Interview
Die Zukunftsstadt ist grün und blau
Am 22. Februar fand die erste Helmholtz-Humboldt-Sonntagsvorlesungen zur Frage „Wie leben wir morgen?“ statt. Im Interview spricht Alexandra Quint darüber, wie man heute schon Städte lebenswerter machen kann.
Frau Quint, wie sieht Ihre ganz persönliche Stadt der Zukunft aus?
Meine Stadt der Zukunft wäre definitiv eine grüne und blaue Stadt. In ihr wachsen Nutzpflanzen zur Kühlung und regionalen Weiterverarbeitung an Gebäudefassaden, Obst und Gemüse auf Balkonen, in Innenhöfen, Parks und innerstädtischen Waldgebieten. Städtische Gewässer und ihre Ufer sind frei zugängliche und naturnahe Erholungsräume. In dieser Zukunftsstadt gibt es platzsparende Architektur, um Ressourcen zu schonen und für mehr Menschen Wohn- und Arbeitsraum zu schaffen. Holz wird als Baustoff auch für Hochhäuser eingesetzt. Entwicklungen dazu gibt es ja schon. Ich stelle mir eine Stadt vor, in der Fußgänger und Radfahrer Vorrang haben, in der Lastenräder Waren transportieren und nur wenige Autos unterwegs sind. Diese werden zudem gemeinschaftlich genutzt. Dinge, die ich im täglichen Leben benötige, müssen per Fuß oder mit dem Fahrrad gut erreichbar sein. Kreative Freiräume wären mir auch wichtig. In dieser Stadt lebt eine Gesellschaft, in der gemeinsam entschieden und gestaltet werden kann, die Räume für unterschiedliche Kulturen und Lebensweisen öffnet. Gemeinnützige Arbeit und Nachbarschaft haben einen hohen Stellenwert.
Werden Sie darüber auch am Sonntag an der Humboldt-Uni sprechen?
Mein Vortrag beschäftigt sich vor allem damit, wie in Europa Städte ganzheitlich entwickelt werden können – mit aktivierender Bürgerbeteiligungen und neuen Kooperationen zwischen Wissenschaft und Stadtgesellschaft. Es gibt große Herausforderungen. Denken wir zum Beispiel an zunehmende Flüchtlingsströme, den demografischen Wandel mit seiner bekannten Formel „weniger – älter – bunter“, an knapper werdende Ressourcen, etwa den Boden. Städte verursachen etwa 75 Prozent des Energieverbrauchs und 80 Prozent der Kohlendioxid- Emissionen. Ich bin der Meinung, dass wir nur vorankommen, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte zusammenwirken. Dabei geht es nicht nur um einen Umbau von Infrastrukturen, sondern auch um neue Denkmuster und Handlungsweisen.
„Die Stadt von morgen gilt als heute schon gebaut!“, heißt es in einem Papier Ihres Instituts. Geht es aber nicht gerade darum, ganz neue Stadtviertel zu schaffen, die grün, verkehrsberuhigt, sozial orientiert und ökologisch sind?
Nein, der Meinung bin ich nicht. In Asien und Afrika, in den arabischen Ländern entstehen heute zum Teil futuristische neue Städte. Als Reaktion auf die rasante Urbanisierung der dortigen Gesellschaften werden großflächig neue Areale erschlossen. In Europa und Nordamerika haben wir eine ganz andere Situation. Diese Gesellschaften sind urbanisiert. Die Städte existieren bereits. Hier geht es darum, die bestehenden Stadtstrukturen individuell fit für die Zukunft zu machen. Sicherlich werden auch in Deutschland noch neue Stadtteile gebaut. Das ist aber eher die Ausnahme.
Ihr Forscherteam am KIT ist dabei, städtische Zukunftsvorstellungen modellhaft umzusetzen. Worum geht es bei dem Karlsruher Projekt „Quartier Zukunft – Labor Stadt“?
Man kann das Quartier Zukunft als eine Art Experimentierraumverstehen. Hierwerden auf dem engen, begrenzten Raum eines bestehenden Stadtquartiers innovative Ideen entwickelt. Dabei arbeiten wir mit der lokalen Bevölkerung, mit Politik, Verwaltung, Kirchen, Schulen und weiteren Akteuren zusammen. Es geht um Ideen für eine lebens-, vielleicht sogar liebenswerte und zukunftsfähige, für eine nachhaltige Stadt. Also um Neuerungen, etwa in der Energie- und Nahrungsmittelversorgung, bei Wohnformen, Bauweisen oder sozialen Praktiken. Ein bekanntes Beispiel für eine solche soziale Praktik ist Urban Gardening. Für diese gibt es auch in Berlin einige Vorzeigeprojekte, etwa die Prinzessinnengärten in Kreuzberg oder das Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld.
Was für ein Stadtquartier haben Sie gewählt – und warum?
Unser Projektgebiet ist die Karlsruher Oststadt, ein innenstadtnahes, durchmischtes Quartier. Wir finden dort Einfamilienhäuser, Gewerbeflächen, Unternehmen, Altbauten, Hochhauskomplexe, große Verkehrsachsen, ein Waldgebiet, den ehemaligen Schlachthof der Stadt, der heute Kultur- und Gründerzentrum ist, die Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Baden- Württemberg und so weiter. Mit 26 Prozent ist der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund einer der höchsten in Karlsruhe. Und es leben viele Studenten hier. Wir haben den Stadtteil gewählt, weil er eine Vielfalt von Strukturen bietet sowie Menschen mit verschiedenen Lebensweisen, Kulturen und spezifischem Wissen. Sie können ganz unterschiedliche Ideen für ein nachhaltiges Leben in der Stadt mitbringen und – wissenschaftlich begleitet – in kleinen Projekten im dichten Stadtraum umsetzen.
Wie gehen Sie vor?
Wir sind im Herbst 2013 ins Quartier Oststadt gegangen, haben Gespräche gesucht, Partnerschaften mit den Menschen vor Ort aufgebaut, Dialoge angestoßen, lokalspezifische Themen identifiziert. Es braucht Zeit bis tatsächlich Projekte entstehen. Aber Einiges wird bereits sichtbar. So thematisiert eine Projektgruppe die alternde Gesellschaft und fördert ein aktives Nachbarschaftsleben im Quartier. Die Menschen lernen sich kennen, und zwar mit dem Ziel, sich zu vernetzen und gegenseitig zu helfen. Eine andere Initiative repariert zusammen mit Flüchtlingen und Quartiersbewohnern Fahrräder. Ein Zweck ist, die Flüchtlinge mobil und mit dem Leben und den Menschen in der Oststadt vertraut zu machen. Auch ein Gesamtenergiekonzept für das Quartier wird erarbeitet. Wir haben ein„ReparaturCafé“ etablieren können, das von einer ganzen Reihe Engagierter getragen wird. Hier wird Nachhaltigkeit praktisch erlebbar. Denn das Reparieren schont Ressourcen, weil dadurch weiterverwendet und nicht weggeworfen wird. Es dient dem Transfer von Wissen, bringt Menschen in der sonst oft anonymen Stadt zusammen, schafft Bewusstsein für Langlebigkeit und Erhaltenswerts und fördert damit das lokale Handwerk.
Wirkt sich Ihre Arbeit auch auf die Politik und Verwaltung der Stadt aus?
Uns war es wichtig, von Anfang an die Stadt Karlsruhe für unsere Arbeit zu gewinnen. Sie ist inzwischen unsere Kooperationspartnerin. Seit 2013 arbeiten wir mit verschiedenen Ressorts der Stadt zusammen. Es gibt eine gemeinsame Arbeitsgruppe. Seit einigen Monaten beraten wir zudem die Stadt Freiburg, die auf unsere Arbeit aufmerksam geworden ist.
Am Sonntag in die Humboldt-Uni
Alexandra Quint, 1982 in Dortmund geboren, studierte in Dortmund, Bochum und an der University of Sheffield. Die Urbanistin arbeitet seit 2012 am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Sie gehört zum Team des Projekts „Quartier Zukunft – Labor Stadt“.
Die Reihe der Helmholtz- Humboldt-Sonntagsvorlesungen wird von der Helmholtz-Gemeinschaft und der Humboldt-Uni gemeinsam durchgeführt. Sechs Forscher sprechen an drei Sonntagen zum Thema Stadt der Zukunft.
Die Referenten der ersten Vorlesung am 22. Februar sind Alexandra Quint (Karlsruhe) und Prof. Wolfgang Kaschuba (Berlin). Sie sprechen zur Frage: „Wie leben wir morgen – die Stadt der Zukunft liegt in unserer Hand!“
Die Sonntagsvorlesung beginnt um 11 Uhr im Senatssaal des HU-Hauptgebäudes, Unter den Linden 6, 10099 Berlin. Der Eintritt ist frei.
Das Wissenschaftsjahr 2015 bildet den Rahmen für eine große Reihe von Veranstaltungen zum Thema Zukunftsstadt. Es ist eine Initiative des Ministeriums für Bildung und Forschung mit Wissenschaft im Dialog (WiD) und soll die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Politikern, Unternehmern und Bürgern fördern.
Mehr Informationen zu den anderen Veranstaltungen der Sonntagsvorlesung.
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