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Standpunkt

Erfindungsgeist für die Medizin

Bild: Peter Himsel/Max Delbrück Center

Maike Sander, wissenschaftliche Vorständin am Max Delbrück Center, sieht bei Helmholtz alle Voraussetzungen erfüllt, um das Biomedical Engineering voranzubringen. Es müssten nur alle Puzzlesteine klug zusammengesetzt und Menschen aus unterschiedlichen Forschungsbereichen zusammengebracht werden.

Boston, 1974: Anders als seine Kommilitonen am MIT interessierte sich Robert Langer nicht für einen Job bei den Ölriesen. Der chemische Ingenieur wollte etwas bewegen. Biologie faszinierte ihn oder Medizin. Und so landete er als Außenseiter in einem Labor eines anderen Außenseiters am Harvard and Boston Children’s Hospital. Judah Folkman engagiere manchmal ungewöhnliche Menschen, hatte ihm ein Kollege gesagt.

50 Jahre später wissen wir, was für ein Glücksgriff das war. Gemeinsam haben sie geschafft, was die Fachwelt für unmöglich hielt. Der Chirurg Folkman wollte Tumoren die Nährstoffzufuhr abschneiden – eine völlig neue Krebstherapie. Dafür brauchte er nicht nur einen Wirkstoff, der Blutgefäße daran hinderte, in Richtung Tumor zu wachsen. Er wollte den Wirkstoff auch nach und nach an geeigneter Stelle im Körper freisetzen.

Sein Postdoc Bob Langer fragte: Was genau soll das Material können? Er experimentierte mit Polymeren. Der Ansatz ist heute naheliegend, aber Langer saß zwischen den Stühlen. Die chemischen Ingenieure nahmen zu dieser Zeit weder Patente noch Biologie ernst. Und im Krankenhaus war er der einzige Ingenieur.

Bis sich Biomedical Engineering in den USA als Feld etabliert hatte, gab es für die einzelnen Forscher:innen Gegenwind von allen Seiten. Heute kommt kaum eine Universität ohne das Fach aus. Um sie herum bilden sich Start-ups, die aus Ideen und Prototypen marktfähige Produkte machen. Allein die Liste der Patente und Biotechs, die Bob Langer angestoßen hat, ist zu lang für eine Aufzählung. Moderna, ein Hersteller der mRNA-Impfstoffe gegen COVID, ist der wohl jüngste Erfolg.

Deutschland kann zwar auf Spitzenforschung in der Biomedizin und in den Ingenieurswissenschaften verweisen. Aber die Fächer sind kaum verzahnt. Angesichts einer alternden Gesellschaft können wir uns das nicht leisten! Wenn wir den Wunsch der Menschen, möglichst lange gesund zu bleiben, ernst nehmen und unser Gesundheitssystem bezahlbar bleiben soll, brauchen wir eine Kultur, die Erfindungsgeist fördert. Denn wir müssen die Patient:innen nicht nur zielgerichteter behandeln und skalierbare Lösungen dafür finden. Wir wollen Krankheiten möglichst früh aufspüren und ihren Ausbruch verhindern. Dafür brauchen wir neue Diagnostika, neue Modelle für die Vorhersage, neue Implantate, neue Wirkstoffe.

Die Innovationen der vergangenen zehn Jahre, von künstlicher Intelligenz und Einzelzellanalysen über CRISPR bis zur Bildgebung, schaffen die Grundlage dafür. Das allein reicht jedoch nicht. Damit zum Beispiel eine Gentherapie Patient:innen helfen kann, muss CRISPR an die richtige Stelle im Körper kommen. Es geht also nicht ohne Biomedical Engineering! Dasselbe gilt, wenn wir Zellen, Gewebe und Organe für Transplantationen schaffen wollen.

In der Helmholtz-Gemeinschaft haben wir alle Voraussetzungen, um das Feld voranzubringen: Die multidisziplinäre Expertise und technologische Infrastruktur, die sechs Forschungsfelder umspannt, schaffen ein Umfeld, das international seinesgleichen sucht. Wir müssen die Puzzlesteine nur klug zusammensetzen und Menschen zusammenbringen, die bisher nicht gemeinsam forschen.

Am Max Delbrück Center haben wir gerade für drei Jahre Milica Radisic vom Institute of Biomedical Engineering von der University of Toronto zu Gast. Sie arbeitet daran, „Organs-on-a-Chip“ mit Blutgefäßen zu versorgen. Ihren PhD hat sie bei Bob Langer gemacht. Der Rat ihres Mentors war: „Arbeite an wichtigen Problemen, umgib Dich mit den besten Köpfen – and think big!“

Mehr Informationen zu Biomedical Engineering bei Helmholtz:

Briefing: Helmholtz Biomedical Engineering kurz vorgestellt (PDF)

Website: www.helmholtz-bioengineering.de

White Paper: Turning world class science into health solutions (PDF)

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