Interview
Impfstoff gegen Krebs
Die Corona-Pandemie hat der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen zum Durchbruch verholfen. Doch ursprünglich wurde diese Technologie zur Behandlung von Krebs entwickelt. Wann wir mit einem mRNA-Impfstoff gegen Krebs rechnen können, erklärt Dirk Jäger im Interview.
Die mRNA-Technologie ist dank Covid-19 weltbekannt. Ursprünglich an ihr geforscht wurde aber in der Onkologie. Wie ist der Stand der Dinge bei der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Krebs?
Krebs ist ein wesentlich komplexeres Thema als eine Virusinfektion, denn bei einer Krebserkrankung hat man viele Millionen nicht identischer Zellen gegen sich. Jede Zelle sieht ein bisschen anders aus als die Nachbarzelle. Dort eine Immunantwort auslösen zu wollen, die alle Tumorzellen attackiert, ist wesentlich schwieriger. Aber dennoch gibt es recht vielversprechende Daten von mRNA-Impfstoffen bei Krebserkrankungen. BioNTech startet bald eine große Studie bei Hochrisikopatienten nach operiertem Dickdarmkrebs. Geprüft wird eine individualisierte, also für jeden Patienten angepasste und für ihn eigens hergestellte RNA-Impfung in Kombination mit der begleitenden Chemotherapie. Wenn dort herauskommt, dass die zusätzliche Impfung begleitend zu einer adjuvanten Chemotherapie bei Hochrisikopatienten einen Vorteil bringt, dann könnte man mit so einer Studie erstmals in Richtung Zulassung gehen.
Wir sprechen also von individualisierten Impfstoffen gegen die Rückkehr eines Tumors?
Genau, und es wird dafür ein sehr großer Aufwand betrieben. Nach der Tumorbiopsie wird das Genom des Patienten sequenziert und alle genetischen Veränderungen in den Tumorzellen bestimmt. Damit lässt sich berechnen, welche genetischen Veränderungen zu fehlerhaften Eiweißen führt, die für das Immunsystem gute Zielstrukturen darstellen könnten. Und so wird für jeden Patienten eine komplett andere Komposition an Bauplänen als codierende RNA hergestellt. Die Impfung sieht formal ähnlich aus, aber mit komplett anderem Inhalt. Jedem Immunsystem werden andere Baupläne präsentiert.
Wann ist damit zu rechnen, dass ein solcher Impfstoff zugelassen werden könnte?
Das wird einige Jahre dauern, da eine solche Studie auf längere Zeit angelegt ist und beobachtet werden muss, ob eine Krankheit wieder auftritt oder nicht.
Diese Studie, sagten Sie, richtet sich an Darmkrebspatienten. Wird es weitere Krebsarten geben, für die mRNA-Impfstoffe entwickelt werden?
Grundsätzlich ist die Technologie universell einsetzbar. Wir lesen die genetische Veränderung einer Tumorerkrankung und versuchen für diese Konstellation die richtige Impfung zu bauen. Das ist ein Vorgang, der von der Tumorentität komplett unabhängig ist. Wenn diese Studie erfolgreich ist, wird es bald für Brustkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs und Melanom ähnliche Entwicklungen geben.
Hat eventuell die Entwicklung eines mRNA-Impfstoffs gegen Covid-19 die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Krebs beeinflusst?
Das hat großen Rückenwind gegeben. Wir sehen, die RNA-Impfung ist sicher und gut verträglich. Die Angst, die herumgeistert, ist, das sei eine Gentherapie. Bei der Impfung bedeutet es, dass statt des Eiweißes die codierende RNA gespritzt wird und der Muskel baut das Eiweiß, wogegen man eine Immunantwort entwickelt. Das Prinzip ist einfach. Und es ist nun eine als sicher akzeptierte Technologie. Der Onkologie-Forschung tut das sehr gut.
Ist vorstellbar, dass die mRNA-Technologie noch für weitere Krankheitsbereiche eingesetzt werden könnte und gibt es schon entsprechende Forschungen?
Ich sehe ein sehr großes Potential. Es ist absehbar, dass wir andere Medikamente in RNA-Form herstellen können, mit der sich der Patient sein Medikament basierend auf den Bauplänen selbst produziert. Das ganze Feld der hoch individualisierten Therapie wird sich mit der RNA-Technologie viel schneller bedienen lassen. Wir haben vor, basierend auf einem tiefen Verständnis einer Erkrankung maßgeschneiderte Therapien einzusetzen. Entsprechende Forschung wird schon betrieben, bestimmte Immunzellpopulationen im Patienten selbst mithilfe von RNA teilweise umzuprogrammieren und daraus Killerzellen zu machen. Es ist ein Riesenfeld an Optionen, die die Technologie mit sich bringt.
Inspired by challenges
Um große wissenschaftliche Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, braucht es Spitzenforschung. Anlässlich des 200. Geburtstags unseres Namensgebers Hermann von Helmholtz präsentieren wir 200 große Challenges, an denen unsere Forscher:innen tagtäglich arbeiten.
Challenge #85 - Für jede:n Krebserkrankte:n die passende Therapie finden.
Challenge #102- Immunzellen gegen Krebs in Stellung bringen.
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