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Standpunkt

„Die Ukraine braucht ein Energielagezentrum“

Dr. Frank Meissner leitet den Bereich Daten und Modellierung innerhalb des Projekts Green Deal Ukraina am Helmholtz-Zentrum Berlin. Bild: K-PHOTOGRAPHIE

Der Winter steht vor der Tür und in der Ukraine drohen aufgrund des anhaltenden Krieges Engpässe in der Energieversorgung. Der Wirtschaftswissenschaftler Frank Meißner vom Helmholtz-Zentrum Berlin ist Teil der Initiative Green Deal Ukraina. Er und sein Team haben Maßnahmen analysiert, die geeignet wären, in der Ukraine im Winter die Strom- und Wärmeversorgung sicherzustellen.

Aufgrund der fortgesetzten russischen Aggression gegen das Land und der zunehmenden Konzentration der Angriffe auf zivile Infrastrukturen, wie Strom- und Wärmeversorgung, hat die ukrainische Zivilbevölkerung mit schwerwiegenden Problemen zu kämpfen. So sind seit Beginn der Angriffe auf die Energieinfrastrukturen und verstärkt durch die Attacken im März und April 2024 mehr als zwei Drittel der Strom erzeugenden Anlagen zerstört, beschädigt oder befinden sich in von Russland kontrollierten Gebieten. Unsere Analysen zeigen, dass ohne substanzielle Gegenmaßnahmen eine Unterversorgung von bis zu 18 Terrawattstunden (20 Prozent der bereits reduzierten Nachfrage) sowie temporäre und regionale Stromabschaltungen in bis zu 90 Prozent der Stunden folgen werden. Während die Energieversorgung im Sommer oft als schwierig, aber handhabbar galt, droht der kommende Winter die Situation dramatisch zu verschlimmern.

Ukrainische Haushalte werden zu 70 Prozent durch zentrale Anlagen mit Wärme versorgt, wovon wiederum die Hälfte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind. In den kommenden Wintermonaten ist die Versorgung nicht gesichert. Blockheizkraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind beschädigt und es fehlt an Elektrizität, wodurch Steuerungen und Pumpen zeitweise ausfallen können. Dadurch werden vor allem in städtischen Gebieten die vorwiegend schlecht isolierten Wohnungen weniger beheizt. Dies führt zu unzumutbaren Bedingungen für die Einwohner, insbesondere für Kinder, ältere Menschen und Kranke, und wird weitere Menschen zur Flucht treiben, selbst aus nicht direkt umkämpften Gebieten.

Unsere Analysen zeigen, dass gezielte Maßnahmen helfen können, geplante Stromabschaltungen nahezu vollständig zu vermeiden: Die Energieversorgung muss schnellstens instand gesetzt, dezentrale Strom- und Wärmeerzeugungsanlagen zugebaut sowie Übertragungskapazitäten mit Polen, Rumänien, Ungarn und der Slowakei ausgeweitet werden. Neben Zeit, Fachpersonal, Transportkapazitäten und finanziellen Mitteln braucht es vor allem Koordinations- sowie zuverlässige Markt- und Verwaltungsstrukturen. Um Investitionen aus In- und Ausland für den Wiederaufbau in der Ukraine zu gewinnen, muss die Ukraine Strukturreformen der Energiemärkte vornehmen. Dazu gehört die weitere Liberalisierung, indem das Land Marktmechanismen sichert und Verwaltungskapazitäten aufbaut. Wichtig dabei ist es, auf lokaler Ebene die Kommunen zu befähigen, vor Ort praktikable und benötigte Lösungen umzusetzen.

Eine wichtige Rolle könnte ein noch zu etablierendes „Energielagezentrum“ spielen: Es könnte die Anstrengungen sowohl innerhalb der Ukraine als auch zwischen der Ukraine und ihren Partnern besser koordinieren und den Informationsfluss zwischen den Akteuren erhöhen. Dadurch könnten Entscheidungen schneller gefunden und der Einsatz von Ressourcen besser geplant und überwacht werden. Ein solches Energielagezentrum würde helfen, die Ukraine auf effizientere und effektivere Weise wiederaufzubauen. Nötig dafür wäre eine starke politische Legitimation innerhalb der Ukraine und bei westlichen Partnern, wobei entscheidende Akteure aus dem Energiebereich Europas eingebunden werden müssten.

Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass die Ukraine solche Strukturen in Abstimmung mit ihren westlichen Partnern umgehend auf- und ausbaut. Jetzt kommt es darauf an, dass Deutschland und die EU die Ukraine nicht nur militärisch, sondern auch durch Hilfe bei der Wiederherstellung der Energieinfrastruktur unterstützen. Je schneller das Energieversorgungsnetz stabilisiert wird, desto geringer ist die Gefahr einer humanitären Katastrophe, die nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Europa aufgrund steigender Migration weitreichende Folgen haben könnte.

Über die Initiative:
Green Deal Ukraina (GDU) wird von Deutschland, Polen und der Ukraine getragen. Die Initiative zielt darauf ab, Politik und Gesellschaft in der Ukraine dabei zu unterstützen, ein zukunftsfähiges Energiesystem aufzubauen und die Ukraine für die Aufnahme als Vollmitglied in der EU vorzubereiten. Hierzu wird durch GDU ein Thinktank in Kyjiw aufgebaut werden.

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