Erwin Schrödinger-Preis
Ein molekulares Kraftpaket
Forscher haben eine hormonelle Substanz entwickelt, die den Blutzucker senkt, schlank macht und den Fettstoffwechsel verbessert. Dadurch eröffnen sich neue Behandlungsmöglichkeiten von Typ-2-Diabetes und Adipositas. Nun wurde ihre wissenschaftliche Arbeit mit dem Erwin Schrödinger-Preis ausgezeichnet
Ende letzten Jahres sah sich Peña Nieto gezwungen zu handeln: »Angesichts einer wahren Epidemie von Übergewicht und Fettsucht können wir nicht einfach die Arme verschränken«, sagte der mexikanische Präsident und verordnete seinen Bürgern eine staatliche Diät: Seit Anfang diesen Jahres werden süße, kalorienreiche Lebensmittel in Mexiko mit zusätzlich acht Prozent besteuert. Ein notwendiger Schritt, denn ein Drittel der Mexikaner ist fettleibig, fast jeder zehnte Erwachsene leidet an Diabetes.
Was in Mexiko drastische Ausmaße angenommen hat, ist ein weltweites Problem. Übergewicht und Bewegungsmangel lassen die Diabetes-Erkrankungen beängstigend in die Höhe schnellen: Weltweit leiden heute 347 Millionen Menschen an der Zuckerkrankheit; die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass sich die Todesfälle durch Diabetes zwischen 2005 und 2030 nahezu verdoppeln werden.
Eine gesündere Lebensweise und bessere Ernährung könnten zwar helfen. Doch zum einen stoßen die Aufklärungsmaßnahmen oft nicht auf Anklang. Zum anderen wird zunehmend klar, dass auch genetische Veranlagung eine große Rolle spielt. Forscher arbeiten deshalb intensiv daran, Wege zur Diabetesbekämpfung und Gewichtsreduktion zu finden. Ein großer Schritt ist nun einem Team aus Chemikern, Pharmazeuten, Hormon- und Krebsforschern um Matthias Tschöp vom Helmholtz Zentrum Mün¬und der TU München gelungen. Die Wissenschaftler haben ein bisher einzigartiges Hybrid-Molekül entwickelt, das sich im Experiment in vielerlei Hinsicht als effektiv gegen Diabetes erwies: Die Substanz senkte den Blutzuckerspiegel von Versuchstieren, führte bei ihnen durch eine Verringerung des Hungergefühls zu einer Gewichtsabnahme und verbesserte zugleich ihren Fettstoffwechsel. Erste Versuche am Menschen zeigen zudem: Die Substanz ist außergewöhnlich verträglich. Für Ihre Arbeit wurden die Wissenschaftler nun mit dem Erwin-Schrödinger-Preis geehrt.
In ihren Experimenten griffen die Forscher auf zwei schon lange bekannte Hormone zurück: Seit den 1970er Jahren weiß man, dass die von der Darmschleimhaut produzierten Hormone GIP und GLP-1 als Signalstoffe regulierend auf den Blutzuckerspiegel wirken; seit einigen Jahren finden Medikamente auf GLP-1-Basis in der Therapie bereits Verwendung. »Frühere Studien haben sich jedoch meistens darauf beschränkt, die Wirkdauer dieser Medikamenten zu verlängern«, berichtet Preisträger Brian Finan vom Helmholtz Zentrum München. »Wir sind aber einen anderen Weg gegangen und haben zusätzlich in unser Hybrid-Molekül eine Komponente eingebaut, die die Aktivität unter anderem am GIP-Rezeptor steigert. Zu unserer großen Überraschung hatte dies nicht nur einen großen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel, sondern senkte auch deutlich das Körpergewicht.« Ein entscheidender Schritt, denn Übergewicht gilt als ein wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung von Typ-2-Diabtes.
Ein biochemischer Baukasten
Dafür war allerdings einige »Konstruktionsarbeit« nötig: In mehrjähriger Arbeit bauten die Forscher geschickt Peptid-Sequenzen so in das Grundgerüst des Hormons Glukagon ein, dass im Experiment an Zellkulturen äußerst präzise die Rezeptoren für GLP-1 und GIP angeregt wurden. Gleichzeitig galt es, die Wirkung des Glukagons auszuschalten, denn dieses bewirkt genau das Gegenteil des gewünschten Effekts: es erhöht den Blutzuckerspiegel. »Die reine Herstellung solch eines Moleküls ist heutzutage recht einfach«, erzählt der Pharmakologe Finan. »Die Kunst liegt darin, genau jenes Design zu treffen, das die gewünschte Wirkung erzielt«. Dass ihnen dies hervorragend gelungen ist, konnten die Forscher in mehreren Experimenten demonstrieren.
Den Zuckerspiegel im Griff und gleichzeitig effektiv abnehmen
Nachdem das Forscherteam belegt hatte, dass das Hybrid-Molekül an die GLP-1 und GIP-Rezeptoren hervorragend andockt, galt es die Probe auf Exempel zu machen. Wie würde sich die Substanz im lebenden Organismus auswirken? Zunächst testeten die Forscher die Hormonkombination an stark übergewichtigen Mäusen – die Tiere hatten sich zuvor vier Monate mit einer energiereichen Nahrung voll fressen dürfen. Nach einer Zuckerspritze waren sie nun kaum dazu in der Lage, die süße Infusion zu verarbeiten: Ihre Blutzuckerkonzentration stieg innerhalb von 15 Minuten steil an. Jedoch nicht bei den Tieren, die vorab das Hybridmolekül erhalten hatten; der Blutzuckerspiegel der Tiere blieb konstant! Und mehr noch: die Substanz wirkte wie ein Diätmittel auf die Tiere. Die Nager zeigten weniger Appetit und hatten innerhalb von einer Woche 14 Prozent ihres Körpergewichts verloren. Weit mehr, als bei den derzeit verwendeten Diabetes-Mitteln, die die Forscher anderen Nagern probehalber verabreicht hatten.
Von der Maus zum Menschen
Die Münchener Wissenschaftler haben die Tests bereits außergewöhnlich weit vorangetrieben. Während viele biologische Studien oft zunächst im »Mäusestadium« halt machen, haben die Forscher bereits den Weg zur Anwendung beim Menschen beschritten. »Das liegt an der großartigen Situation, dass unser Team aus Chemikern, Biologen, universitären Forschern und Kollegen aus der Industrie besteht“, so Finan. Auch in ersten Tests am Menschen zeigte sich das gleiche Bild: Mit dem Wirkstoff war der Organismus der Probanden deutlich besser dazu in der Lage, eine akute Zuckerinfusion abzupuffern. Und auch die bei Diabetikern insgesamt höhere Blutzuckerkonzentration wird innerhalb von sechs Wochen deutlich gesenkt – während es zugleich kaum Klagen über Übelkeit, Erbrechen oder Schwindel gab.
»Beide Hormone zu kombinieren ist eine sehr elegante Methode«, hebt Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin hervor. »Gerade bezüglich der Fettleibigkeit arbeiten wir seit 50 Jahren daran, den Lebensstil der Menschen zu ändern. Weil das aber nur schwer zu erreichen ist, wünschen wir uns Medikamente, die dies unterstützen.« Gerade weil die genetischen Einflüsse so stark sind, sei es zu bequem zu sagen, die alleinige Verantwortung liege bei den Menschen, die sich schlecht ernährten. »Wir brauchen vielmehr einen Mix: von der Biomedizin, bis hin zu Gesetzen, die es leichter machen, sich vernünftig zu ernähren.« Noch sei es allerdings zu früh zu sagen, ob sich die neuen Ergebnisse auch in klinischen Studien bestätigen würden, wie auch Finan zu bedenken gibt: »Klinische Studien können oft viele Jahre dauern. Aber die ersten Daten sind bereits sehr vielversprechend.«
Die Preisträger
Entscheiden für den Erfolg der Forschergruppe war die interdisziplinäre Zusammensetzung der Forschergruppe: „Kerstin Stemmer weiß als Toxikologin, wie die Sicherheit eines Medikaments zu prüfen ist, Richard DiMarchi kennt sich mit dem Medikamentendesign aus und Matthias Tschöp damit wie man eine Wirksubstanz bis zu klinischen Tests begleitet«, so der Pharmakologe Brian Finan., der gemeinsam mit den drei genannten Wissenschaftlern ausgezeichnet wurde.
Dr. Kerstin Stemmer, Division of Metabolism and Cancer, Institut für Diabetes und Adipositas, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
Prof. Dr. Richard DiMarchi, Standiford H. Cox Distinguished Professor of Chemistry, Linda & Jack Gill Chair in Biomolecular Sciences, Department of Chemistry, Indiana University
Prof. Dr. Matthias Tschöp, Institut für Diabetes und Adipositas, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt und Technische Universität München
Dr. Brian Finan, Division of Molecular Pharmacology, Institut für Diabetes und Adipositas, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
Presseinformation vom 29. Juli 2014 Allein gegen das Fett
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