Open Access
Ein Gespräch über Transparenz
Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und wissenschaftlichen Daten ist noch immer die Ausnahme. Das Bundesforschungsministerium will das ändern und hat eine Open Access-Strategie gestartet. Ein Gespräch mit dem Aktivisten Christian Heise über Nutzen und Risiken von frei zugänglichen Forschungsdaten.
Warum sollten sich Wissenschaftler, die ohnehin schon viel zu tun haben, auch noch mit dem Thema „Open Access“ beschäftigen?
Ich bin der festen Überzeugung, dass alle davon profitieren, wenn sie auf überprüfbares und überprüftes Wissen zugreifen können. So ein offener Zugang zum wissenschaftlichen Erkenntnisprozess kann die Möglichkeiten der Validierung erhöhen. Und er kann den privaten und staatlichen Forschungs-bereich effizienter machen und damit den gesamtgesellschaftlichen Fortschritt in bisher unbekannter Weise beschleunigen.
Trotz aller Bemühungen ist Open Access im Wissenschaftsbereich immer noch keine Selbstverständlichkeit. Woran liegt das?
Es gibt eine ganze Reihe an Hindernissen. Zum einen natürlich rechtliche: In vielerlei Hinsicht sind die Rahmenbedingungen veraltet. Um dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit einen Schritt näher zu kommen, aber auch um den Herausforderungen der Digitalisierung zu begegnen, sind gesetzliche Modifikationen nötig. Ein anderer Aspekt ist der Schutz von privaten und persönlichen Daten. Den Schutz der Privatsphäre gegen den immensen Wert einer Open Access-Nutzung auszuhandeln – das stellt eine wichtige Herausforderung dar. Und drittens ist da die technische Komponente: Es geht hier um große Datenmengen, die erst einmal irgendwo gespeichert werden müssen. Obwohl sich in diesem Bereich viel getan hat, muss man noch einfachere Wege finden, um riesige Datenmengen strukturiert zur Verfügung zu stellen.
Das hört sich nach lösbaren Problemen an.
Das Grundproblem ist aber auch noch ein anderes: Es fehlt an einer grundlegenden Auseinandersetzung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft, denn natürlich hat das Thema Auswirkungen auf die wissenschaftliche Kommunikation.
Das ist ja auch das Thema Ihrer Doktor-arbeit. Was haben Sie herausgefunden?
Ich habe sie quasi im Selbstexperiment von Beginn an öffentlich zugänglich gemacht, um zu untersuchen, ob diese Öffnung beim Erstellen wissenschaftlicher Arbeiten überhaupt möglich ist. Eine meiner Annahmen war: Der freie Zugang zu den finalen wissenschaftlichen Ergebnissen (Open Access) markiert eine Übergangsphase, die dazu führen kann, dass sich der gesamte wissenschaftliche Erkenntnisprozess (Open Science) öffnet. Dazu habe ich mich mit der historischen Entwicklung der wissenschaftlichen Kommunikation und ihrer Digitalisierung beschäftigt und habe dann untersucht, welches Interesse die Wissenschaftler selbst an dieser Entwicklung haben und wie das gelebte Verhalten ist. Außerdem habe ich mir dann noch angesehen, was die Treiber und Bremser in diesem Veränderungsprozess sind.
Was ist ihr Ergebnis?
Die meisten Wissenschaftler haben zwar ein Interesse an zugänglichen Daten, sind aber selbst weit davon entfernt, offen und frei zugänglich wissenschaftlich zu kommunizieren. Dahinter stehen ganz unterschiedliche Gründe, die vom Datenschutz über die Angst vor dem Verlust von Patent- und Publikationsrechten bis hin zur Furcht vor Mehraufwand reichen.
Sind Sie sicher, dass sich diese Skepsis besiegen lässt?
Es braucht vor allem Anreize, sich mit Open Access und Open Science auseinanderzusetzen. Nicht jeder hat ein Interesse an der Offenheit, schließlich bedeutet die Verschlossenheit auch einen Machtvorteil, und den wollen viele Akteure nicht aufgeben. Das ist nicht immer im Sinne der Gesamtgesellschaft, ich finde es aber solange in Ordnung, wie eine aktiv getroffene Entscheidung dahinter steht. Oft aber beschäftigen sich die Wissenschaftler gar nicht mit dem Thema, und das halte ich für eine vertane Chance. Deshalb sind neben dem individuellen Ansporn dringend auch systemische Anreize wichtig. Initiativen wie „Open Access 2020“, an der viele führende Wissenschaftsorganisa-tionen aus der ganzen Welt beteiligt sind, spielen dabei eine wichtige Rolle. Ich würde mir aber viel mehr Experimentier-freudigkeit innerhalb der Community wünschen, um auszuprobieren, inwiefern Open Science möglich und erstrebenswert ist. Schließlich geht es darum, die Zukunft der wissenschaftlichen Kommunikation zu gestalten! Auch der Dialog zur Gestaltung dieser Zukunft muss aus meiner Sicht anders geführt werden.
Moment: Anders geführt bedeutet aber nicht nur, dass er intensiviert werden muss, oder?
Entscheidend ist, dass das Thema innerhalb des Wissenschaftssystems vorangetrieben wird. Die Wissenschaftler müssen endlich aktiv in den Dialog eingebunden werden. Alles andere halte ich für gefährlich, weil wirtschaftliche oder politische Interessen den Prozess womöglich in eine Richtung bewegen würden, die nicht unbedingt gut für die Wissenschaftsfreiheit wäre. An der Aushandlung müssen deshalb alle wissenschaftlichen Akteure teilnehmen – egal, ob sie für die Öffnung sind oder dagegen. Es braucht eine ausgewogene Debatte von Befürwortern und Gegnern. Nur dann kann man etwas erreichen.
OPEN ACCESS ist ein Teilaspekt dieser Bewegung. Hier geht es um den freien Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und anderen Materialien im Internet.
Ich hatte den Anspruch, dass die Arbeit jederzeit auf der Webseite www.offene-doktorarbeit.de einsehbar war. Das war technisch gar nicht so trivial. Ohne ein paar Programmierfähigkeiten hätte ich das gar nicht geschafft, weil es noch kaum technische Tools für so ein Vorhaben gab. Außerdem musste ich erstmal klären, ob das rechtlich überhaupt möglich ist. Eine Doktorarbeit darf ja beispielsweise noch nicht veröffentlicht sein, wenn man sie einreicht, und sie muss nachweislich eigenständig erstellt werden, weshalb etwa Kommentare nicht einfach so einfließen dürfen. Das sind Voraussetzungen, die das Internet eher nicht bietet. Es war also schon rein formell nicht ganz so einfach.
Das klingt vor allem nach Nachteilen. Gab es auch positive Aspekte?
Was ist denn Ihre Vermutung: Welche Chancen bietet die Digitalisierung für die Wissenschaft?
Ich sehe große Chancen, das Vertrauen in die Wissenschaft zu fördern, indem man zum Beispiel auch negative Ergebnisse veröffentlicht und die Daten zur Verfügung stellt. Damit lässt sich einfacher sicherstellen, dass es sich um wirklich belegtes Wissen handelt und nicht einfach nur um eine Theorie. Das passiert zwar auch im bestehenden Kommunikationssystem durch peer review, aber Open Access und Open Science würden diese Prozesse nochmal transparenter machen. Das verhindert Missbrauch und anderes wissenschaftliches Fehlverhalten, denn wenn jeder die Daten und Experimente einsehen kann, lässt sich der Prozess des Erkenntnisgewinns nachvollziehen. Davon profitieren alle.
Glauben Sie, dass die offenen Standards zur gängigen Praxis werden?
Ich sage mittlerweile nicht mehr, dass sich alles in fünf bis zehn Jahren verändert haben wird. Allerdings muss man sich nicht mehr die Frage stellen, ob wissenschaftliche Kommunikation offener und digitaler werden wird, sondern eher wann und wie. Wenn die Debatten über die Veränderungen in der wissenschaftlichen Kommunikation noch offener, konsequenter und konstruktiver geführt werden, können wir viel erreichen. Ich denke aber, dass diese Entwicklung letztendlich eher 20 als fünf Jahre dauern wird.
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