Portrait
„Ich bin wahnsinnig fränkisch“
Peter Wasserscheid tüftelt an technischen Lösungen, die für das Gelingen der Energiewende dringend gebraucht werden. Das hat ihm eine Reihe von Forschungspreisen beschert und zur Gründung eines Unternehmens geführt. Seiner Heimat ist er dabei treu geblieben.
Eine Geschichte gibt es zu jedem der Gegenstände, die Peter Wasserscheid auf seinem Schreibtisch aufgereiht hat. Die Flasche zum Beispiel, deren Inhalt so aussieht wie graue Flocken: „Das ist ein Katalysator, den wir hier entwickelt haben und der heute in mehreren großtechnischen Anlagen zum Einsatz kommt“, sagt er und fügt mit Blick auf das Exponat schmunzelnd hinzu: „Das sieht so bescheiden aus, aber hinter der Entwicklung steckt jahrelange Arbeit!“ Feinsäuberlich aneinandergereiht stehen sie hier vor ihm, die Modelle der Innovationen, die er mit seinem Team in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat, und schon dieser erste Eindruck macht deutlich: Es ist einiges in Bewegung in seinem Forschungsgebiet, der Chemischen Reaktionstechnik.
Seit 2003 hat der heute 48-Jährige seinen Lehrstuhl an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg inne, mit gerade einmal 32 Jahren bekam er die Professur – und hat seitdem die vielen Veränderungen seines Forschungsgebiets mitgeprägt. „Am Anfang ging es in unseren Forschungsarbeiten noch stark um die klassische Petrochemie, um Raffinerietechnik und die großvolumigen Zwischenprodukte der chemischen Industrie“, sagt er im Rückblick. Das habe sich in den zurückliegenden zehn Jahren stark geändert; seither stehen Themen rund um die Energiewende wie etwa die chemische Energiespeicherung im Mittelpunkt. „Mir war schon immer wichtig, dass meine Forschung im Erfolgsfall auch einen gesellschaftlichen Wert hat“, sagt Wasserscheid.
Seit 2013 leitet er zunächst als Gründungsdirektor, seit 2015 als Direktor zusammen mit Karl Mayrhofer das Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien (HI ERN). Es war das Erlanger Exzellenzcluster „Engineering of Advanced Materials“, das mit seinen Forschungsaktivitäten im Überlappungsbereich zwischen Materialwissenschaft, Verfahrenstechnik, Chemie und Physik das Helmholtz-Institut nach Erlangen gelockt hat – „diese Wissenschaftsbereiche sind von großer Bedeutung für die Entwicklung neuer Technologien für die Energiewende“, sagt Peter Wasserscheid. Die Entscheidung des Forschungszentrums Jülich und des Helmholtz Zentrums Berlin das Helmholtz-Institut für Erneuerbare Energie in Franken zugründen, sei für ihn eine großartige Chance gewesen, bilanziert er. Ihm selbst ist der fränkische Dialekt nicht anzuhören. „Meine Eltern stammen nicht von hier, deshalb ist der Dialekt bei mir nicht so durchgeschlagen“, sagt er: „Dabei bin ich wahnsinnig fränkisch!“ In Unterfranken geboren, in Oberfranken aufgewachsen, und dann nach zwölf Jahren Studium, Promotion und Habilitation in Aachen jetzt in Mittelfranken tätig – „da kenne ich die fränkische Seele aus allen Perspektiven“, sagt er lachend. Nur beim Fußball hält er seiner bayerischen Heimat nicht die Treue: Er ist bekennender Borussia-Dortmund-Fan.
Wann er den Weg zur Chemie und später zum Chemieingenieurwesen gefunden hat, kann Peter Wasserscheid genau bestimmen, „beinahe auf den Tag genau“, wie er hinzufügt: Im Jahr 1990 wurde er als Schüler Bundessieger bei „Jugend Forscht“, er entwickelte einen verrottbaren Kunststoff. Die Diskussion mit Experten, die neugierig waren auf seine Ideen – die seien beglückend gewesen, erinnert er sich. Und sie führten direkt danach zu seiner Entscheidung für das Chemiestudium. Als er einige Jahre später bei seinem Professor in der Technischen Chemie vorstellig wurde wegen der bevorstehenden Diplomarbeit, hatte der für seinen ambitionierten Studenten eine kniffelige Aufgabe: „Ich habe da von einer Sache gehört, die mir komisch vorkommt, aber wenn da etwas dahintersteckt, wäre das eine hochinteressante, neue Option für die Mehrphasenkatalyse“ – mit diesen Worten brachte der Professor den Studenten dazu, sich mit ionischen Flüssigkeiten zu beschäftigen.
Flüssiger Wasserstoff könnte im Zentrum des Energiesystems der Zukunft stehen
Es ist ein Thema, das Peter Wasserscheid bis heute beschäftigt und für das seine Gruppe mittlerweile als weltweit führend gilt. „Ionische Flüssigkeiten sind Salze, die wie Kochsalz aus positiv und negativ geladenen Teilchen zusammengesetzt sind“, erklärt er: „Doch während Kochsalz erst bei über 800 Grad schmilzt, liegen die ionischen Flüssigkeiten aufgrund ihrer speziellen Struktur bereits bei Raumtemperatur flüssig vor.“ Sie sind schwer entzündlich, lösen gut metallorganische Katalysatoren und sind elektrisch leitfähig. Das macht sie hochbegehrt für technische Anwendungen – „sie können in Sensoren eingesetzt werden, aber auch in Kompressoren oder chemischen Produktionsprozessen“, sagt Peter Wasserscheid. Für seine Forschungsarbeiten in diesem Bereich wurde er 2006 mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ausgezeichnet, außerdem bekam er gleich zweimal in Folge einen Advanced Grant vom European Research Council.
Neben den ionischen Flüssigkeiten beschäftigt er sich mit unterschiedlichen technischen Möglichkeiten, Wasserstoff in organischen Verbindungen zu speichern. Mit der von ihm und Erlanger Kollegen maßgeblich entwickelten „Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC)“-Technologie ist es möglich, Wasserstoff effizient, sicher und kostengünstig zu speichern. Das Team hat neben den Stoffkonzepten die erforderlichen Katalysatoren, Apparate und Prozesse entwickelt. An Testanlagen belegte es die industrielle Machbarkeit und brachte die Technologie über das Spin-Off-Unternehmen „Hydrogenious LOHC technologies“ zur Marktreife. Das junge Unternehmen zählt bereits 70 Mitarbeiter. „Das Prinzip ähnelt dem Füllen und Leeren einer Pfandflasche, die danach für den nächsten Speicherzyklus wieder bereitsteht“, sagt Wasserscheid. „Der flüssige Wasserstoffträger wird im Speicherzyklus nicht verbraucht, sondern kann mehrere hundertmal wiederverwendet werden.“ Ein Ziel, erzählt Peter Wasserscheid, will er mit seinem Team gerne erreichen: Er will einen Beitrag zur Entwicklung von Energietechnologien leisten, die ohne fossile CO2-Emissionen auskommen und weltweit einsetzbar sind, weil sie auf die bestehende Infrastruktur für Kraftstoffe zurückgreifen. „Ob die Technologien, die wir hier entwickeln, einen entscheidenden Beitrag liefern oder nur Nischenanwendungen finden, ist nicht so entscheidend“, sagt er. Und dann wiederholt er den Satz, mit dem er sein Team regelmäßig anspornt und der viel über seinen Sportsgeist verrät: „Je besser unsere Ideen und Entwicklungen sind, desto besser muss jede Lösung sein, die unsere Konzepte im Wettbewerb verdrängen kann!“
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