Interview
„Die Wissenschaft lebt vom Wettbewerb“
Horst Hippler hat Anfang September seine zweite Amtszeit als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) angetreten. In den kommenden drei Jahren wird er zu vielen grundlegenden Fragen der Hochschulpolitik Stellung beziehen müssen – die Fortführung der Exzellenzinitiative, die hohen Studentenzahlen oder die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Herr Hippler, seit September läuft Ihre zweite Amtszeit als HRK-Präsident. Wo sehen Sie die dringendsten Baustellen?
Das ist eindeutig die Grundfinanzierung der Hochschulen. Politisch haben zumindest der Bund und auch einige Länder akzeptiert, dass Ausgaben für Forschung und Lehre keine Kosten, sondern echte Investitionen in die Zukunft sind. Wir müssen Bund und Länder dazu bringen, mehr Geld in die Grundausstattung der Hochschulen zu stecken. Das, was im Pakt für Forschung und Innovation an jährlichen Steigerungen für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) vorgesehen ist, sollte auch den Hochschulen zugutekommen.
Woran fehlt es denn konkret?
Wir haben bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen de facto eine Vollkostenfinanzierung ihrer Forschungstätigkeit. Bei den Universitäten belasten Forschungsprojekte, die etwa von der DFG oder dem Bundesforschungsministerium (BMBF) gefördert werden, die Grundhaushalte, weil der Overhead nie ausreicht: Laut einem BMBF-Gutachten bräuchten die Hochschulen rund 42 Prozent Overhead- Mittel, um die Ausgaben für Räume, Infrastruktur oder Heizung zu decken; derzeit sind es 22 Prozent. Wir müssen das ändern, auch im Sinne einer Partnerschaft auf Augenhöhe mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die Klage der ungenügenden Grundfinanzierung ist nicht neu, getan hat sich wenig.
Wie könnte sich das ändern?
Nachdem das Kooperationsverbot im Artikel 91b des Grundgesetzes gelockert wurde, wäre es dem Bund möglich, Mittel dauerhaft bereitzustellen. Das Gesetz wurde bereits voriges Jahr geändert, passiert ist nichts.
Warum?
Der Bund hat den Ländern unter die Arme gegriffen. Er wird das BAföG künftig alleine finanzieren und entlastet die Länder damit um 1,2 Milliarden Euro jährlich. Es wäre ein guter erster Schritt gewesen, wenn alle Länder das gesparte Geld zur Verbesserung der Grundfinanzierung eingesetzt hätten. Einige tun das auch, aber bei Weitem nicht alle. In der Mehrzahl der Länder werden die Mittel zum Beispiel für die Gegenfinanzierung des Hochschulpaktes eingesetzt. Nun kommt es darauf an, wie sich der BMBF-Etat entwickelt und welche Strategie man dort fährt. Aber nächstes Jahr sind wichtige Wahlen, und es beginnt bereits der Wahlkampf auf Bundesebene. Das macht die Situation nicht einfacher. Wichtig wird sein, dass alle Beteiligten auch politisch von einer Einigung profitieren, in Bund und Ländern. Forschungsministerin Johanna Wanka sagt, der Bund habe seine Ausgaben für die Hochschulen seit 2005 um 118 Prozent, die Länder nur um 26 Prozent gesteigert. Der Eindruck ist, jeder schaut auf den anderen. Dass jeder dem anderen die Schuld zuweisen möchte, ist klar, aber es gibt einen Fakt: Die Hochschulen bilden immer mehr junge Leute aus. Die Studienanfängerzahl hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt, jährlich kommen rund eine halbe Million junger Menschen neu an die Hochschulen. Dafür müssen Bund und Länder eine gemeinsame Verantwortung übernehmen. Die Länder alleine schaffen das nicht. Auch in diesem Wintersemester haben sich wieder sehr viele Studierende eingeschrieben.
Wie lange verkraften die Hochschulen noch den Ansturm?
Eigentlich deuten die Hochrechnungen darauf hin, dass es mit den geburtenschwächeren Jahrgängen einen Rückgang geben wird. Ich glaube aber nicht daran. Erstens ist die Studienneigung konstant angestiegen, mehr als fünfzig Prozent eines Altersjahrgangs nehmen ein Studium auf. Zudem strömen derzeit viele Menschen nach Deutschland. Das Land braucht junge Menschen und die brauchen die Chance auf Bildung. Da zu investieren, wird allen nutzen.
Wo soll das Geld für die Lehre herkommen?
Der Hochschulpakt 2020, mit dem Bund und Länder weitere Studienplätze finanzieren, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, aber auf Dauer helfen uns keine befristeten Programme. Die Finanzierung könnte man zum Beispiel über Artikel 91b nachhaltiger und damit über das Jahr 2023 hinaus regeln.
Die Hochschullandschaft steht vor spannenden Monaten: Im Januar will die Imboden-Kommission ihre Empfehlungen zur Exzellenzinitiative vorlegen. Welches Modell schwebt Ihnen vor?
Für die HRK ist entscheidend, dass die Exzellenz in der Forschung im Mittelpunkt bleibt. Die Förderlinie der Cluster hat sich als erfolgreichster Kern der Exzellenzinitiative herausgestellt. Ich kann mir aber gut vorstellen, den Begriff Exzellenz breiter zu fassen. Wenn also einige Universitäten noch exzellenter werden wollen und dafür strukturelle Veränderungen notwendig sind, sollte man das unterstützen. Beachten sollte man auch, dass die Stärke der Universitäts- und Hochschullandschaft darin liegt, dass exzellente Forschung stark verteilt ist, von der Exzellenzinitiative profitieren derzeit insgesamt über 40 Universitäten. Es wäre deshalb falsch, künftig nur fünf bis zehn Standorte zu fördern. Die Vorstellungen variieren stark: Die DFG will mehr Exzellenzzentren, Unionspolitiker lieber eine unbegrenzte Förderung weniger Exzellenzuniversitäten.
Erwarten Sie eine schnelle Einigung auf ein Konzept?
Das lässt sich schwer sagen, aber die Ideen liegen in der Tat weit auseinander. Es gibt sogar Vorschläge, auf den Wettbewerb zu verzichten. Das wäre aber der größte Fehler, denn Wissenschaft lebt von Wettbewerb. Wer stark ist, weiß sich im Wettbewerb zu behaupten.
Kann man sich eine längere Diskussion leisten?
Die Zeit drängt, 2017 laufen die Gelder aus. Das kann schon sehr knapp werden, aber die Politik hat auch Handlungsoptionen und kann die Verhandlungsuhren anhalten, um formal juristisch im Rahmen zu bleiben. Vorstellbar ist für mich, notfalls den Exzellenz-Status für kurze Zeit zu verlängern und lieber noch mal gründlich nachzudenken und zu diskutieren. Bund und Länder verhandeln derzeit, wie Karriereperspektiven in der Wissenschaft aussehen könnten. Frau Wanka will Entwicklungsmöglichkeiten an Hochschulen planbarer machen.
Was brauchen Nachwuchswissenschaftler aus Ihrer Sicht?
Eine wissenschaftliche Karriere ist nie sicher planbar. Sie ergibt sich aus individueller Leistung, aus strukturellen und finanziellen Entwicklungen und hängt davon ab, wie sich Forschungsfelder verändern. Doktoranden sollten wissen, dass nur maximal zehn Prozent von ihnen auf einen dauerhaften Platz an Hochschule oder außeruniversitären Einrichtungen hoffen können. Man muss jungen Leuten aufzeigen, dass es Alternativen zur Professur gibt. Dazu gehören auch Stellen an den Hochschulen, etwa im Projektmanagement. Wir würden gern mehr verlässliche Perspektiven schaffen, durch mehr Dauerstellen im Mittelbau und durch die dringend nötigen zusätzlichen Professuren. Aber wir müssen auch über Karrierechancen im öffentlichen Dienst und in der freien Wirtschaft informieren und darauf vorbereiten. Unternehmen stemmen zwei Drittel der Forschungsausgaben in Deutschland, entsprechend hoch ist dort der Personalbedarf in Forschung und Entwicklung. Das Bundeskabinett hat einen Entwurf zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz verabschiedet, der die Befristungsdauer für Wissenschaftler der Qualifizierung und der Dauer der Projektförderung anpassen soll.
Nimmt das den Hochschulen Flexibilität im Personalmanagement?
Nein, die neuen Regelungen werden die Universitäten und die außeruniversitären Einrichtungen nicht erschrecken. Fragen muss man sich allerdings, ob das Stipendiensystem noch zukunftsträchtig ist. Die Max-Planck-Gesellschaft hat ihres bereits abgeschafft, die Helmholtz-Gemeinschaft, bei der Stipendien allerdings eine sehr viel kleinere Rolle spielen, noch nicht. Vielleicht sollte man Nachwuchswissenschaftlern generell sozialversicherungspflichtige Arbeitsverträge anbieten oder zumindest die Stipendien mit Beiträgen zur Altersvorsorge anreichern. Die Helmholtz-Gemeinschaft sah sich mit dem Positionspapier „Helmholtz 2020“ Kritik aus den Reihen der Universitäten ausgesetzt, die Rede war von einer Helmholtzifizierung des Wissenschaftssystems.
Wie ist es aktuell um das Verhältnis zwischen Universitäten und Helmholtz bestellt?
Das Papier haben die Universitäten so verstanden, dass die Helmholtz- Gemeinschaft das größte Budget hat und deswegen im Führerhaus sitzen will. Das ist im Sinne des Gesamtsystems nicht zu akzeptieren. Wichtig ist deshalb, dass die Universitäten in die Lage versetzt werden, ihrer zentralen Rolle im Wissenschaftssystem mit Forschung auf allen Ebenen, mit Nachwuchsbildung und Lehre dauerhaft gerecht zu werden. Es kann nicht sein, dass sich die Schere zwischen der Finanzierung der Außeruniversitären und der Universitäten immer weiter öffnet. Da muss etwas passieren, zumal die Außeruniversitären auf die Qualität der Universitäten bei der Heranbildung des Nachwuchses angewiesen sind.
Wo gibt es aus Ihrer Sicht noch Redebedarf?
Zum Beispiel müssen wir bei der Nutzung von Großgeräten stärker kooperieren, das sollte eine gemeinsame Anstrengung werden und nicht nur in den Händen der Helmholtz-Gemeinschaft liegen. Wir sollten in der Allianz der Wissenschaftsorganisationen diskutieren, wie wir da künftig koordiniert vorgehen können. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit in Zukunft? Wir sollten nicht darüber streiten, wer wo sitzt, sondern uns auf unsere Aufgaben konzentrieren. Eine partnerschaftliche Kooperation wird auch funktionieren, wenn sich beide auf Augenhöhe befinden. Wenn einer Dienstleister des anderen wäre, hätten wir ein Problem.
Welche Impulse erhoffen Sie sich vom neuen Helmholtz-Präsidenten Otmar Wiestler?
Herrn Wiestler kenne ich aus der Zeit, als er in Heidelberg am Deutschen Krebsforschungszentrum und ich an der Universität Karlsruhe war. Jetzt wird er nicht nur den Bereich Gesundheit, sondern die gesamte Wissenschaft im Blick haben müssen. Ich hoffe, er wird sich in diesem Sinne mit uns für die Stärkung der Hochschulen einsetzen – weil sie eben auch im Interesse der außeruniversitären Forschung wäre.
Zur Person
Eigentlich könnte sich Horst Hippler ruhige Tage gönnen. Das Pensionsalter hat der 1946 geborene längst erreicht. doch er wollte es anders. Vor einigen Monaten hat er sich in eine zweite Amtszeit als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HrK) wählen lassen. Die HrK ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Unis und Hochschulen in Deutschland und versteht sich als oberste „Stimme der Hochschulen“. Nach dem Physik-Studium in Göttingen hat Hippler in der Schweiz promoviert und unter anderem als Postdoktorand in den USA gearbeitet. 1993 erhielt er einen ruf an die Universität Karlsruhe als Professor für Physikalische Chemie. Von 2002 bis 2009 war er dort Rektor und dann drei Jahre lang Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie, das 2009 als Zusammenschluss der Uni und des dortigen Helmholtz-Zentrums gegründet worden war.
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