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Portrait

Im Sog der RNA

Eine mutige E-Mail brachte den Biochemiker Mathias Munschauer von Mannheim nach New York, in das Labor eines der renommiertesten RNA-Forscher der Welt. Heute gehört er selber zu den gefragten Experten auf diesem Gebiet.

Wenn er damals nicht diese Mail geschrieben hätte, mit der Chuzpe eines Studenten im Grundstudium, dann säße Mathias Munschauer jetzt vermutlich nicht in diesem Büro und würde sich nicht mit der Frage herumschlagen, ob Fördermittel der EU rechtzeitig transferiert und Geräte für sein neues Labor pünktlich beschafft werden können. In die USA ging die Mail, Munschauer adressierte sie direkt an Thomas Tuschl, einen der renommiertesten Biochemiker und RNA-Forscher der Welt. „Ich schrieb ihm, dass ich gern für sechs Monate in seinem Labor an der Rockefeller University arbeiten würde“, sagt Mathias Munschauer. Und damals wunderte es ihn kein bisschen, dass er schon kurz darauf eine Zusage bekam.

Es war das Jahr 2008, und die Forschung an der RNA erlebte gerade einen Aufschwung, weil neu entwickelte Technologien es möglich machten, gezielter in die biochemische Maschinerie der Zellen einzugreifen. Die RNA (Ribonukleinsäure) ist in Zellen für die Umwandlung von genetischen Informationen in Proteine zuständig und für die Informationsübertragung zwischen Zellen. Sie ist damit ein wichtiger Angriffspunkt, wenn für Erkrankungen neue Medikamente gesucht werden. Mathias Munschauer bekam damals bei seinem halbjährigen Laborpraktikum in New York die Aufbruchsstimmung mit und den Enthusiasmus unter den erfahrenen Kollegen wie seinem Mentor Tomas Tuschl. Er fing an, sich in das Thema reinzuknien. Inzwischen ist er mit seinen 39 Jahren selbst zu einem der führenden Experten auf dem Gebiet der RNA-Forschung geworden und Gruppenleiter am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg. Erst kürzlich wurde er an die Goethe-Universität Frankfurt berufen, wo er jetzt sein neues Labor einrichtet. So Hals über Kopf hat er sich in die Arbeit gestürzt, dass seine Bücherregale im Büro noch fast leer sind – „dafür ist später noch Zeit“, sagt er achselzuckend.

Bild: HIRI / Luisa Macharowsky

Von der RNA wusste Mathias Munschauer noch wenig, als er im rheinland-pfälzischen Alzey sein Abitur machte. Mathe interessierte ihn, Biologie und Englisch, und auf einer Berufs-Orientierungsveranstaltung bekam er mit, wie der Forschungsleiter eines Pharmakonzerns vom Biotechnologie-Studium an der Hochschule Mannheim schwärmte. Kurzentschlossen schrieb er sich ein. „Das Studium war wirklich gut“, sagt er im Rückblick, „und richtig großartig waren die verpflichtenden Praxissemester. Da ist man nicht in irgendein Lehr-Labor gegangen, sondern wirklich in die Forschung.“ Er ging nach Heidelberg zum Deutschen Krebsforschungszentrum und schaute begeistert auf zwei Doktoranden und ihre Arbeit, die nicht viel älter waren als er. Die Forschung als Option für ihn selbst – in diesem Moment blitzte der Gedanke bei Mathias Munschauer zum ersten Mal auf.

Es war in dieser Zeit, als er ein Paper von Thomas Tuschl in die Hand bekam, der Koryphäe von der New Yorker Rockefeller University. In dem Paper ging es um die RNA-Interferenz: ein Mechanismus in der Zelle, bei dem RNA-Moleküle Gene gezielt ausschalten, indem sie mit der mRNA, die die Information des abgelesenen Gens trägt, wechselwirken. „Mich hat dieses Paper sofort beeindruckt: Das geschilderte Vorgehen war so logisch, so stringent, so systematisch!“ Er entschied sich, an Thomas Tuschl zu schreiben – und er schickte jene Mail ab, die seine weitere Karriere prägen sollte.

RNA ist universell in der Biochemie, ob bei Tieren, Pflanzen oder Mikroorganismen. In seiner aktuellen Forschung beschäftigt sich Mathias Munschauer mit RNA-Viren, die Krankheiten auslösen – die Influenza, aber auch Corona sind solche RNA-Viren. „Wir interessieren uns besonders für das zentrale Molekül dieser Viren, das RNA-Genom“, erläutert Munschauer: Wird eine menschliche Zelle vom Virus befallen, übernimmt dessen RNA-Genom gewissermaßen die Kontrolle über die Zelle. Welche Mechanismen dabei genau ablaufen und wie die befallene Zelle sich zu wehren versucht – das versucht sein Team zu ermitteln. Die Hoffnung dahinter: Wenn man diese Mechanismen entschlüsselt, kann man mit Medikamenten präzise in sie eingreifen und so die RNA-Viren stoppen.

Munschauer arbeitet dafür mit einem ganzen Arsenal von High-Tech-Methoden: Bei manchen Fragen kommt er mit der Massenspektrometrie weiter, bei anderen setzt er auf Einzelzell-Sequenzierung. Gemeinsam ist ihnen vor allem das gewaltige Datenvolumen, das bei den Messungen und Beobachtungen anfällt. Spezielle Algorithmen suchen dann in diesen Daten nach Mustern – „und so entdeckt man plötzlich an Infektionen neue Details, die man vorher nicht sehen konnte.“

Viel von seinem Handwerkszeug hat Mathias Munschauer in den USA bekommen: Nach seinem ersten Aufenthalt als Student promovierte er in einem gemeinsamen Programm vom Max-Delbrück-Center und der New York University, danach arbeitete er als Postdoc fünf Jahre lang in Cambridge bei Eric Lander, dem federführenden Forscher hinter der Entschlüsselung des humanen Genoms. 2019 ging er zurück nach Deutschland – als Helmholtz-Nachwuchsgruppenleiter am HIRI in Würzburg.

Mit Thomas Tuschl, dem er damals voll jugendlichem Enthusiasmus eine Mail nach Amerika geschrieben hatte, ist Mathias Munschauer immer noch in Kontakt. Und die intuitive Entscheidung von damals, sich ganz auf die Fährte der RNA zu heften, hat er noch nicht bereut. Er sei ja auf vielen wissenschaftlichen Konferenzen, sagt er – aber: „Die Treffen der RNA-Community sind meine Lieblingskonferenzen. Das Gebiet birgt so eine unglaubliche Innovationskraft: Jedes Mal gibt es völlig unerwartete Erkenntnisse, die uns wieder ein Stück weiterbringen.“

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