Portrait
Mehr Dialog bitte!
Die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft darf keine Einbahnstraße sein, meint Carsten Neßhöver. Der Umweltforscher sucht nach neuen Formen des Wissenstransfers.
Das ist heute anders. Seit zehn Jahren arbeitet der ausgebildete Geoökologe nun am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Mittlerweile ist er stellvertretender Departmentleiter für Naturschutzforschung. Im Labor stehe er aber nicht, gibt Neßhöver zu. Er wurde eingestellt, um die Schnittstelle zwischen den Wissenschaftlern am UFZ sowie der Politik und Öffentlichkeit zu betreuen. Dazu baute er das Projekt Netzwerkforum zur Biodiversitätsforschung auf, das er heute koordiniert. „Hier machen wir uns Gedanken darüber, wie man beim Thema Biologische Vielfalt die Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft verbessern könnte.“ Besonders spannend sei dabei, dass er auch auf europäischer und internationaler Ebene tätig sein könne.
Neßhövers Arbeitsalltag ist aber vor allem davon geprägt, dass er in seinem Büro in Leipzig die Aktivitäten an dieser Schnittstelle entwickelt und politische Prozesse beobachtet. Häufig bedeutet das auch, Forscher überhaupt erst einmal dazu zu bringen, sich an diesen Diskursen zu beteiligen. „Denn nicht alle Wissenschaftler sind der Meinung, dass sie öffentlich über ihre Arbeit sprechen müssen“, weiß Neßhöver. „Immerhin wächst bei den Wissenschaftlern in der Umweltforschung das Bewusstsein dafür, dass sie ihr Wissen der Politik und Gesellschaft zur Verfügung stellen müssen“ sagt Carsten Neßhöver. Wissenschaftler aus dem Umweltbereich wie am UFZ hätten immer weniger Schwierigkeiten damit. Ihre Arbeit liege ohnehin im angewandten Bereich und sie hätten somit eine hohe Eigenmotivation, da ihre Forschung aktiv etwas zur Gesellschaft betrage.
Die zunehmende Motivation der Wissenschaftler, ihre Arbeit Fachfremden vorzustellen, beflügelt auch Neßhöver. Doch gemeinsam mit seinem Team steht er vor einer besonderen Schwierigkeit: Das Wissen, das aus der Wissenschaft kommt, muss so aufbereitet werden, dass es für ein nicht-wissenschaftliches Publikum zugänglich wird. Zudem steht Neßhöver vor einer weiteren Herausforderung: In seiner Position muss er auch selbst in der Politik aktiv werden, schließlich müsse er wissen, bei welchen Themen man sich noch stärker einbringen könne, meint er. Denn die Politik habe nicht immer ein Bewusstsein dafür, welches Wissen dabei helfen kann, Entscheidungen zu treffen.
Doch wie sieht er denn nun konkret aus, der Transfer von Wissen? Im Vordergrund seiner Arbeit stehe der Dialog, sagt Neßhöver. „Es ist wichtig zu vermitteln, dass die Kommunikation keine Einbahnstraße ist. „Die Wissenschaft kann und will sich nicht hinstellen und sagen, dass sie die Wahrheit gefunden hat und alle anderen müssten nun dieser Botschaft folgen“, sagt er. Deshalb setzt er auf dialogorientierte Ansätze, entwickelt etwa Workshops, in der Entscheidungsträger mit Wissenschaftlern zusammen kommen. Dort werden Probleme definiert und gemeinsam überlegt, wie die Wissenschaft das bearbeiten kann. Oft mangele es auch an präzisen Fragen an die Wissenschaft, die erst im gegenseitigen Austausch entstehen können. Mittlerweile laufe das aber so gut, dass Forschungslücken konkret identifiziert werden könnten. „Nach wie vor ist es zwar Gang und Gebe, dass die Wissenschaft Probleme sieht und die Politik darauf hinweist“, erzählt Neßhöver, „es kommt aber immer öfter vor, dass die Politik bestimmte Entwicklungen sieht und untersuchen möchte.“
Was jedoch auch klar sein müsse in der dialogorientierten Arbeit: Die Wissenschaft ist nur eine Stimme von vielen. Viele Interessen müssen abgewogen werden. Die Biodiversitätsforschung ist dafür das beste Beispiel. „Wir können sagen, welche wirtschaftlichen Aktivitäten einen Schaden für die Umwelt haben, trotzdem müssen auch wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden“, sagt Neßhöver. Das muss auch an die Wissenschaftler kommuniziert werden. Eine Entscheidungsfindung sei gerade bei Umweltthemen ein hochkomplexer Prozess. Da sei es mitunter auch so, dass die Interessen des Naturschutzes und der Biodiversität gegenüber denen der Wirtschaft oder sozialen Bestrebungen zurücktreten müssten. Insbesondere in den vergangenen Jahren, in denen es einige Wirtschaftskrisen gab, sei das deutlich geworden.
Für die Wissenschaftler bedeute das: Es geht nicht immer nur um reine Schutzargumente gegenüber der Natur. Auch wirtschaftliche Ansatzpunkte müssen geliefert werden, denn die Adressaten der Arbeit von Neßhöver und seinem Team sind vielfältig. „Wir müssen nicht nur mit dem Umweltministerium, sondern auch mit den anderen Ministerien reden. Biodiversität hat auch eine wirtschaftliche Bedeutung“, sagt Carsten Neßhöver.
Diese Vielseitigkeit sei es allerdings auch, die seine Arbeit manchmal anstrengend mache, gibt er zu. Zwischen den Stühlen zu stehen, sei nicht immer leicht. Denn dann müsse man es Vielen Recht machen. Den Ausgleich dazu findet Carsten Neßhöver in der Natur. Vor allem die Insel Juist an der Nordsee hat es ihm angetan. „Hier kommt mir die Bedeutung der Natur für den Menschen sehr nahe, die frische Luft, der Wind in den Haaren, frischer Fisch“, sagt er. Diese Bedeutung hat Neßhöver auch zu einem Buch inspiriert. „Biodiversität - Unsere wertvollste Ressource“ heißt es – und trägt damit einen Titel, der seine private und berufliche Leidenschaft in wenigen Worten auf den Punkt bringt.
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