„Stopp – ich bin Liane. Frau Benning, das wäre doch meine Mutter.“ So reagiert die Geochemikerin vom Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ auf eine förmliche Ansprache. Seit Oktober 2014 ist sie Leiterin der GFZ-Sektion Interface-Geochemie und Professorin an der Freien Universität Berlin, doch ihre Zeit im anglo-amerikanischen Raum hat sie geprägt. Obwohl sie Deutsche ist, verbrachte sie nur die drei Jahre ihres Lebens in Deutschland, in denen sie ihr Vordiplom in Mariner Geologie und Metamorpher Petrologie in Kiel machte. Über ihre Wissenschaft spricht sie deswegen auch lieber auf Englisch.
Wie entstehen Böden? Das ist eine der wissenschaftlichen Fragen, mit denen sich Benning und ihr Team beschäftigen. „Mich interessiert, wie geochemische Verbindungen entstehen oder wieder aufgelöst werden, etwa in Bodenformationen.“ Der Mensch zerstöre Böden durch Raubbau an der Natur immer schneller, obwohl er sie dringend brauche, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Dabei ist gar nicht genau bekannt, wie Böden auf geochemischer Ebene entstehen und welche Rolle Bodenmikroben dabei spielen. Nach wissenschaftlichen Stationen in der Schweiz und den USA ging es für Liane Benning nach Großbritannien, dort ist sie bis heute Professorin für Experimentelle Biogeochemie an der “School of Earth and Environment” der Universität Leeds.
Mindestens genauso wie der Erdboden begeistert sie die Erforschung extremer Lebensformen in Schnee und Eis. Im Sommer reiste sie schon zum zweiten Mal in diesem Jahr nach Svalbard, Spitzbergen – ein Ort mit 1500 Einwohnern, der auf halber Strecke zwischen Norwegen und dem Nordpol liegt. Auf Straßenschildern wird vor Eisbären gewarnt.
Bei den Expeditionen ging es darum, Schneeproben zu sammeln, um später untersuchen zu können, wie viele und welche Kohlenstoffverbindungen darin enthalten sind. Bennings Team erforscht die Schmelzprozesse. „Die Schnee- und Eislandschaften sind keinesfalls tote Landschaften, Algen leben dort.“ Im Sommer nach der ersten Schneeschmelze erwachen sie aus ihrem „Winterschlaf“ und produzieren erst einmal viel Chlorophyll – der Farbstoff, der ihnen eine grüne Färbung verleiht. Sie blühen sozusagen. Die grünen Punkte auf der weißen Schneefläche absorbieren dann mehr Sonnenlicht als die Umgebung. Wenn die Alge allerdings zu viel Sonnenlicht ausgesetzt ist, produziert sie ihren eigenen Sonnenschutz: rote Pigmente. Die rote Farbe wiederum absorbiert noch mehr Sonnenlicht. „Es ist wie ein Teufelskreis, irgendwann verfärben sich die Algen sogar schwarz – nur um noch mehr Sonnenlicht zu absorbieren. Gleichzeitig sorgen die immer dunkler werdenden Flächen dafür, dass der Schnee immer schneller schmilzt. Wir untersuchen nun, wie diese Prozesse ablaufen, und versuchen, das Ausmaß der Algenblüte und ihre Auswirkung auf das Schmelzen der arktischen Eismassen zu beziffern.“
Von Island über Kamtschatka in Russland bis hin nach Neuseeland – die Feldforschung hat Liane Benning bereits an entlegenste Orte gebracht. Die langen Anreisen oder das Zelten in unwirtlichen Gegenden gehören für sie dazu. Es macht ihr Spaß, wenn sie raus darf. Seit 2003 fährt sie nun schon jährlich in die Arktis. „Kein Handy, kein Fernseher, nichts – nur die Natur. Es ist einfach fantastisch. Dieses ‚weg sein‘ gibt mir immer wieder neue Energie.“
Liane Benning bezeichnet sich selbst als Workaholic – das lässt sich auch auf ihren Umgang mit sozialen Medien übertragen. Auch wenn sie „nicht allzu viel Zeit“ mit Twittern verbringt, hat sie es doch auf deutlich mehr als 7000 Botschaften in den viereinhalb Jahren geschafft, die sie dort inzwischen aktiv ist. Mehr als 950 Leute folgen ihr dabei. „Ich liebe Twitter”, sagt sie. Es sei großartig, um weltweit neue Kontakte zu Wissenschaftlern zu knüpfen. Ebenso wichtig ist für sie jedoch „Outreach“. Wenn sie ihrer Oma nicht ihre Wissenschaft erklären könne, liefe etwas falsch, so ihr Credo.
Bei aller Schlagzahl und Schnelllebigkeit: Die Aussicht, am GFZ in langfristigen Projekten denken und forschen zu können, brachte sie nach fast 30 Jahren wieder nach Deutschland. Womöglich, weil es bereits das siebte Land ist, in dem Benning lebt, findet sie kulturelle Unterschiede für ihre Arbeit „positiv herausfordernd“, nicht mehr und nicht weniger. Sie setzt dabei auf Vertrauen in ihr eigenes Netzwerk, ihre „wissenschaftliche Zweitfamilie“, und vor allem auf ein Arbeitsumfeld, in dem jede Überlegung gleich viel gilt: „Ich will Input und Output maximieren – und dafür ist jeder Gedanke wichtig. Mein Team, das sind nicht meine Studierenden und meine Postdoktoranden, sondern wir sind alle Kolleginnen und Kollegen. Das alles ist zum großen Teil nur eine Auffassungsfrage, daher bin ich auch ‚Liane‘.“ Der prägende Moment für diese Herangehensweise war, als ihr Betreuer sie am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn auf einer Konferenz allen anderen als Kollegin vorstellte. „Grün hinter den Ohren wie ich auch war – ich fühlte mich auf der Stelle einen Kopf größer.“
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