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Krebsdiagnostik

Fruchtfliegen riechen Krebs

Bild: Max Westby, flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Fruchtfliegen können den Geruch von gesunden Zellen und Krebszellen unterscheiden. Das haben Forscher herausgefunden, indem sie Ausdünstungen von Zellkulturen auf die Riechantennen von Fruchtfliegen pusteten. Mit den Erkenntnissen wollen die Forscher einen Sensor für die Krebsdiagnostik entwickeln

Wenn gesunde Zellen zu Tumorzellen werden, verändert sich ihr Stoffwechsel und damit auch die Zusammensetzung der Stoffwechselprodukte. Dass Fruchtfliegen diese feinen Abweichungen mit ihren Riechantennen wahrnehmen und dabei sogar zwischen verschiedenen Arten von Brustkrebszellen unterscheiden können, hat der Zoologe Giovanni Galizia mit einem Experiment an der Universität Konstanz belegt.

Das Team um Galizia, Biologen und Ingenieure der Universitäten Rom und Konstanz, fixierte für das Experiment Fruchtfliegen auf einem Podest und setzte ihre Riechantennen den flüchtigen Stoffen aus, die die Stoffwechselprodukte gesunder und kranker Zellen absondern. Um an diese "Düfte" zu kommen, hatten sie einen Milliliter der Nährlösung, in der die Zellen zuvor vermehrt worden waren, in Glasfläschchen abgefüllt. In den versiegelten Behältern konnten sich nun die flüchtigen Stoffe sammeln. Die "Düfte" von gesunden Zellen und von fünf verschiedenen Krebszelllinien wurden dann mit einer Nadel aus den Glasfläschchen gesogen und nacheinander durch einen feinen Schlauch auf die Riechantennen der Fruchtfliegen gepustet.

Fruchtfliegen haben auf ihren Riechantennen über fünfzig Arten von Geruchsrezeptoren. Sie registrieren jeweils unterschiedliche Duftmoleküle und lösen dadurch Reaktionen in den Riechsinneszellen aus. Je nach Zusammensetzung erzeugt ein Duft so ein charakteristisches Erregungsmuster. Wie die Nervenzellen der Versuchstiere auf die verschiedenen Geruchsproben reagierten, wurde mit einem Fluoreszenz-Mikroskop beobachtet. Es regt mit Lichtstrahlen einer bestimmten Wellenlänge genau jene Proteine zum Leuchten an, die die sechs Versuchstiere durch eine genetische Veränderung in ihren Riechsinneszellen produzieren. Und sie leuchten dann besonders stark, wenn Kalzium in die Zelle einströmt. Kalzium wiederum ist ein Indikator für die neuronale Aktivität. Die Verteilung der Helligkeit in den Aufnahmen bildet auf diese Weise ein Aktivitätsmuster der Riechsinneszellen ab.

Durch den Vergleich der Aktivitätsprofile der sechs Versuchstiere fanden die Wissenschaftler heraus, dass alle Fruchtfliegen auf den Duft der kranken und der gesunden Zellen mit einem jeweils charakteristischen Erregungsmuster reagierten. Die Auswertung zeigte auch: Die Tiere konnten nicht nur zwischen krank und gesund, sondern auch zwischen verschiedenen Arten von Brustkrebs unterscheiden. Die Duftmoleküle von zwei verschiedenen Gruppen von Brustkrebszellen brachte bei den Tieren ein jeweils spezifisches Muster hervor.

Dass Tiere mit ihrem sehr feinen Geruchssinn Krebszellen von gesunden unterscheiden können, ist nicht neu. In den letzten fünf Jahren haben Wissenschaftler vor allem mit Hunden experimentiert. Nach einer Abrichtung durch Hundetrainer waren sie in der Lage, Atemproben von Patienten zu erkennen, bei denen kurz zuvor eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war. "Das Ziel unseres Experiments ist es aber nicht zu zeigen, dass auch Fruchtfliegen Krebs riechen können", sagt Galizia. "Wir wollen herausfinden, welche Rezeptoren auf welche Moleküle reagieren." Dafür ist die Fruchtfliege als Modell gut geeignet. Ihr Genom ist komplett sequenziert, sie ist genetisch leicht zu manipulieren und die Anzahl der Geruchsrezeptoren ist - anders als bei Säugtieren - überschaubar. Fernziel von Galizias Forschung ist die Entwicklung eines künstlichen Sensors, der die biologischen Riech-Mechanismen imitiert und so ein breiteres Spektrum von Düften genauer analysieren kann als gängige technische Sensoren, sogenannte elektronische Nasen, die die Konzentration von Gasen messen und heute in der Industrie und im militärischen Bereich eingesetzt werden.

Rudolf Jörres vom Klinikum der Universität München warnt jedoch vor zu großen Erwartungen: "Ich halte den Forschungsansatz von Galizia für sehr vernünftig. Wir können versuchen, von den Fliegen zu lernen, so wie auch von den Hunden. Aber wenn wir an die klinische Anwendung denken, sollten wir genauer wissen, was wir wie und bei wem messen wollen." Jörres selbst experimentiert mit elektronischen Nasen, um herauszufinden, ob sich damit Begleiterkrankungen von Patienten mit chronischem Lungenleiden diagnostizieren lassen. Ungewiss sei derzeit noch, ob künstliche Sensoren, wenn sie in Zukunft besser "riechen" können, Patienten tatsächlich einen Zusatznutzen bringen. Denn bei Krebs weiß man noch nicht, ob er bereits messbar "duftet", bevor er sich im Körper so weit ausbreitet, dass er auch mit herkömmlichen Methoden wie Ultraschall, Computer- oder Magnetresonanztomografie zu diagnostizieren ist. Wäre das der Fall, ließen sich Tumore allerdings mit solchen hochsensiblen Spürnasen in der Atemluft oder im Blut viel früher entdecken - und therapieren. "Das werden wir aber erst in zehn Jahren wissen, wenn wir mehr klinische Anwendungsdaten haben", sagt Rudolf Jörres.

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