes bei Ratten. Seither zieht sich das Thema wie ein roter Faden durch meine Arbeit. Ich finde es faszinierend, dass meine Forschung wirklich einmal Menschen helfen könnte. Und diese Nähe zur Cutting-Edge-Forschung, zur Entwicklung von Arzneimitteln der neuesten Generation, das ist es, was mich persönlich antreibt.
Ein ERC Grant gilt unter europäischen Wissenschaftlern ein wenig als der Heilige Gral. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Es war meine erste Bewerbung auf einen ERC Consolidator Grant und gleichzeitig meine letzte Chance. Denn das Reglement sieht vor, dass zwischen Dissertation und Bewerbung nicht mehr als zwölf Jahre liegen dürfen. Trotzdem hatte ich im Vorfeld ein gutes Gefühl. Denn ich glaube ich fest an die Relevanz meines Projekts und habe zudem eine hervorragende Ausgangsposition. Denn als kommissarischer Direktor des Instituts für Diabetes und Adipositas habe ich ausgezeichneten Zugriff auf Ressourcen und eine hervorragende Forschungsumgebung. Ich war mir sicher, die Expertenjury damit zu überzeugen, dass ich die im Antrag angegebenen Verfahren und Aufgaben tatsächlich auch umsetzen kann. Trotz des guten Gefühls im Hinterkopf habe ich aber noch ungefähr drei Monate am Antrag gefeilt und weitere acht Wochen in die Vorbereitung auf das Interview investiert. Denn als ich die Nachricht erhielt, dass mein Antrag in die nächste Runde kommt, wusste ich: Fachlich habe ich gepunktet. Nun hängt alles von mir persönlich ab. Entsprechend intensiv habe ich dann an meiner Präsentation gefeilt und den Vortrag unzählige Male vor mir selbst gehalten. Ich habe alles auf Video aufgezeichnet und mich anschließend kritisch beobachtet. Außerdem versetzte ich mich gedanklich in die Lage eines Jurymitglieds und überlegte: Was würde ich jetzt fragen, wenn ich den Antragsteller so richtig ins Schwitzen bringen will? Dann habe ich die Antworten auf solch kritische Fragen gesucht. Im Nachhinein muss ich sagen, dass die Befragung wirklich sehr fundiert und fair verlief.
Was bedeutet die Förderung für Sie persönlich und für Ihre Wissenschaftskarriere?
Der Grant bedeutet mir persönlich sehr viel. Es ist einfach ein fantastisches Gefühl zu wissen, dass man zu den zehn Prozent der in Europa geförderten Personen gehört. Ich denke aber auch, dass er für meine Wissenschaftskarriere von großer Bedeutung ist. Aktuell bin ich Privatdozent. Ich habe also bereits habilitiert, aber noch keine Berufung erhalten. Der Grant, so glaube ich, kann mir hier einige Türen auf dem Weg zu einer Professur öffnen. Außerdem würde ich gern vom kommissarischen Direktor zum Institutsdirektor aufsteigen. Ich denke, auch dafür ist der Grant ein gutes Argument. Und – das darf man natürlich auch nicht vergessen – trägt er dazu bei, unser Wissen über Diabetes und Adipositas zu vergrößern und damit hoffentlich in Zukunft noch mehr Menschen helfen zu können.
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