Nachhaltigkeit
„Es geht nicht darum, alte Kugelschreiber zu recyceln“
Denise Völker ist die erste Nachhaltigkeitsmanagerin beim DESY in Hamburg. In ihrem neuen Job lernte sie nicht nur viel über Physik, sondern auch, dass die Mitarbeiter Veränderungen im Umweltschutz geradezu einfordern.
Was sie auf keinen Fall will: alleine in ihrem Büro hocken und sich tolle Konzepte ausdenken, die nichts mit der Arbeitswirklichkeit bei DESY zu tun haben. „Das würde niemandem helfen“, sagt Denise Völker. Deshalb nutzte sie ihre ersten Wochen, um sich die Abläufe in den unterschiedlichen Abteilungen anzuschauen. Oder wie sie selbst sagt: „Ich habe überall Praktikum gemacht.“
Denise Völker, 46 Jahre alt, ist die erste Nachhaltigkeitsmanagerin bei DESY. Sie tritt an, um den Gedanken der Nachhaltigkeit im Forschungszentrum fest zu verankern – und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür zu begeistern. „Der Begriff schwirrt ja seit Jahren durch den politischen Raum“, sagt Völker. „Aber oft war er nicht mehr als eine leere Worthülse.“ Diese nun mit konkreten Inhalten zu füllen, mit Ideen, Zielen und Forderungen, das sei ihre Aufgabe. Ihren Posten bei DESY hat Denise Völker Anfang März angetreten.
Gleich zu Beginn begleitete sie die Elektriker auf deren Wartungstour durch die Tunnel des Teilchenbeschleunigers. Die Männer erklärten Völker, wo sie selbst Verbesserungspotenzial sehen. Zum Beispiel bei den Magneten aus den 1970er Jahren. Für das, wozu diese heute gebraucht werden, sind sie teilweise überdimensioniert. Also ineffizient. Bei einem technischen Update sollen die Magneten nun ausgetauscht werden. Nachhaltigkeit, sagt Völker, bedeute eben gerade nicht, Mitarbeitern moralische Vorhaltungen zu machen. „Es ist viel schlauer, Elektriker und Ingenieure bei ihrer Berufsehre zu packen.“ Die Kollegen wollten schließlich selbst, dass der Beschleuniger bestmöglich funktioniere. Und bestmöglich bedeute neben zuverlässig nun mal auch effizient.
Die ersten Monate kommen ihr im Rückblick wie ein kleines Physikstudium vor
Von Physik hatte Völker vor ihrem Dienstantritt wenig Ahnung. Sie ist studierte Landschaftsarchitektin und Politologin, hat die vergangenen 20 Jahre im Umweltschutz, zehn davon bei Greenpeace gearbeitet. Um die Beschleuniger-Anlagen besser zu verstehen, die große Mengen Strom verbrauchen, kaufte sie sich in ihrer ersten DESY-Woche das Buch „Elektrotechnik für Dummies“. Was dann an Gesprächen, Nachfragen und Diskussionen folgte, kommt ihr im Rückblick wie ein kleines Physikstudium vor. Sie sagt: „Natürlich werde ich niemals jedes komplizierte Experiment bis ins Letzte verstehen.“ Aber doch immerhin so gut, um abschätzen zu können, wie sich das Nachhaltigkeitsprinzip durchsetzen lässt, ohne die Forschung zu behindern.
Was sie am meisten überraschte war, wie offen sie empfangen wurde. Mit wem sie auch spreche, sagt Völker, überall signalisierten ihr Mitarbeiter, dass sie sich nicht nur für Energiesparen, Recycling und Klimaschutz interessierten, sondern dies regelrecht einforderten. Weil die Zeit dafür reif sei. In der Gesellschaft, in der Wirtschaft und eben auch in einer außeruniversitären Forschungseinrichtung wie DESY.
Denise Völker setzt auf Austausch mit den anderen Helmholtz-Zentren. Im gemeinsamen Arbeitskreis, in das jedes Zentrum mindestens einen Vertreter schickt, werden Erfahrungen geteilt, Anregungen aufgenommen. Für DESY würde Völker etwa gern die Praxis übernehmen, dass jedem Mitarbeiter beim Beantragen einer Dienstreise automatisch angezeigt wird, wie viel Kohlendioxid dadurch freigesetzt würde. „Das wäre kein Verbot und keine Gängelei, doch bereits die bloße Information würde sicher dazu führen, dass die eine oder andere Reise zugunsten einer Videokonferenz ausfällt“, sagt Völker.
Wie ernst die Kollegen bei DESY ihre Rolle nehmen, erlebt sie täglich auf dem Campus. Da vergehe kein Mittagessen in der Kantine, ohne dass sich ein Mitarbeiter bei ihr unaufgefordert entschuldige, dass er ausnahmsweise zum Pappbecher gegriffen oder das Schnitzel bestellt habe. Völker muss dann meist grinsen. „Erstens bin ich kein Missionär. Und zweitens habe ich da ja eigentlich Pause und würde vielleicht lieber über das letzte Spiel des FC St Pauli quatschen.“ Andererseits, sagt sie, sei die Sensibilität der Kollegen ein wunderbares Zeichen. Wenn Völker in der Nähe ist, lassen Mitarbeiter gelegentlich das Auto stehen und legen auch die weiten Strecken über den Campus zu Fuß zurück.
Als grünes Mäntelchen will sie auf keinen Fall herhalten
Damals in ihrer Zeit bei Greenpeace hat Völker gelernt, dass es Ausdauer braucht - aber das Verbesserungen sehr realistisch sind. Sie setzte mit ihrer Gruppe Schutzgebiete im Amazonas durch, in denen Wälder nicht für Sojaanbau gerodet werden dürfen. Sie klärte über eine alte Papierfabrik am Baikalsee auf, die Chemikalien ungefiltert ins Frischwasser pumpte. Oder über Industrieschiffe großer Konzerne, die vor Westafrika das Meer leerfischten und so den lokalen Fängern aus dem Senegal deren Lebensgrundlage raubten.
In dieser Zeit, sagt sie, habe sie auch gelernt, Konflikte auszuhalten. „Ich wurde oft genug beschimpft und zum Teufel gewünscht. Ich kann einstecken.“ Am härtesten war es, als sie dafür kämpfte, dass sich im deutschen Buchhandel endlich urwaldfreies Papier durchsetzt. Jahrelang wurde sie von alten Herren aus der Druckerbranche ausgelacht, manche verweigerten ihr den Handschlag. Heute ist das sogenannte FSC-Zertifikat Standard im deutschen Buchhandel.
Na klar sei sie Idealistin, sagt Völker. Das war sie schon in ihrer Jugend im Thüringer Wald. Als 1991 der Irakkrieg begann, stand sie auf dem Altmarkt in Schmalkalden und beteiligte sich an einer Lichterkette. Vermutlich habe das außerhalb ihres Heimatorts keiner mitbekommen, schon gar nicht im Irak. „Aber ich habe gemerkt, wie wichtig es mir ist, mich einzusetzen.“ Ihren Posten bei DESY hätte Völker nicht angetreten, wäre sie nicht überzeugt gewesen, dass es die Oberen ernst meinen. Als grünes Mäntelchen will sie auf keinen Fall herhalten. Es gab diesen Moment im Vorstellungsgespräch, erinnert sie sich. Da fragte der Verwaltungsdirektor: „Wo sehen Sie denn konkret Handlungsbedarf, Frau Völker?“ Sie antwortete: „Ich komme ganz sicher nicht zu Ihnen, wenn Sie sich am Ende damit zufriedengeben, dass wir künftig alte Kugelschreiber recyceln. Wir müssen uns den großen Aufgaben stellen.“ „Großartig“, hat der Direktor erwidert. Da war beiden klar, dass sich zwei gefunden hatten. Am Ende des Gesprächs fragte Völker bloß noch, wo ihr Schreibtisch stehe. Sie wollte gleich loslegen.
Nachhaltigkeit bei Helmholtz
Forschungseinrichtungen tragen nicht nur durch ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zu einer Nachhaltigen Entwicklung bei. Als wesentliche Elemente des Innovationssystems, als Arbeitgeber und als öffentlich (teil-)finanzierte Organisationen haben sie auch den gesellschaftlichen Auftrag, sich mit ihrer Verantwortung gegenüber Umwelt, Gesellschaft sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den eigenen Forschungs- und betrieblichen Prozessen auseinanderzusetzen. In einem Leitfaden hat die Helmholtz-Gemeinschaft Praxisbeispiele aus allen 19 Zentren zusammengestellt.
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