Klimawandel
Geringere Rückstrahlkraft des Planeten sorgt für sprunghaften Anstieg der Erderwärmung
Das Jahr 2023 war wärmer als die Klimamodelle prognostiziert haben. Den Grund haben Forscher:innen vom AWI nun möglicherweise gefunden. Das Rückstrahlvermögen unseres Planeten nimmt ab, weil ihm bestimmte Wolken fehlen.
Die globale Durchschnittstemperatur verzeichnete 2023 mit einem Anstieg auf fast 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau einen neuen Höchstwert. Die Suche nach den Ursachen dieses sprunghaften Anstiegs stellte Forschende vor ein Rätsel. Denn betrachtet man die Wirkung menschengemachter Einflüsse wie die Ansammlung von Treibhausgasen in der Atmosphäre, vom Wetterphänomen El Niño sowie von Naturereignissen wie Vulkanausbrüchen, lässt sich zwar ein Großteil der Erwärmung nachvollziehen. Jedoch gibt es eine Lücke von etwa 0,2 Grad Celsius, die bisher nicht richtig erklärt werden konnte. Ein Team um das Alfred-Wegener-Institut hat nun in der Online-Ausgabe des Fachjournals Science beschrieben, was den unerwartet hohen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur verursacht haben könnte: Das Rückstrahlvermögen der Erde nimmt ab, weil ihr bestimmte Wolken fehlen.
Die sogenannte planetare Albedo spielt eine entscheidende Rolle im Wärmehaushalt der Erde. Der Begriff beschreibt den Anteil der Sonneneinstrahlung, der nach jeglicher Wechselwirkung mit der Atmosphäre und der Erdoberfläche ins Weltall zurück reflektiert wird. Die Daten legen nun nahe, dass die planetare Albedo 2023 so niedrig wie nie seit mindestens 1940 gewesen sein könnte. Das befeuert die globale Erwärmung und kann die bisher fehlenden 0,2 Grad Celsius erklären. Die Albedo der Erdoberfläche nimmt seit den 1970er Jahren tendenziell ab. Zunächst auch dadurch, dass Schnee und Meereis in der Arktis immer weniger wurden und damit auch weiße Flächen, die Sonnenstrahlen reflektieren können. Seit 2016 kommt der Rückgang des Meereises in der Antarktis hinzu. „Die Analyse der Datensätze zeigt jedoch, dass der Rückgang der Oberflächenalbedo in den Polarregionen nur etwa 15 Prozent zum jüngsten Rückgang der planetaren Albedo beigetragen hat“, erklärt Helge Gößling, Hauptautor der Studie vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Auch andernorts habe das Reflexionsvermögen spürbar abgenommen. Die Forschenden haben mit einem Energiebilanzmodell berechnet, dass ohne die verringerte Reflexion 2023 im Mittel etwa 0,23 Grad Celsius kühler ausgefallen wäre.
Eine Entwicklung hat den Rückgang des planetaren Reflexionsvermögens offenbar maßgeblich beeinflusst: der Rückgang von niedrigen Wolken in nördlichen mittleren Breiten und in den Tropen. Dass hauptsächlich niedrige und nicht etwa höhere Wolken hinter dem Albedo-Rückgang stecken, ist folgenreich. Wolken in allen Höhen reflektieren Sonnenlicht und haben so eine kühlende Wirkung. Wolken in hohen, kalten Luftschichten haben jedoch zusätzlich auch eine wärmende Wirkung, weil sie die Wärme, welche die Erdoberfläche abstrahlt, in der Atmosphäre halten. „Das entspricht im Grunde der Wirkung von Treibhausgasen“, erklärt Helge Gößling. Diese Wirkung fehle jedoch weitestgehend bei niedrigeren Wolken. „Gibt es weniger niedrigere Wolken, verlieren wir nur den Kühleffekt, es wird also wärmer.“
Was aber hat den Rückgang der niedrigen Wolken verursacht? Weniger menschenverursachte Aerosole in der Atmosphäre, insbesondere durch strengere Auflagen beim Schiffsdiesel, dürften dazu beigetragen haben. Als Kondensationskeime sind Aerosole maßgeblich an der Wolkenbildung beteiligt, zusätzlich reflektieren sie auch selbst das Sonnenlicht. Außerdem könnten natürliche Schwankungen und Ozean-Wechselwirkungen eine Rolle spielen.
Helge Gößling hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass diese Faktoren als Erklärung ausreichen und bringt einen dritten Mechanismus ins Spiel: Es ist die Erderwärmung selbst, die die niedrigen Wolken verschwinden lässt. „Sofern hinter dem Albedo-Rückgang eine verstärkende Rückkopplung zwischen Erderwärmung und Wolken steckt, wie auch einige Klimamodelle nahelegen, müssen wir mit einer recht starken zukünftigen Erwärmung rechnen“, betont er. „Wir könnten einer globalen Klimaerwärmung von über 1,5 Grad Celsius bereits näher sein als bislang gedacht. Die verbleibenden Treibhausgasemissionen, die mit diesen Haltelinien des Paris-Abkommens verbunden sind, müssten entsprechend nach unten korrigiert werden, und Maßnahmen gegen die Folgen zu erwartender Wetterextreme würden noch dringlicher.“
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