Verkehrsforschung
Die Zukunft hat zwei Räder
Autos kommen in der Stadt immer langsamer voran. Verkehrsforscher prophezeien dem 200 Jahre alten Fahrrad daher eine wichtige Rolle in der Stadt der Zukunft. Und sie rechnen vor, dass sich jeder mit dem Fahrrad zurückgelegte Kilometer volkswirtschaftlich rentiert.
Eine Fahrradfahrt markierte vor 200 Jahren den Beginn des individuellen Straßenverkehrs. Seither hat das Rad einige Höhen und Tiefen durchfahren. Lange Zeit schien es im Rennen gegen das Auto ins Hintertreffen zu geraten, doch seit etwas mehr als zehn Jahren nimmt der Anteil der Fahrräder wieder stetig zu. 70 Millionen Drahtesel gibt es in Deutschland, im Jahr werden vier Millionen neue verkauft. „Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung so weitergeht und das Rad sich weiter als Verkehrsmittel etablieren wird“, sagt Michael Hardinghaus, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Das Fahrrad ist heute nicht nur Fortbewegungsmittel, sondern auch Sportgerät und Lifestyle-Objekt. Für viele Radler hat ihr Gefährt jene emotionale Bedeutung angenommen, die man einst dem Auto entgegenbrachte. Das Rad ist zum Statussymbol geworden – es wird zunehmend wichtig, welches Rad man fährt. „Man sieht es daran, dass sich das Angebot sehr stark ausdifferenziert hat“, sagt Hardinghaus. Es gibt Fahrräder für alle Gelegenheiten und Einsatzzwecke: City-Bikes, Trekkingräder, Single-Speed Bikes, Hollandräder, Rennmaschinen und verschiedene Lastenräder zum Transport von Kindern oder für Messenger. „Ganz wichtig ist das Pedelec“, sagt der Verkehrsforscher. Hier gibt es zwei Varianten: das auf 25 Stundenkilometer begrenzte Elektrorad und das schnelle, sportliche S-Pedelec, für das Versicherungs- und Helmpflicht besteht und das vom Verkehrsverhalten eher mit dem Moped oder Roller zu vergleichen ist. „Durch die elektrische Unterstützung kann man mit dem Rad an Orten oder in Zusammenhängen fahren, die bislang so nicht möglich waren“, so Hardinghaus.
„Gleichzeitig werden die Autos in der Stadt immer langsamer und der Raum auf den Straßen immer enger“, sagt Hardinghaus. Das lässt viele Stadtbewohner dauerhaft auf das Fahrrad umsteigen. Die Städte müssen deshalb ihre Verkehrskonzepte überdenken und sie an die neue Rolle des Fahrrades anpassen. Viel Arbeit muss in die Verkehrsinfrastruktur gesteckt werden, um die Straßen sicherer und fahrradfreundlicher zu machen. Noch scheut man die Kosten und den Aufwand, doch ein Blick in eine Studie aus der Fahrradstadt Kopenhagen könnte das schnell ändern: zwei dänische Wissenschaftler haben die Kosten für Fahrrad und Auto pro Kilometer errechnet. Während das Fahrrad seinen Besitzer pro Kilometer 24 Cent kostet, schlägt das Auto mit 51 Cent zu Buche. Noch interessanter sind aber die Kosten, die für die Gesellschaft anfallen. Dazu gehören Posten wie Unfälle, Klimaveränderung, Infrastruktur, Gesundheit und Reisezeit. Das Ergebnis ist verblüffend: denn hier bringt das Rad der Gesellschaft pro Kilometer einen Gewinn von 16 Cent, während das Auto 15 Cent kostet. In Kopenhagen dienen diese Zahlen als Argument zum weiteren Ausbau der Fahrradstraßen, denn jeder auf dem Fahrrad zurückgelegte Kilometer spart der Stadt Geld. „Sobald sich diese Erkenntnis bei den Kommunen durchsetzt, werden sie sehr viel tun, um den Fahrradverkehr zu fördern“, meint Hardinghaus.
Hierzulande lässt die Zufriedenheit der Radfahrer mit der Infrastruktur in ihrer Stadt zu wünschen übrig: Bei der Fahrradklima-Umfrage des ADFC 2016 schnitten nur drei größere Städte mit befriedigend ab: Karlsruhe, Münster und Freiburg. Nur kleinere Städte erreichten ein gut, alle größeren Städte wurden maximal mit ausreichend bewertet. „Eine große Rolle für die Fahrradfahrer spielt das Gefühl der Sicherheit auf der Straße“, sagt Hardinghaus. Radwege, die vom Autoverkehr getrennt sind, erhöhen für die meisten Radler das Sicherheitsgefühl beträchtlich. Zwar spiegelt sich das in den Unfallzahlen kaum wieder, dieser Fakt könnte aber die Bereitschaft zum Umstieg auf das Rad erleichtern. „Allerdings müssen noch gute Lösungen für Kreuzungen und das Abbiegen gefunden werden. Denn bei einer Abtrennung der Radwege vom Autoverkehr leidet die Sichtbarkeit der Radfahrer“, so der Verkehrsforscher. Was es noch als Hinderungsgrund fürs Fahrradfahren gibt, ist das Wetter. Aber hier kann man auf den alten Wahlspruch der Wanderer zurückgreifen: schlechtes Wetter gibt es nicht, nur schlechte Kleidung.
Räder nach Maß
Damit Radrennfahrer Höchstleistungen auf ihrem Fahrrad erbringen können, müssen sie für sich die richtige Sitzposition gefunden haben. Sonst kommt es zu Fehlbelastungen und mangelhafter Kraftübertragung. Wissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft, haben nun ein Messsystem entwickelt, mit dem Radrennfahrer sich ihr Rad exakt auf ihre körperlichen Voraussetzungen „maßschneidern“ lassen können. „Unser Bikescanner ermöglicht die Vermessung von Sportler und Rennrad mittels Laser. Eine selbst entwickelte Software errechnet dann die optimale Sitzposition“, sagt Marian Hoffmann vom BioMotion Center des Instituts für Sport und Sportwissenschaft (IfSS) am KIT. „So können Fehlbelastungen und Überlastungen, insbesondere im Bereich von Knie und unterem Rücken vermieden und der Energieverbrauch optimiert werden“, erklärt der Sportwissenschaftler. Nützlich ist der Bikescanner aber nicht nur für Leistungssportler. Die Forscher des KIT planen, das Gerät für weitere Fahrradtypen wie Mountain- oder Citybike zu erweitern.
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