Portrait
Die Verbindende
Ursula Bassler wuchs in Deutschland auf und stieg in Frankreich zu einer der einflussreichsten Frauen auf dem Gebiet der Teilchenphysik auf. Ihre Wurzeln in beiden Ländern helfen ihr heute bei der Arbeit.
Das riesige Bild, das Ursula Bassler in ihrem Rücken hat, ist leuchtend rot und fast drei Meter lang. Ein Krokodil zeigt es, ein Sparschwein, eine Weinflasche, Auberginen und allerlei andere Objekte, die wild auf der Leinwand verteilt sind. Das Bild gehörte in den 1980er Jahren zu den Anfängen in der Geschichte dieser jungen Deutschen, die es bis hierhin gebracht hat, in dieses Büro auf der Chefetage des Nationalen Instituts für Kernphysik und Teilchenphysik in Paris (IN2P3-CNRS) und auf den Posten der Ratspräsidentin des CERN – sie ist damit so etwas wie die Aufsichtsratsvorsitzende.
„Ich war damals gerade mit dem Abitur fertig und für ein Jahr als Au-Pair in Paris“, sagt Ursula Bassler. Heute ist sie 55 Jahre alt, und sie lacht auf bei der Erinnerung: „Was macht man wohl, wenn man gerade 20 Jahre alt ist und nach Paris kommt? Klar, man verliebt sich!“ Es war der Maler des roten Bildes, den sie damals kennenlernte, und auch wenn die Jugendliebe längst beendet ist, so schaut sie immer noch gern auf dieses Bild. Damals war der Künstler für sie der Grund, in Paris zu bleiben und dort ihr Studium der Physik zu beginnen.
Es ist eine unwahrscheinliche Geschichte, die Ursula Bassler in eines der höchsten Ämter auf dem Feld der Teilchenphysik geführt hat. Reine intellektuelle Neugier war es, die sie dazu gebracht hat, sich schon früh in ihrem Studium auf den Bereich der Teilchenphysik zu konzentrieren – „es war ein fast schon philosophisches Interesse an diesem Bereich“, sagt sie. Fast ein Jahrzehnt lang arbeitete sie nach ihrem Studium von ihrem Pariser Labor an Experimenten am DESY in Hamburg und am Fermilab in den USA mit. Ihre Forschung zielte auf ein besseres Verständnis der Protonenstruktur und des sogenannten Top Quarks ab, des massereichsten aller bekannten Elementarteilchen. Die Arbeit an den riesigen Detektoren, um die Experimente vorzubereiten, gehörten zu den spannendsten ihrer Karriere, sagt sie heute im Rückblick. Anschließend stieg sie zur stellvertretenden Direktorin des Institut National de physique nucléaire et de physique des particules auf. Dieses Institut koordiniert und finanziert die Forschungsarbeit in nahezu 20 Teilchen-, Astroteilchen- und Kernphysiklabors, die gemeinsam vom Centre national de la recherche scientifique (CNRS) und den großen französischen Universitäten betrieben werden.
„Als ich 16 Jahre alt war, wollte ich eigentlich eine Lehre als Laborassistentin in der chemischen Industrie absolvieren“, erzählt sie, aber ihr älterer Bruder habe sie von einem Studium überzeugt. Und so begann die Karriere der Schülerin von damals, die aus einem Arbeiterhaushalt im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Schweiz stammt. Selbst die Begründung, warum sie sich für ein Physikstudium entschieden hatte und nicht doch ihrem Interesse für Musik und Theater gefolgt ist, wird zu einer staunenswerten Anekdote, wenn sie sie erzählt: „Ich wollte nach meiner Au-Pair-Zeit in Paris bleiben, und da erschien es mir einfacher, Physik und Mathematik auf Französisch studieren als irgendetwas Geisteswissenschaftliches, wo die Sprache eine größere Rolle spielt.“
Zur Ratspräsidentin des CERN wurde Ursula Bassler im vergangenen Jahr gewählt, ihre Kandidatur wurde gleichermaßen von Deutschland und Frankreich unterstützt. Dieses Verbindende zwischen beiden Ländern, beiden Wissenschaftssystemen, ist etwas, das ihr während ihrer ganzen Karriere am Herzen lag. „Während in Deutschland die Universitäten unabhängiger sind, wird in Frankreich ein stärkerer Akzent auf die nationale Koordination der Forschung gesetzt“, sagt sie, um die Unterschiede zu umreißen. Dazu gehöre aber auch, dass sich Wissenschaftler in Frankreich oft ohne Lehrverpflichtung nur um ihre Forschung kümmern können – „das gibt natürlich eine große Freiheit, aber es hat auch seine Nachteile, allein schon weil man um die Impulse von Studierenden kommt.“ Sie selbst verfolgt die Debatten darüber inzwischen aus größerer Entfernung: Seit sie vor rund zehn Jahren ins Management gewechselt ist, liest sie zwar immer wieder aktuelle Publikationen, um in der Forschung auf dem Laufenden zu bleiben, aber hat keine eigene Arbeitsgruppe mehr.
Trotz ihrer Aufgabe am CERN hat Ursula Bassler ihr Büro im Pariser Institut behalten. 15 Kilometer sind es von ihrem Haus in Versailles bis hierhin, meistens fährt sie mit dem Elektrorad – „da ist man auch unabhängig von den Streiks“, wie sie schmunzelnd hinzufügt. Einmal pro Woche pendelt sie zum CERN. Und unabhängig davon, wo sie sich gerade aufhält, denkt sie oft an Zuhause. „Manchmal passiert es, dass ich unterwegs bin und zu Hause anrufe, um meinen Mann daran zu erinnern, für den nächsten Tag den Turnbeutel unserer Tochter bereitzulegen“, sagt sie. Ihr Mann, ein Franzose, ist beruflich nicht so oft auf Reisen wie sie und übernimmt deshalb oft zu Hause den Dienst. Sie habe ihre Familie erst spät gegründet, erzählt Ursula Bassler, ihre Tochter geht noch zur Schule, auf eine deutsch-französische Einrichtung.
Und – eifert sie der Mutter nach? Nein, sagt Ursula Bassler, sie schlage eher in Richtung der Familie väterlicherseits aus: Tierärztin und Künstlerin seien derzeit die Traumberufe. Und dann schaut Bassler stolz auf die Skulpturen ihrer Tochter, die jetzt ihr Büro zieren. Am liebsten hat sie die Eule aus Ton. Sie steht ganz am Rand des Schreibtischs neben der Kaffeetasse und nicht weit von dem dominierenden roten Bild, das sie erinnert an ihre Anfänge in Paris.
Strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme
Zwischen September 2019 und Februar 2020 findet die strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme statt. Ursula Bassler gehört zu dem hochkarätig besetzen Gremium aus internationalen, unabhängigen Wissenschaftlern, die die Programme unter die Lupe nehmen. Die Gutachter prüfen, ob die Forschungsprogramme richtig aufgestellt sind, und erarbeiten Empfehlungen für die Neuausrichtung der Helmholtz-Programme in den kommenden Jahren.
Die strategische Bewertung der Helmholtz-Forschungsprogramme
Leser:innenkommentare