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Interview

„Fanwalks sind für uns noch Neuland“

Deutsche Fans gehen beim Fanmarsch durch den Schwanenplatztunnel. Bei dem „Fanwalk“ soll es laut Polizei zu einer Beschädigung an Kabeln im Tunnel gekommen sein. Bild: picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth

Lieber vor als im Stadion: Während der EM untersuchen Jette Schumann und ihr Team vom Forschungszentrum Jülich, wie Fans zu den Spielen anreisen. Mit den Daten wollen sie ihre Computersimulationen optimieren – und Besucherströme künftig besser lenken.  

Nein, ehrlich gesagt nicht. Viel spannender finde ich es, die Anreise der Fans zu beobachten. Denn darum geht es uns beim Projekt CroMa-PRO: Wir wollen herausfinden, welche Routen und Verkehrsmittel Menschen wählen, um zu solchen Events zu gelangen und wo sich dabei Besucher- und Verkehrsströme stauen können. Dafür haben wir verschiedene Simulationen entworfen, alle am Beispiel des Stadions in Düsseldorf, wo insgesamt fünf Turnierspiele stattfinden.

Jette Schumann vom Forschungszentrum Jülich, Institute for Advanced Simulation (IAS), ist Expertin für zivile Sicherheitsforschung, wissenschaftliche Programmierung und Technomathematik. Bild: Forschungszentrum Jülich/Martin Leclair

Ja, tatsächlich: Vor Anpfiff bin ich den gesamten Sicherheitsring abgelaufen, habe registriert, welche Wege die Fans vom nahegelegenen Bahnhof nutzen und auch beobachtet, wie sie sich über die verschiedenen Eingänge verteilen. Denn mein Projektteam untersucht vor allem den letzten Abschnitt der Anreise, also das Verhalten der Menschen, die im Umfeld des Stadions zu Fuß unterwegs sind. Und das ist schon beeindruckend, wenn man die Menschenmassen dort nicht mehr nur als Simulation auf dem Bildschirm sieht, sondern mitten zwischen ihnen steht – das gilt natürlich ganz besonders für die Fanwalks. Vor allem die Aufnahmen der Niederländer mit ihren Märschen und Tänzen haben mich beeindruckt: So schöne Bilder schafft kein Computermodell!

Damit Simulationen aussagekräftige Ergebnisse liefern, muss man ihnen möglichst viele und präzise Informationen bieten. Die haben wir glücklicherweise, denn in dem Projekt arbeiten wir eng mit Fachleuten zusammen, die schon seit vielen Jahren Sportevents und Großveranstaltungen planen. Von ihnen bekommen wir die Daten für unser Computermodell, zum Beispiel: Wann brechen die Besucher zum Stadion auf, mit welchen Verkehrsmitteln reisen sie an, welche Eingänge bevorzugen sie? Die dabei entstehende Dynamik berechnet dann die Simulation für uns. Sehr vereinfacht gesagt: Wo es eng und voll wird, werden die Menschen langsamer und es kann zu Gedränge kommen. Es gibt aber noch viele weitere Einflussfaktoren.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt das Wetter! Denn bei Regen reisen viele Menschen mit der Bahn an, die ursprünglich zu Fuß kommen wollten. Also wird es plötzlich rund um die Bahnhöfe voll. Es kann sogar entscheidend sein, wann oder wie viel es regnet: Einen Schauer kurz vor ihrem Aufbruch warten Fans vielleicht noch ab. Danach laufen sie dann aber umso schneller, um rechtzeitig zur Arena zu gelangen – dort wird es an den Eingängen also womöglich kurz vor Spielbeginn schlagartig eng. Wir berücksichtigen aber auch unterschiedliche Gehgeschwindigkeiten: Eine Familie zum Beispiel ist langsamer unterwegs als eine kleine Gruppe hochmotivierter Fans, die schnell und zielstrebig ins Stadion gelangen will.

Im Projekt CroMa-PRO arbeiten Simulationsexpert:innen eng zusammen mit Veranstaltungsplaner:innen. Gemeinsam wollen sie die Besucherlenkung bei Großveranstaltungen verbessern. Dafür entwickeln sie Computersimulationen, die vorab verschiedene denkbare Szenarien der An- und Abreise durchspielen. So können die Fachleute mögliche Risikofaktoren rechtzeitig entdecken und vorbeugen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, daran beteiligt sind neben dem Forschungszentrum Jülich auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der Veranstaltungs- und Mobilitätsplaner Eventbande GmbH und der Stadionbetreiber D.LIVE. www.croma-pro.de

Ja, denn die Austragungsorte wollen natürlich wissen, wie sie sich darauf am besten vorbereiten: Welche Wege oder Straßen sollten zur Verfügung gestellt werden, damit noch genug Platz für anderen wichtigen Verkehr bleibt, zum Beispiel Rettungsfahrzeuge? Führen die Fanwalks über wichtige Verkehrsknotenpunkte, können sie außerdem die Anreise anderer Fans beeinflussen. Und wenn sie dann am Stadion enden, strömen auf einmal sehr, sehr viele Fans gleichzeitig zu den Einlässen. Wir haben deshalb zum Beispiel mit unseren Computermodellen geprüft, wann die Fanwalks idealerweise starten sollten, damit am Schluss genug Zeit für die Einlass- und Sicherheitskontrollen bleibt und alle Besuchenden rechtzeitig auf ihren Plätzen sitzen. Aber noch laufen unsere Simulationen dazu nicht optimal.

Fanwalks sind für uns als Simulationsexpert:innen noch Neuland. Wir nehmen zum Beispiel an, dass sich die Menschen dabei langsamer und mit einem größeren Abstand voneinander bewegen als andere Fußgänger. Wir wissen es aber nicht genau. Deshalb haben Studierende der Universität Wuppertal am ersten Spieltag für uns die Fanwalks der Österreicher und Franzosen beobachtet und gemessen, wie schnell die Menschen dort gelaufen sind. Fanwalks sind aber auch deshalb schwierig zu simulieren, weil nicht zwingend alle Personen, die daran teilnehmen, ein Ticket für das Stadion haben. Kurz vor dem Ende der Route zweigen also noch einmal Fußgängerströme ab – diese Menschen laufen vielleicht zurück in die Innenstadt zum Public Viewing. Um solche Vorgänge abbilden zu können, wollen wir unsere Simulationen noch optimieren.

Das stimmt. Doch die konzentrieren sich meist auf Fluchtszenarien: Wie können Veranstaltungsorte bei Gefahr so schnell wie möglich geräumt werden. Die Simulationen bilden deshalb Bewegungsvorgänge in recht kurzen Zeiträumen ab. In unseren simulierten Szenarien dagegen zoomen wir weiter heraus: Wir starten die Simulation mehrere Stunden vor Spielbeginn und nehmen zudem eine viel größere Fläche und verschiedene Wegetappen in den Blick. Wie gelangen Fans zum Beispiel vom Flughafen in die Innenstadt oder vom Bahnhof zum Stadion – und wie verteilen sie sich dort über die verschiedenen Eingänge.

Ja, daran arbeiten wir. Denn solche Events werden sicherer, wenn die Veranstalter vorab wissen, wie sich die Besucherströme entwickeln können und wo dann Staus möglich sind. Ist zum Beispiel abzusehen, dass an bestimmten Eingängen sehr viele Personen warten werden, können rechtzeitig Schilder installiert werden, die auf weitere Einlässe hinweisen. Die EM in Düsseldorf ist dabei unser erster großer Testlauf, mit dem wir auch prüfen wollen, wo wir unsere Modelle noch verbessern müssen. Danach werden wir unsere Simulation für eine andere Veranstaltungsart nutzen. Wir denken zum Beispiel an ein Festival: auch sehr viele Besucher:innen. Und viele Laufwege!

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