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Standpunkt

„Für die Hirnforschung ergeben sich nie da gewesene Chancen“

Prof. Katrin Amunts, Direktorin am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin, des Cécile und Oskar Vogt-Instituts für Hirnforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) sowie Joint-CEO von EBRAINS

Die Neurowissenschaftlerin Katrin Amunts vom Forschungszentrum Jülich hat zusammen mit über 100 Kolleg:innen in einem Positionspapier die Eckpunkte für die weiteren Ziele in den digitalen Neurowissenschaften formuliert.

Supercomputing und eine groß angelegte, multidisziplinäre Zusammenarbeit schaffen völlig neue Möglichkeiten für die Hirnforschung. Das europäische Human Brain Project (HBP) hat diese neuen Formen der Zusammenarbeit ermöglicht. Es ist eine digitale Plattform – die Forschungsinfrastruktur EBRAINS – entstanden, auf der Wissenschaftler:innen in aller Welt Daten, Analysewerkzeuge und den Zugang zu Hochleistungsrechnern finden. Für die Hirnforschung, Medizin und Technologieentwicklung ergeben sich daraus nie da gewesene Chancen.

In unserem aktuellen Positionspapier haben über 100 Autor:innen eine gemeinsame „Roadmap“ für die digitalen Neurowissenschaften in den kommenden zehn Jahren skizziert. Sie listet insgesamt acht Forschungsschwerpunkte auf. Dazu zählen hochaufgelöste anatomische Modelle wie das Jülicher BigBrain und detaillierte Kartierungen wie der Julich-Brain-Atlas. Weitere Schwerpunkte betreffen Anwendungen in der Medizin und der künstlichen Intelligenz (KI). Zudem weist das Papier der neurowissenschaftlichen Forschung den Weg in weitere medizinische Anwendungen. Hierbei wird der „digitale Zwilling“ eine wesentliche Rolle spielen: computergestützte, mathematische Hirnmodelle, die kontinuierlich mit realen Messdaten abgeglichen werden. Solche personalisierten Modelle werden Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des Gehirns zunehmend verbessern, zum Beispiel durch eine präzisere operative Behandlung bei Epilepsie.

Entscheidend aber ist es in der weiteren Forschung, das Problem der fehlenden Harmonisierung und des Austauschs der vielfach fragmentierten klinischen Daten zu lösen. EBRAINS entwickelt hier gemeinsam mit seinem Partner, der European Academy of Neurology, ein Verfahren, das die Harmonisierung, den Austausch und die gemeinsame Nutzung von Gesundheitsdaten ermöglichen soll.

Enormes Potenzial liegt auch in neuen KI-basierten Methoden. Insbesondere KI-Basismodelle (Foundation Models) verändern die Forschung in einer Weise, die es erlaubt, völlig neue Fragen zu adressieren. EBRAINS kann dabei eine wichtige Rolle spielen und europäischen Basismodellen des Gehirns bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen den Weg ebnen. Es bietet eine gut ausgebaute Dateninfrastruktur mit zunehmend großen Trainingsdatensätzen in hoher Qualität. Dabei profitieren nicht nur die Neurowissenschaften. Erkenntnisse über das Gehirn werden auch auf KI zurückübertragen. Im HBP nach dem Vorbild des Gehirns entwickelte KI-Algorithmen bewiesen bereits bemerkenswerte Vorteile: Sie zeigten eine hohe Energieeffizienz, Flexibilität und Plastizität sowie die Fähigkeit, aus spärlichen Daten zu lernen.

Wichtig ist dabei auch der Zugang zu den enormen Rechenkapazitäten des ersten europäischen Exascale-Computers JUPITER im Forschungszentrum Jülich. Es ist von großer Bedeutung, dass das Potenzial, das die neuen Exascale-Rechenkapazitäten für die Neurowissenschaften bieten, durch entsprechende Forschungsprogramme effektiv genutzt werden kann. So kann an der Schnittstelle zum Computing ein einzigartiger produktiver Kreislauf zwischen KI und Hirnforschung entstehen, der beide Felder weiter voranbringt.

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EBRAINS

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