Portrait
„Ich werde niemals müde, Dinge neu zu denken“
Forschung und Politik – Steven Chu kennt beide Welten. In beiden arbeitet er mit voller Kraft. Dabei geht dem 71-jährigen Physik-Nobelpreisträger gerade beim Klimawandel die Energie niemals aus.
Wie sähen wohl seine Entwürfe aus, wäre er Architekt geworden? Wäre es nach seinem Vater gegangen, würde Steven Chu heute Häuser bauen. Hätte nicht den Nobelpreis in Physik bekommen. Wäre nicht Energieminister unter Obama geworden. Würde nicht zu einem der vehementesten Vertreter des Kampfes gegen den Klimawandel gehören, den die Wissenschaft zu bieten hat. Zu faul sei er für die Physik, sagte sein Vater, ein aus China in die USA eingewanderter Chemie-Professor. Aber er hat sich getäuscht. Das kreative Potential, dass der Vater im Sohn stärker wahrnahm, sollte sich in der Wissenschaft auszahlen: „Ich werde niemals müde, Dinge neu zu denken“, sagt Chu.
„Meine größte Liebe gehört der Physik, es ist ein Fach, in dem man sehr einfache Fragen stellt, die mit Experimenten lösbar sind“, erklärt er, was ihn seit mehr als 50 Jahren an der Materie reizt. „Es wird nichts verschwendet. Wir jagen nicht der Mode eines Jahres oder eines Jahrzehnts nach, und die Prinzipien, nach denen in der Physik geforscht wird, lassen sich auf alle anderen Wissenschaften anwenden.“ Virtuos tanzt er sein Leben lang zwischen den Disziplinen, heute ist er in Stanford Professor für Physik am William R. Kenan-Lehrstuhl und Professor für Molekular- und Zellphysiologie an der Medical School.
Nobelpreis für die Atomfalle
Chu studiert und promoviert in Berkeley, arbeitet bei den Bell Laboratories, Stanford und auch wieder Berkeley. Für seine Idee der so genannten Atomfalle dank Laserkühlung wird er 1997 zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlern mit dem Physiknobelpreis geehrt. Die Idee: Einzelne Atome sollen mit Laserstrahlen extrem abgekühlt und eingefangen werden, um sie über lange Zeiträume ungestört beobachten zu können. Dazu entwickeln die Forscher ein neuartiges Instrument mit insgesamt sechs Laserstrahlen, die jeweils paarweise in drei Raumrichtungen deuten. Mit dieser Methode konnte die Ganggenauigkeit von Atomuhren bedeutend verbessert werden.
Einen solchen Mann der Wissenschaft, von 2004 an Direktor des Lawrence Berkeley National Laboratory, wählt Barack Obama 2008 zum Energieminister. Damals ist Chu ein politischer Neuling – ein Vollblut-Wissenschaftler ohne Erfahrung auf administrativem Terrain und der erste praktizierende Wissenschaftler in einem Kabinett der USA. Was ihn aus Sicht des designierten Präsidenten befähigt: Chu hat dato ein riesiges Energieforschungsprogramm ins Leben gerufen, forscht zu Solartechnik und Biokraftstoffen und vertritt eine starke Meinung zum Klimawandel.
„Als Obama anrief und mich zum Gespräch bat, war ich geehrt und neugierig, was er mir anzubieten hatte. Für mich stand aber fest, dass ich keine Berater-Position in der zweiten oder dritten Reihe annehmen würde“, sagt er. Dieses Angebot an vorderster Front aber kann er nicht ausschlagen. Er legt sein komplettes Labor in die Hände seiner Doktoranden, lässt alle Forschung zurück für vier Jahre Bürokratie. Schnell wird er zu einem der engsten Vertrauten Obamas, gehört zum Krisenteam während der Katastrophe der Bohrplattform Deepwater Horizon.
Im April 2010 kommt es im Golf von Mexiko infolge menschlichen Versagens und technischer Fehler zu einem Blowout: Die Plattform gerät in Brand, geht unter und verursacht die schwerste Umweltkatastrophe dieser Art in der Geschichte. Im Juli 2010 wird der Ölausfluss schließlich mit einem temporären Verschluss gestoppt. „Es gab ein technisches Problem zu lösen - das war genau nach meinem Geschmack.“ Er steht Obama auch zur Seite, wenn es um Themen wie Fracking (Verfahren, mit dem sich Erdgas aus undurchlässigem Gestein lösen lässt), Klimawandel und den Einsatz erneuerbarer Energien geht. Aber eine zweite Amtszeit kommt für ihn nicht in Frage. Der Ruf der Wissenschaft ist zu stark.
Die Ideen gehen niemals aus
„Ich musste 2013 komplett von vorn anfangen, was eine sehr schöne Erfahrung war.“ In Stanford wird ihm ermöglicht, ein komplett neues Labor aufzubauen – ohne dass die Linie klar war, die Steven Chu damit einschlagen will. Er bekräftigt: „Das Einzige, was ich wusste, war, dass die Ideen kommen werden.“ Nichts von dem, woran er heute arbeite, habe mit dem zu tun, woran er vor seiner Regierungszeit gearbeitet habe. „Manchmal braucht man ein Sabbatical, um den Geist zu befreien und neue Dinge zu beginnen“, sagt er. Das Chu Lab ist heute breit aufgestellt, es forscht ebenso zur Entwicklung von Molekular- und Bildgebungsverfahren und deren Anwendungen in der Biologie und Biomedizin als auch zur Synthese und Charakterisierung von Nanopartikeln Seltener Erden.
Ein Thema ist Chu über die Jahre geblieben: der Klimawandel und die Zusammenhänge mit dem Thema Energie. Er macht sich stark dafür, im Bereich regenerativer Energien zu forschen und mahnt zur Weiterentwicklung der Kernkraft. „Mit grünen Energiequellen werden wir mittelfristig nur 50 Prozent erreichen können.“ Und selbst wenn es in bestimmten Jahreszeiten mehr sein könnte, gäbe es noch immer das Batterien-Problem. Seine Ambitionen gehen deswegen verstärkt in die Erforschungen und Entwicklung leistungsstarker Energiespeicher.
„Es ist außerdem so: Strom auf Abruf leisten nur fossile Brennstoffe – oder Kernkraft.“ Beides seien unbeliebte Themen, entweder wegen des CO2-Ausstoßes oder aber wegen des öffentlichen Unbehagens.
Die Beeinflussung des Klimas durch den Menschen sei seiner Meinung nach die größte technische Herausforderung, aber er wisse auch, dass Technologie nicht Lösungen für alle unsere Probleme liefern könne. Der Öffentlichkeit sollten deshalb dessen erhebliche Risiken bewusst gemacht werden. „Ich glaube an die Wissenschaft und an die Menschheit“, sagte er einmal in einem Interview. „Ich bin optimistisch, weil es inakzeptabel wäre, nicht mehr nach Lösungen für die Herausforderung des Klimawandels zu suchen und dafür, wie wir unseren Planeten für künftige Generationen retten können. Meiner Meinung nach ist es zutiefst unmoralisch, zu verleugnen, dass wir ein Problem haben.“
Steven Chu ist 71. Er liebt es, in den Hügeln hinter seinem Haus in Kalifornien Fahrrad zu fahren. Aber er sieht noch lange keinen Grund, an die Rente zu denken. Auch wenn die Augen schlechter werden, wie er immer wieder feststellen muss, bleiben die Ideen frisch. In seinem Haus in Stanford toben die Enkelkinder seiner zweiten Frau. „Das ist ganz wunderbar, denn es erlaubt mir, arbeiten gehen zu können“, sagt er lachend. „Mein Verstand ist, ehrlich gesagt, immer bei der Arbeit. Für mich ist es aber auch nicht wirklich Arbeit.“ Als Energieminister habe er nachts oder am Wochenende an Studien gearbeitet und Paper beenden müssen. „Also ließ alle meine anderen Hobbys fallen, weil mein Tagesjob bereits 60-70 Stunden pro Woche einnahm. Hier wurde mir klar, dass das Hobby, das ich am liebsten mag, die Wissenschaft ist.“
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