„In Deutschland hätte ich mich nicht getraut, Mutter zu werden“
Ursula Klingmüller ist Systembiologin und Abteilungsleiterin am Deutschen Krebsforschungszentrum und Professorin der Universität Heidelberg. Sie hat zwei Söhne im Alter von 15 und 18 Jahren.
„Sie sind sehr begabt, nun sollten Sie sich zwischen Familie und Karriere entscheiden.“ Mit diesen Worten verabschiedete mich mein Doktorvater, selbst ein herausragender Wissenschaftler. Er meinte es gut. Er wollte, dass ich erfolgreich bin. Allerdings sah er in der Wissenschaft nur eine Chance für mich, wenn ich auf eine Familie verzichten würde. Was hätte ich darauf erwidern sollen? Ich wusste nur eins: Mein Doktorvater hatte selbst keine Familie. Ein anderer Wissenschaftler und Professor dagegen schon - mein Vater. Ich verglich diese beiden Lebensentwürfe und wusste, dass ich mich immer für das Leben meines Vaters entscheiden würde. Es erschien mir so viel reicher. Das wollte ich nicht aufgeben. Ein Patentrezept, wie man Familie und Karriere glücklich und erfolgreich vereinbart, hatte ich natürlich trotzdem nicht.
Zunächst zog es mich in die USA, wo ich einen kombinierten Postdoc an zwei exzellenten Instituten absolvierte: der Harvard Medical School sowie dem MIT. Diese Zeit hat mich sehr geprägt, nicht nur in fachlicher Hinsicht. Viele Wissenschaftler dort hatten kleine Kinder, jedes Jahr wurde mindestens eine Kollegin schwanger. Die Atmosphäre war viel familienfreundlicher als ich es von deutschen Laboren her kannte. Auch ich bekam meinen ältesten Sohn in den USA. In Deutschland hätte ich wohl nicht den Mut gehabt, Mutter zu werden. Das soll jedoch nicht heißen, dass wir Eltern eine Sonderbehandlung bekamen. Im Gegenteil. Zwei Tage nach der Geburt meines Sohnes wollte mein Postdoc-Betreuer mit mir an einem Paper weiterarbeiten – im Krankenhaus. Man erwartete einfach von uns, dass wir beides schaffen: Forschung und Familie. Der springende Punkt jedoch war, dass man es uns auch zutraute. Das machte mir Mut.
Als Abteilungsleiterin am DKFZ versuche ich, diese Erfahrungen in meine Arbeit einfließen zu lassen. Eine meiner Mitarbeiterinnen ist kürzlich ins Labor zurückgekehrt, nachdem sie Mutter geworden ist. Sie war auch während ihrer Abwesenheit stets in unsere Arbeit eingebunden. Das war wichtig. Wer eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt, muss am Ball bleiben. Mir ist klar, dass das nicht leicht ist. Ich konnte beides vereinbaren, weil mein Mann und meine Eltern mich immer unterstützt haben. Eine längere Pause hätte ich mir nicht erlauben können, denn meine Arbeit ist sehr fordernd: Ich bin Systembiologin und erforsche, welche Mechanismen Zellen steuern, sowohl im Labor als auch am Computer. Zellen sind komplexe, dynamische Systeme und eine Vielzahl an Wechselwirkungen trägt dazu bei, wie sie sich verhalten. Lange Tage im Labor und intensive Diskussionen mit Kollegen sind nötig, um auf diesem Gebiet erfolgreich zu sein.
Zellen empfangen aus ihrer Umgebung ständig zahlreiche biochemische Signale, die von den Rezeptoren an der Zelloberfläche in den Zellkern übertragen werden. Diese Signale steuern die Genaktivität und bestimmen somit, wie schnell eine Zelle wächst, wann sie sich teilt, wohin sie sich bewegt oder wann sie stirbt. Sind diese Signalwege gestört, kann Krebs entstehen.
An dem Weg von der Zelloberfläche bis zum Zellkern sind zahlreiche Enzyme beteiligt. Im Labor messen wir daher, wie sich die Aktivität dieser Enzyme über einen bestimmten Zeitraum verändert. So erhalten wir zahlreiche quantitative Daten. Beim Interpretieren der Daten hilft uns ein mathematisches Modell, das die Wechselwirkungen in der Zelle beschreibt. Dafür setzen wir uns mit theoretischen Physikern und Mathematikern zusammen, erläutern ihnen unsere Vorgehensweise und liefern ihnen unsere Labordaten, aus denen sie anschließend das Modell etablieren. Am Computer erkennen wir dann nicht nur, inwiefern die Signalwege in Tumorzellen gestört sind, sondern können auch Prognosen über das weitere Wachstum der Zellen treffen. Ich hoffe, dass wir so herausfinden, wann sich eine Zelle zur Krebszelle entwickelt und an welchen Stellen man eingreifen kann, um die Kontrolle zurück zu erlangen. Das klingt sehr abstrakt, doch letztendlich könnten wir so eine individuelle Therapie für die Patienten entwickeln – denn jeder Krebs ist anders.
Mittlerweile kann ich sagen, dass meine Arbeit von meiner Entscheidung für Kinder und Familie nicht gelitten, sondern sogar profitiert hat. Nicht nur Zellen, auch Menschen arbeiten und funktionieren sehr unterschiedlich, damit kann ich heute gut umgehen. Für die Teamarbeit im Labor ist das sehr wichtig. Ich bin einfach offener und toleranter geworden, denn auch Kinder verhalten sich schließlich nicht immer so, wie man es gerne hätte.
Zunächst zog es mich in die USA, wo ich einen kombinierten Postdoc an zwei exzellenten Instituten absolvierte: der Harvard Medical School sowie dem MIT. Diese Zeit hat mich sehr geprägt, nicht nur in fachlicher Hinsicht. Viele Wissenschaftler dort hatten kleine Kinder, jedes Jahr wurde mindestens eine Kollegin schwanger. Die Atmosphäre war viel familienfreundlicher als ich es von deutschen Laboren her kannte. Auch ich bekam meinen ältesten Sohn in den USA. In Deutschland hätte ich wohl nicht den Mut gehabt, Mutter zu werden. Das soll jedoch nicht heißen, dass wir Eltern eine Sonderbehandlung bekamen. Im Gegenteil. Zwei Tage nach der Geburt meines Sohnes wollte mein Postdoc-Betreuer mit mir an einem Paper weiterarbeiten – im Krankenhaus. Man erwartete einfach von uns, dass wir beides schaffen: Forschung und Familie. Der springende Punkt jedoch war, dass man es uns auch zutraute. Das machte mir Mut.
Als Abteilungsleiterin am DKFZ versuche ich, diese Erfahrungen in meine Arbeit einfließen zu lassen. Eine meiner Mitarbeiterinnen ist kürzlich ins Labor zurückgekehrt, nachdem sie Mutter geworden ist. Sie war auch während ihrer Abwesenheit stets in unsere Arbeit eingebunden. Das war wichtig. Wer eine Karriere in der Wissenschaft anstrebt, muss am Ball bleiben. Mir ist klar, dass das nicht leicht ist. Ich konnte beides vereinbaren, weil mein Mann und meine Eltern mich immer unterstützt haben. Eine längere Pause hätte ich mir nicht erlauben können, denn meine Arbeit ist sehr fordernd: Ich bin Systembiologin und erforsche, welche Mechanismen Zellen steuern, sowohl im Labor als auch am Computer. Zellen sind komplexe, dynamische Systeme und eine Vielzahl an Wechselwirkungen trägt dazu bei, wie sie sich verhalten. Lange Tage im Labor und intensive Diskussionen mit Kollegen sind nötig, um auf diesem Gebiet erfolgreich zu sein.
Zellen empfangen aus ihrer Umgebung ständig zahlreiche biochemische Signale, die von den Rezeptoren an der Zelloberfläche in den Zellkern übertragen werden. Diese Signale steuern die Genaktivität und bestimmen somit, wie schnell eine Zelle wächst, wann sie sich teilt, wohin sie sich bewegt oder wann sie stirbt. Sind diese Signalwege gestört, kann Krebs entstehen.
An dem Weg von der Zelloberfläche bis zum Zellkern sind zahlreiche Enzyme beteiligt. Im Labor messen wir daher, wie sich die Aktivität dieser Enzyme über einen bestimmten Zeitraum verändert. So erhalten wir zahlreiche quantitative Daten. Beim Interpretieren der Daten hilft uns ein mathematisches Modell, das die Wechselwirkungen in der Zelle beschreibt. Dafür setzen wir uns mit theoretischen Physikern und Mathematikern zusammen, erläutern ihnen unsere Vorgehensweise und liefern ihnen unsere Labordaten, aus denen sie anschließend das Modell etablieren. Am Computer erkennen wir dann nicht nur, inwiefern die Signalwege in Tumorzellen gestört sind, sondern können auch Prognosen über das weitere Wachstum der Zellen treffen. Ich hoffe, dass wir so herausfinden, wann sich eine Zelle zur Krebszelle entwickelt und an welchen Stellen man eingreifen kann, um die Kontrolle zurück zu erlangen. Das klingt sehr abstrakt, doch letztendlich könnten wir so eine individuelle Therapie für die Patienten entwickeln – denn jeder Krebs ist anders.
Mittlerweile kann ich sagen, dass meine Arbeit von meiner Entscheidung für Kinder und Familie nicht gelitten, sondern sogar profitiert hat. Nicht nur Zellen, auch Menschen arbeiten und funktionieren sehr unterschiedlich, damit kann ich heute gut umgehen. Für die Teamarbeit im Labor ist das sehr wichtig. Ich bin einfach offener und toleranter geworden, denn auch Kinder verhalten sich schließlich nicht immer so, wie man es gerne hätte.
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