Interview
„Ich will das wissenschaftliche Potenzial voll ausschöpfen“
Der schwedische Experimentalphysiker Thomas Nilsson ist neuer Wissenschaftlicher Geschäftsführer am Darmstädter GSI. Ein Gespräch über seine Pläne, über den Glamour der Nobelpreise – und über seinen Hang zu Motorsägen.
Herr Nilsson, Sie waren als Doktorand schon einmal länger in Darmstadt. Gibt es Ihre Studentenkneipen von damals noch?
(lacht) Es ist wirklich schade, aber ich hatte noch gar keine Zeit, um einmal nachzuschauen! Wahrscheinlich wäre das aber sowieso eine Enttäuschung, denn die Läden dürfte es nicht mehr geben: Ich bin ja schon 1989 an die TU Darmstadt gekommen, damals war das meine erste Station im Ausland. Die Mauer ist während dieser Periode gefallen und wir waren alle voller Hoffnung, wie sich die europäische Zusammenarbeit entwickeln würde. Sie sehen: Das ist wirklich schon eine ganze Weile her!
Warum haben Sie sich damals gerade für Darmstadt entschieden?
Das hat sich aus einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit entwickelt, die es mit meiner Universität in Göteborg gab. Schon damals habe ich mich mit der Kern- und Teilchenphysik auseinandergesetzt; einer meiner Professoren in Göteborg hat mich mit seinem Stil und seinen Methoden unheimlich beeindruckt. Das war einer der ausschlaggebenden Gründe dafür, dass ich diese Spezialisierung gewählt habe und letztlich auch dafür, dass ich in Darmstadt gelandet bin. Ich war damals an der TU Darmstadt angestellt, aber habe die ganze Zeit über auch als Gastdoktorand bei GSI gearbeitet.
In Ihrer Karriere waren Sie überall auf der Welt unterwegs, zuletzt haben Sie die Fakultät für Physik in Göteborg geleitet und sind an die Royal Academy in Stockholm berufen worden. Was hat Sie so neugierig auf GSI gemacht, dass Sie den Ruf angenommen haben?
Die Verbindung mit GSI ist seit meiner Doktorandenzeit nie abgerissen. Ich habe hier als Forscher Experimente gemacht, ich habe in Gremien mitgearbeitet und saß die vergangenen Jahre im GSI-Aufsichtsrat und im FAIR-Council. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir aber eine Aufgabe, die schon länger zurückliegt.
Welche war das?
Die Frühphase, als die Planungen für das Beschleunigerzentrum FAIR gerade starteten. Ich war mit dem damaligen Projektleiter Hans Gutbrod zu Reisen in alle Welt aufgebrochen, um neue Mitgliedsstaaten an Bord zu holen. Und da schließt sich ein Kreis, denn ich gehe fest davon aus, dass wir in meiner jetzigen Amtszeit die ersten Experimente an FAIR durchführen können.
Es ist aber ein heißes Eisen, das Sie dafür in die Hand nehmen müssen: Zeit- und Finanzplan beim Bau mussten ja mehrfach angepasst werden…
…aber das ist doch keine Ausnahme bei einem Projekt dieser Größe und Komplexität! Bevor der erste Ionenstrahl da ist und man mit den Experimenten beginnen kann, ist bei einem solchen wissenschaftlichen Großgerät nie alles in trockenen Tüchern. Wichtig ist das Ergebnis – und wir dürfen bei dieser Debatte nicht vergessen, dass hier bei uns etwas weltweit Einzigartiges entsteht.
Sie waren ja selbst lange am CERN, Sie waren an Anlagen in Japan und Kanada. Was kann FAIR, was die anderen nicht können?
Keine andere Anlage auf der Welt ist so breit ausgelegt. Wir können extrem hohe Intensitäten von hochenergetischen Ionen-Strahlen erzeugen, und zwar mit instabilen Ionen aller chemischen Elemente. Dabei können wir die Strahleigenschaften sehr flexibel variieren, von einem pseudo-kontinuierlichen Strahl bis hin zu einem gepulsten Strahl, je nachdem was die Forscher für ihre Experimente benötigen. Außerdem ist FAIR konzipiert, um Strahlen aus Anti-Protonen und sehr exotischen Atomkernen, so genannten Sekundärstrahlen, zu kreieren. Durch diese Vielfalt ist FAIR interessant für Kernphysiker, Atomphysiker, Plasmaphysiker, aber auch Mediziner und viele, viele andere – hier kann Spitzenforschung in den unterschiedlichsten Bereichen stattfinden. Diese ungeheure Breite ist tatsächlich einmalig.
Was versprechen Sie sich denn konkret von dieser Forschung?
Ich selbst komme ja aus der Grundlagenforschung, und genau für solche Fragestellungen bietet FAIR viele Möglichkeiten. Das Faszinierende ist aber ja, dass sich daraus oft ein praktischer Nutzen ableiten lässt, den man heute vielleicht noch gar nicht kennt.
Was haben Sie in Ihren ersten Wochen in der neuen Funktion über GSI gelernt?
Ich muss mich erst einmal an die deutschen Strukturen und das deutsche Arbeitsleben gewöhnen, falls Sie das meinen (lacht). Durch meine Arbeit in den Gremien hatte ich darin ja bislang nicht so viele Einblicke. Mich da einzuarbeiten, das ist im Moment eine meiner Herausforderungen.
Welche Frage hören Sie derzeit am häufigsten?
Meistens werde ich nach meiner Vision für GSI gefragt. Und bevor Sie nachhaken: Ich antworte dann, dass ich den Blick auch über meine Amtszeit hinaus weiten möchte, denn die Entscheidungen von heute zeitigen ja erst viel später ihre Auswirkungen. Ich will, dass GSI und FAIR zum Ziel für Talente aus der ganzen Welt werden. Und das nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch mit Blick auf konkrete Anwendungen und den Technologietransfer. Wir stehen da heute schon sehr gut da, aber mir ist es wichtig, das weiterzuentwickeln: Ich will das wissenschaftliche Potenzial voll ausschöpfen.
Werden Sie doch gern ein bisschen konkreter.
Das hängt viel mit neuen Entwicklungen in der Forschung zusammen. Die Struktur von GSI mit seinen Schwerpunktsetzungen gibt es schon lange – aber sie bietet uns einen guten Werkzeugkasten, um damit auch auf die neuen Instrumente, Methoden und Fragestellungen zu reagieren, die hinzugekommen sind. Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel aus dem Beschleunigerzentrum FAIR: Als wir es geplant haben, gab es viele der Erkenntnisse über Gravitationswellen noch nicht – oder darüber, dass viele der schweren Elemente wahrscheinlich bei Neutronenstern-Kollisionen entstehen. Unsere Anlage wird sehr gut geeignet sein, um die Prozesse und auch die konkreten Atomkerne weiter zu erforschen, die da im Spiel sind.
In die Spitzenwissenschaft haben Sie ja auch auf einem anderen Posten sehr gute Einblicke: als Mitglied der Royal Swedish Academy of Sciences. Dort werden auch die Nobelpreisträger ausgewählt. Ist das so glamourös, wie es klingt?
Es ist vor allem unheimlich viel Arbeit. Im engsten Nobelkomitee wird akribisch ausgewählt, bewertet und diskutiert. Wer dort tätig ist, nimmt die Aufgabe extrem ernst. Deshalb werde ich es aus Zeitgründen nicht schaffen, dabei zu sein – aber in der Akademie bleibe ich natürlich. Und zwei Klischees stimmen tatsächlich: Es geht tatsächlich alles streng geheim zu. Und ein bisschen glamourös ist es auch.
Sind Sie eigentlich komplett nach Darmstadt umgezogen?
Meine Frau und ich werden erstmal zwei Wohnsitze haben. Wir haben gerade eine Wohnung hier in der Region gefunden, und in Schweden haben wir ein Ferienhaus mitten im Wald.
Ich stelle Sie mir gerade beim Holzhacken vor…
…falsch: Ich arbeite eher mit der Motorsäge. Und ich kann dort vor allem in Ruhe das Laufen trainieren. Ich bin schon oft Halbmarathon gelaufen, ein paar Mal auch Marathon. Vielleicht schaffe ich es, beim nächsten Marathon in Frankfurt dabei zu sein – mal schauen, ob genug Zeit zum Training bleibt.
Zur Person:
Thomas Nilsson ist seit dem 1. Dezember 2024 Wissenschaftlicher Geschäftsführer der GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH in Darmstadt. Das gleiche Amt hat er am internationalen Beschleunigerzentrum FAIR (Facility für Antiproton und Ion Research in Europe) inne. Zuvor war Thomas Nilsson Leiter des Fachbereichs Physik an der Chalmers University of Technology in Göteborg. Außerdem ist er Mitglied in der Physikalischen Klasse der renommierten Royal Swedish Academy of Sciences, die für die Auswahl der Nobelpreisträger zuständig ist. Der Wissenschaftler hat in der Vergangenheit viele Erfahrungen in der strategischen Planung großer Forschungsprojekte gesammelt, unter anderem beim CERN.
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