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Interview

“Die WHO hat rechtzeitig reagiert“

Prof. Fabian Leendertz ist Direktor des Helmholtz-Institute für One Health in Greifswald. Bild: HIOH/Johanna Eberhard

Der aktuelle Ausbruch des Mpox-Virus hat seinen Ursprung in Zentralafrika. Ein erster Fall ist nun in Europa entdeckt worden. Die WHO hat die höchste Alarmstufe ausgerufen. Fabian Leendertz, Leiter des Helmholtz-Instituts für One Health ordnet die Ereignisse ein.

Wir haben es mit einer neuen Klade zu tun , einem Typ, den wir noch nicht kannten. Generell gibt es bei Mpox zwei große Gruppen: eine westafrikanische (Gruppe 2) und eine zentralafrikanische (Gruppe 1). Die mildere westafrikanische Gruppe 2 zog 2022 um die Welt. Jetzt ist in Afrika die aggressivere Gruppe 1 unterwegs. Davon waren bislang ein paar Stämme bekannt, die immer wieder kleinere Ausbrüche – oder mal einen großen Ausbruch – verursachen. Auch jetzt gerade zirkulieren dort verschiedene Stämme mit kleineren Ausbrüchen, die natürlich allesamt aus dem Tierreich stammen. Aber nun ist ein neuer Typ aufgetaucht, die Klade 1B im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Sie scheint sich leichter von Mensch zu Mensch zu verbreiten. Bestimmte genetische Eigenschaften scheinen ihr zu helfen, sich rasch weiterzuverbreiten. Wobei die Datenlage noch dünn ist, wie immer bei einem relativ neuen Geschehen.

Die zentralafrikanischen Varianten sind generell gefährlicher für den Menschen. Ob auch 1B eine höhere Mortalität hat, weiß man noch nicht. Es sieht im Augenblick nicht danach aus, aber da fehlen einfach noch die Daten. Wenn sich jemand bei uns infiziert oder wie beim bislang einzigen bekannten Fall in Schweden, also in Ländern mit einer sehr guten medizinischen Versorgung, sind die Überlebenschancen weitaus besser als in Ländern, die nicht oder noch nicht in dieser Qualität darüber verfügen.

Ich würde sagen, die WHO hat rechtzeitig die höchste Alarmstufe ausgerufen. Ich halte es nicht für sinnvoll, immer so lange zu warten, bis der Erreger tatsächlich in der gesamten Welt verbreitet ist, und dann erst zu fragen: „Was machen wir jetzt?“ Man sollte ein Feuer löschen, bevor es sich zu weit ausbreitet.

Es bedeutet, dass die Länder besonders aufmerksam sind, dass die Labore sich um ihre diagnostischen Fähigkeiten kümmern. Dass die Ärzte sensibilisiert werden. Dass da ein Bewusstsein geschärft wird. Ein anderer Effekt ist, dass sich die Weltgemeinschaft hoffentlich mobilisiert, um möglichst viel Impfstoff zur Verfügung zu stellen und in die betroffenen Gegenden zu schicken. Ziel ist es, das Geschehen bereits auf regionaler Ebene schneller und besser einzugrenzen, um auch das weltweite Risiko zu reduzieren.

Genau, da ist Mpox ein Paradebeispiel. Denn egal, welche Epidemie oder Pandemie Sie heranziehen: Wir wissen, dass das Virus existiert, wir kennen es schon sehr lange, wir haben uns immer nur für größere Ausbrüche in Afrika interessiert und da aber auch nur die schweren Fälle verfolgt. Wir haben nie geschaut: Wie verbreitet sich das weiter? Kann es auch milde Symptome hervorrufen? Letzteres war der Grund, warum Mpox um die Welt ziehen konnte. Durch die Kombination aus einer teilweise nicht existenten Gesundheitsinfrastruktur mit einer höheren Mobilität der dort lebenden Menschen in die Welt hinein betreffen uns diese Probleme immer schneller und immer mehr. Das zwingt uns dazu, globaler zu denken, was wir schon früher hätten machen sollen. Jetzt wird es so offensichtlich.

Wir haben nur den einen bestätigten Fall in Schweden. Weltweit fallen jetzt aufgrund der erhöhten Aufmerksamkeit auch wieder mehr 2B-Fälle auf, dieser Stamm zirkuliert ja weiterhin weltweit. Bei Mpox-Meldungen muss man also sehr genau hinschauen: Ist es wirklich dieser 1B-Stamm oder reden wir über Mpox insgesamt? Was nicht verkehrt ist, aber es hat dann nicht unbedingt etwas mit dem aktuellen Ausbruch in Afrika zu tun.

Je eindeutiger und drastischer die Symptome sind, die ein Virus verursacht, desto leichter fällt es in Gegenden mit einem guten Gesundheitssystem, die Fälle zu identifizieren, zu isolieren und zu behandeln. Und dann die Kontaktpersonen zu finden und auch bei ihnen ein Monitoring einzuführen. Ein Erreger, der starke Symptome verursacht, wird bei uns im Normalfall nicht weit kommen. Wir reden jetzt nicht von SARS-CoV-2, das auch bei milder Symptomatik durch die Luft übertragen werden kann. Bei Mpox braucht es einen ziemlich engen Hautkontakt. Das Potenzial, dass sich Mpox so weit und schnell verbreitet wie Corona, ist extrem gering.

Meine große Sorge liegt eher im afrikanischen Kontext. Was ist los im Osten der Demokratische Republik Kongo, gerade an den Grenzen zu Uganda, Ruanda, Burundi? Da herrscht Bürgerkrieg, da kann gar kein öffentliches Gesundheitssystem existieren. Wir hatten in der Ecke vor ein paar Jahren auch schon mal einen Ebola-Ausbruch. Die ökonomische, die soziale Situation ist der Knackpunkt. Medizinisch wäre Mpox schon dort gut in den Griff zu bekommen. Aber die Co-Faktoren drumherum sind unglaublich schwierig.

Nach aktuellem Wissensstand zwischen fünf und 21 Tagen. Wobei Sie richtig ansteckend werden, wenn sich Bläschen zeigen. Bei Typ 2 kann das Virus auch mal nur eine kleine Pustel hervorrufen, gern mal am Genital, und dann ist man schon infektiös. Um ansteckend zu sein, muss man längst nicht so aussehen wie auf diesen drastischen Bildern, die Sie im Internet finden. Nach dem, was wir bisher über 1B wissen, sind die Symptome eindeutiger, mit mehr Pusteln. Betroffene sind infektiöser, aber auch einfacher zu identifizieren.

Ja, bei direktem Körperkontakt – und Schleimhäute sind bei Mpox als Eintrittspforten besonders beliebt. So eine kleine Pustel beinhaltet extrem viel infektiöses Virus. Infektiöses Virusmaterial kann aber auch in anderen Bereichen des Körpers sein und durch Schmierinfektion übertragen werden.  

Das ist immer eine gute Sache, aber jetzt ganz besonders. Viele Partnerschaften, enge sexuelle Kontakte sind ein Risikofaktor. Ich würde hoffen und behaupten, dass die Community, die das in unseren Breiten betrifft, aufgrund der Historie von HIV eine gewisse Sensibilisierung besitzt, die nur reaktiviert werden muss. Das hat 2022 sehr gut geklappt.

Durch den Mpox-Ausbruch 2022 ist heute mehr Impfstoff verfügbar, die Länder haben Vorräte angelegt. Dank flächendeckender Pockenimpfungen haben wir es 1980 geschafft, die echten Pocken aus der Welt zu schaffen. Und wer noch eine Pockenimpfung bekommen hat, dem kann ich sagen: Der Impfschutz daraus ist gegen Mpox nicht hundertprozentig, aber er wird einen positiven Effekt haben. Die neuen Impfstoffe, die sehr wahrscheinlich auch gegen die neue Variante funktioniert, sind verfügbar, das ist wichtig für die Risikogruppen und zur Eingrenzung der Ausbreitung. Wir sind somit in einer ganz anderen Situation als bei SARS-CoV-2 damals.

Wir sollten schauen, dass der Impfstoff dort eingesetzt wird, wo er gerade am dringendsten gebraucht wird und ansonsten würde ich da auf die Empfehlungen des RKI und der Stiko verweisen.

Unsere kongolesischen Kollegen haben Affenpockenfälle von 2018 bis jetzt sequenziert. Und permanente kleinere Ausbrüche in diesem Riesenland festgestellt. Die engen Mensch-Tier-Kontakte bringen immer wieder neue Varianten hervor. Das Virus verbreitet sich inzwischen wesentlich besser weiter und erreicht die großen Städte, sodass dort teilweise zwei, drei verschiedene Typen gleichzeitig zirkulieren und im schlimmsten Fall sogar gemeinsam einen Patienten infizieren könnten. Unter diesen ganzen Virustypen, die wir uns aus dem Tierreich holen, ist natürlich irgendwann einer, der genetisch fitter ist und sich besser an Menschen anpassen kann. Wenn wir dem Problem nicht immer hinterherlaufen wollen, dann müssen wir besser verstehen, was passiert und es schaffen, die Übertragungshäufigkeit zu reduzieren. Damit wir die Wahrscheinlichkeit senken, dass die Viren ein pandemisches Potenzial entwickeln.

Helmholtz-Institut für One Health (HIOH)

Das Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) in Greifswald forscht an der Schnittstelle von Mensch, Tier und Umwelt: Immer deutlicher zeigt sich zum Beispiel in Folge der Corona-Pandemie, wie eng die Gesundheit der Menschen, der Tierwelt und des Erdsystems verflochten sind. Am HIOH kooperieren Wissenschaftler:innen aus den Forschungsbereichen Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften. Dieser innovative Forschungsansatz wird in der Fachwelt „One Health“ genannt. Er entwickelt sich in den vergangenen Jahren extrem dynamisch. Initiatoren des HIOH sind das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und die Universität Greifswald. Weitere Forschungspartner sind das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit und die Universitätsmedizin in Greifswald.

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