Um das zu verstehen, muss man wissen, dass viele Antibiotika von Bakterien oder Pilze produziert werden. Bislang konnte man jedoch nur ein Prozent dieser Mikroorganismen im Labor anzüchten. Mit der neuen Methode gelingt dies bei 50 Prozent. Das Besondere ist, dass Kim Lewis und sein Team die Bakterien in ihrem natürlichen Lebensraum heranzüchten und so ihre Kultivierung möglich machen. Dabei legt man Bakterien aus Bodenproben in die Kammern einer Kunststoffplatte namens iChip. Die Kammern werden mit Membranen verschlossen, die durchlässig für Nährstoffe und andere Wachstumsfaktoren sind. Danach wird der iChip für ein bis zwei Wochen in den Erdboden gebettet. In dieser Zeit bilden sich Bakterienkolonien, die anschließend im Labor domestiziert werden können. Mit dieser neuen Methode konnte das Forscherteam um Kim Lewis bereits 10.000 bislang unkultivierbare Bakterienarten untersuchen. Dabei entdeckten sie Teixobactin, das sich als ein vielversprechender Antibiotikum-Kandidat entpuppte. Ich bin mir allerdings sicher, dass mit dem iChip-Verfahren noch mehr potenzielle Wirkstoffe gefunden werden können.
Die meisten Antibiotika sind in ihrer Grundstruktur seit langem bekannt. In den 30 Jahren vor der Entdeckung von Teixobactin wurden lediglich zwei neue Klassen von Antibiotika als Medikamente zugelassen. Warum war man nicht erfolgreicher?
Nur wenige Substanzen überstehen die klinischen Studien. Oft sind sie für Menschen toxisch oder nicht gut verträglich. Um die Zulassung zu bekommen, muss ein Medikament weitere Hürden nehmen: Ein neues Antibiotikum sollte zum Beispiel wirkungsvoller sein als Konkurrenzprodukte, die bereits zugelassen sind.
Gibt es weitere Gründe für die geringe Erfolgsquote?
Seit den 70er Jahren ist es immer schwieriger geworden, neue Substanzen zu finden. Damals hatte man sämtliche Antibiotika, die eher leicht zu finden und zu isolieren waren, bereits für pharmazeutische Zwecke nutzbar gemacht. Von etwa 1990 an setzte man dann große Hoffnungen in eine neue Methode, das so genannte „Target-basierte Screening“. Dabei wurden massenweise Substanzen im Hochdurchsatz getestet. Bedauerlicherweise zeigten viele der getesteten Wirkstoffe, die im Reagenzglas Proteine und Enzyme binden oder hemmen in lebenden Organismen keine Aktivität zeigen. Sie konnten den also Bakterien nichts anhaben, da sie zum Beispiel nicht in der Lage waren, in Zellen einzudringen. Dieser Rückschlag hat viele Pharmaunternehmen enttäuscht. Sie haben sich daraufhin aus der Antibiotika-Forschung zurückgezogen. Heute sind vielleicht noch fünf große Pharmaunternehmen im Bereich der Antibiotika-Forschung tätig.
Wie steht es generell um die Finanzierungsbereitschaft großer Pharmafirmen von Forschungsvorhaben im Bereich der Antibiotikaforschung?
Das ist ein schwieriges Geschäft. Die Entwicklung von Antibiotika ist für Pharmafirmen oft nicht lukrativ. Die Patienten nehmen die Medikamente eine Woche lang und sind danach wieder gesund. Der kurze Zeitraum der Einnahme schmälert die Umsätze – während Mittel gegen Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen oft ein Leben lang genommen werden und damit weitaus rentabler sind. Womöglich sollte man darüber nachdenken, die Preise für Antibiotika anzuheben, damit sich deren Entwicklung für Pharmafirmen besser auszahlt. Klinische Tests kosten mehrere hundert Millionen Euro. Solche Summen lassen sich ohne das Geld der Pharmabranche nicht finanzieren.
Gibt es auch positive Entwicklungen?
Ich habe das Gefühl, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Antibiotika-Forschung in vielen Pharmafirmen wieder gestiegen ist – vor allem vor dem Hintergrund, dass Erreger immer häufiger Resistenzen entwickeln. Darüber hinaus gibt es große Firmen wie MSD, die schon seit längerem kontinuierliche Forschung betreiben. Hinzu kommen Einrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung und andere Initiativen und Verbünde, die sich dem Thema intensiv widmen. Es ist nun einmal eine Konsequenz der Evolution, dass Bakterien immer Resistenzen entwickeln werden. Daher ist es unglaublich wichtig, dass wir mithalten können im Wettrennen mit gefährlichen Krankheitserregern. Zu häufig haben wir allerdings das Nachsehen. Die Entdeckung von Teixobactin und der damit verbundene Einsatz einer neuen, effektiven Methode neue Wirkstoffe zu finden, bedeutet nun einen enormen Fortschritt.
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