Portrait
Die Strippenzieherin
Gesche Krause bringt Wissenschaftler in Kontakt – untereinander, aber auch mit Experten außerhalb der Forschungseinrichtungen. Was sie dabei antreibt? Vor allem ihre Leidenschaft für den Schutz der Meere.
Die Veranstaltung ist typisch für ihre Arbeit: Sie bringt Menschen zusammen, die üblicherweise nicht miteinander im Kontakt sind – und dann feststellen, dass sie sich viel zu sagen haben. Sie ist die einzige Sozialwissenschaftlerin am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Dort, mit Blick auf die Weser und weiter auf die Nordsee, soll sie den Wissenstransfer anschieben – also das Wissen der Forscher so aufbereiten, dass beispielsweise Politiker damit bessere Entscheidungen fällen können.
Für die Wissenschaftler bietet Gesche Krause immer wieder Workshops an, für Doktoranden ebenso wie Verwaltungsmitarbeiter und Vorstände. Dabei eröffnet sich den Teilnehmern eine andere Perspektive auf ihre Wissenschaft, hofft sie: „Es wird immer wichtiger, dass Wissenschaftler mit anderen Gesellschaftsgruppen und Wissenssystemen zusammenarbeiten können.“ Besonders stolz ist sie auf den Wettbewerb, den sie am AWI gestartet hat: Dabei können sich Wissenschaftler mit einem Projekt bewerben, das Querverbindungen schafft – der Workshop mit den Fischern war der Auftakt zu einem dieser Projekte.
So rund lief es 2013 noch nicht, als sie am AWI anfing: „Für die Klimamodellierer, Geologen, Ozeanographen und Biologen kam ich als Soziologin wie aus einer anderen Welt“, erzählt sie. Dabei arbeitete sie viele Jahre am Leibniz-Institut für Marine Tropenökologie (ZMT) in Bremen, untersuchte unter anderem die Auswirkungen von Überfischung auf das Leben der Menschen in Indonesien – und die Folgen der Bombenfischerei, bei der die Fischer Sprengsätze ins Wasser werfen, die die Fische töten oder betäuben und so zu leichter Beute machen. Doch dabei werden auch die Korallenriffe für immer zerstört.
Indirekt hat das AWI schon die Kindheit von Gesche Krause geprägt. Ihr Vater ist Meeresphysiker und zog, bevor die Familie am AWI Bremerhaven „sesshaft“ wurde, als Ozeanograph mit Frau und Kind um die Welt: In Australien lebten sie lange, dort wurde Gesche Krause eingeschult, sie lernten die Fidschis kennen, Neu-Kaledonien, Hawaii und die Philippinen. „Zu mir passte dann ein Geografiestudium, doch mit der Zeit habe ich erkannt: Das ist mir zu weit weg von den Menschen.“ Daher wählte sie Soziologie dazu und wurde in Stockholm promoviert.
In den Berichten von Gesche Krause wird jedes Erlebnis zu einer Erfahrung, und jede Erfahrung steht „auf der Haben-Seite“, wie sie es nennt. Vielleicht liegt das an ihrer Behinderung. Gesche Krause ist auf einem Ohr taub und auf dem anderen stark schwerhörig. Ihre Eltern hatten immer die Hoffnung, dass es nur eine vorübergehende Taubheit sei und behandelten sie so, wie sie wohl auch ein nicht eingeschränktes Kind behandelt hätten. „Glück im Unglück“, so blickt Gesche Krause heute zurück: „Sonst wäre meine Mutter mit mir in Deutschland geblieben und ich wäre auf einer Spezialschule gelandet. Vielleicht hätte ich dann gar nicht studiert.“
Auf der Haben-Seite steht für Krause auch ihre Aufgabe am AWI. Bis der Wissenstransfer von allen Wissenschaftlern als selbstverständliche Leistung verstanden wird, sei es noch ein weiter Weg. „Ich stelle mir vor, dass wir auf einer Odyssee sind, eine räumliche und zeitliche Reise mit vielen Abenteuern und ab und zu mal einem Kampf.“ Die Voraussetzungen aber stünden gut: „Es gibt in Deutschland eine breite und gut verankerte gesellschaftliche Unterstützung für die Forschung. Das ist nicht in allen Ländern der Fall. Das gilt es gut zu nutzen!“
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