Portrait
Die Stoffstromversteherin
Klimakrise, Ressourcenverschwendung, Artensterben – die globalen Herausforderungen sind riesig. Die Umwelttechnikerin Daniela Thrän erforscht, wie wir mit Bioökonomie nachhaltiger wirtschaften können.
„Seit meinem Studium habe ich mich intensiv mit Abfallwirtschaft beschäftigt“, erzählt Daniela Thrän vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). „In einem Projekt während meiner Dissertation wollten wir herausfinden, wie sich ein Altholzrecycling im dünnbesiedelten Norden Brandenburgs auf den Weg bringen lässt. Wir haben also Stoffströme betrachtet; wollten wissen, was man aus dem Holz machen kann; wie viel es gibt; wie man bewerten kann, ob eine Region nachhaltig wirtschaftet und ob man für eine Stadt eigentlich das gleiche annehmen kann wie für ein ländliches Gebiet.“
Das Ergebnis war eher ernüchternd: „Dort gab es in etwa so viel Altholz wie Salz im Essen“, sagt sie schmunzelnd. Doch führte das Projekt zu einem jener Momente, die ein ganzes Forscherleben prägen. „Da schaut man über den Tellerrand der Abfälle hin zu allen regionalen Stoffströmen – und stieß damals auf sehr viel ungenutzte Biomasse von Wald und Feld. Und plötzlich fragt man sich: Gibt es nicht vielleicht viel dringendere Fragen für diese Region?“ Die Antwort gab sie sich schon damals selbst. „Viel wichtiger als eine Recyclingquote war in Brandenburg zum Beispiel, den Menschen eine Perspektive zu geben, damit sie ihre Heimat nicht verlassen. Die Frage, wie sich eben auch solche Aspekte in ein gemeinsames Bewertungssystem integrieren lassen, hat mich von da an nicht mehr losgelassen.“
Die Welt ist voller Biomasse. In ständigem Kreislauf wächst sie in Wäldern und auf Feldern, in Meeren, Flüssen und Seen heran, um wieder zu zerfallen und der nächsten Generation als Rohstoff zu dienen. Der Mensch hat sich seit Beginn des Industriezeitalters ein Stück weit aus dem Kreislauf ausgeklinkt – mit fatalen Folgen, wie sich heute zeigt. Kohle heizt das Klima an, Kunststoffe aus Erdöl werden die kommenden Jahrhunderte überdauern und dem unstillbaren Hunger nach Wachstum müssen Flora und Fauna weichen. Doch es gibt eine Möglichkeit, den Trend zu brechen: die Bioökonomie.
„Wir wollen biologische Ressourcen – zu denen übrigens auch das Wissen gehört – erzeugen und für Produkte, Verfahren und Dienstleistungen nutzen“, sagt Daniela Thrän und ergänzt: „Für ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem muss das natürlich in allen wirtschaftlichen Sektoren geschehen.“ Die Mutter von fünf Kindern leitet das Department Bioenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und den Bereich Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ). Außerdem unterrichtet sie Bioenergiesysteme an der Universität Leipzig. Eigentlich wollte sie ja Medizinerin werden, erzählt Daniela Thrän. Doch während des Studiums entdeckte sie ihre Liebe zu mathematisch-technischen Fächern. Deshalb wandte sie nach dem Physikum der Medizin den Rücken zu und studierte stattdessen Technischen Umweltschutz.
Umweltfragen hätten sie ohnehin schon immer interessiert, gesteht sie. Und die nukleare Katastrophe von Tschernobyl hat Daniela Thrän – wie viele andere ihrer Generation – geprägt. Sich mit alternativen Energien für eine nachhaltige Zukunft zu beschäftigen, lag also nahe. Bei der Frage, wie diese aussehen sollte, muss die Ingenieurin nicht lange überlegen: Die erneuerbaren Energien ausbauen und sich von fossilen Energieträgern verabschieden, keine Frage. Dazu gehöre selbstverständlich auch die Bioenergie. Sie macht heute den größten Teil der Erneuerbaren aus – vor allem in der Wärmeversorgung und der Mobilität. Zukünftig sollte sie überall dort eingesetzt werden, wo andere erneuerbare Energien an ihre Grenzen stoßen, weiß Daniela Thrän. Bioenergie könnte zum Beispiel Schiffe und Flugzeuge antreiben, denn dafür kommen elektrische Antriebe nicht infrage. Aber die Biomasse für Energie ist begrenzt. „Wir müssen auch energieeffizienter werden“, sagt die Expertin für Bioenergie. „Besonders im Gebäudebereich stecken noch große Einsparpotenziale.“
Doch Bioökonomie sei sehr viel mehr als die Versorgung mit Strom, Wärme und Treibstoff, erklärt die Umwelttechnikerin und schließt den Kreis zu ihrem früheren Projekt in Brandenburg. „Uns interessiert, wie sich Bioökonomie nachhaltig etablieren lässt“, bringt sie ihre Forschungen auf den Punkt. „Dabei geht es nicht nur um Energie, sondern auch um Ernährung und Grundstoffe für die Industrie. Da rückt natürlich immer die Verteilungsfrage in den Fokus. Also die Frage nach den Prioritäten unserer Bedürfnisse.“ Den roten Faden für nachhaltige Entwicklung haben die Vereinten Nationen bereits 2015 mit den Sustainable Developement Goals gesponnen. „Die sind gut“, sagt Thrän voller Überzeugung. „Aber es ist auch klar, dass wir diese Ziele nicht alle gleichzeitig erreichen werden.“ Wo sollten also die Prioritäten liegen? Und wer trifft diese Entscheidungen? Thrän will die wissenschaftlichen Grundlagen liefern, um diese Fragen zu beantworten. In einem Punkt ist sie sich aber schon sicher: „Es wird natürlich nicht funktionieren, wenn wir es uns alle zwei Jahre anders überlegen. Wir müssen also eine gewisse Dauerhaftigkeit erreichen.“
Die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) sollen dazu beitragen, weltweit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und dabei die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft zu bewahren. Sie skizzieren einen weltweiten Fahrplan, um Armut und Hunger zu reduzieren, die Gesundheit zu verbessern, Gleichberechtigung zu ermöglichen, den Planeten zu schützen und vieles mehr. Alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben sich verpflichtet, die Ziele bis zum Jahr 2030 umzusetzen.
Dabei ist die Bioökonomie gar keine Erfindung unserer Zeit. Denn den allergrößten Teil seiner Geschichte hat der Mensch mit der Natur gelebt und mit ihr gewirtschaftet. Die Rohstoffe für Nahrung, Kleidung, Gebrauchsmaterial oder Energie wuchsen auf den Feldern und in den Wäldern und gingen nach Gebrauch wieder in den Stoffkreislauf ein. Ist der neue Run auf die Bioökonomie also nur ein alter Hut mit neuer Feder?
„Vor allem zwei Punkte sind anders als früher“, holt Daniela Thrän aus. „Erstens sind zu den klassischen Land- und Forstwirten noch die Mikrobiologen, die Biotechnologen und viele andere Techniker als Akteure hinzugekommen. Die Innovationskraft in dem ganzen Feld ist ungeheuer groß. Und zweitens haben wir auch großen Druck. Das verfügbare Land ist begrenzt, der Klimawandel bedroht die Produktivität und der Verlust der Biodiversität schreitet ungebremst voran.“
Für Daniela Thrän ist das eine Herausforderung, die sie gerne in den Mittelpunkt ihres Schaffens legt. Mit Ihren Teams am UFZ und am DBFZ entwickelt sie Modelle, mit denen sich die Stoffströme bewerten und optimieren lassen. „Ich glaube, dass der Rohstoff Biomasse in Zukunft eher knapper wird“, sagt sie. „Deshalb werden Akteure, die bisher eher für sich allein in Erscheinung getreten sind, künftig näher zusammenrücken. Dann liefert beispielsweise der Landwirt direkt an die Automobilindustrie.“ Außerdem forscht sie an Technologien, mit denen die Potenziale der Biomasse noch besser genutzt werden können. Dass es aber trotz aller wissenschaftlicher Anstrengung nicht ohne ein Umdenken in der Gesellschaft geht, steht für sie fest: „Ich bin davon überzeugt, dass die Bioökonomie nur funktionieren wird, wenn wir alle den Konsum reduzieren. Denn sonst passen die Stoffströme einfach nicht zusammen.“
Bioökonomie im Wissenschaftsjahr 2020/21
Knapper werdende Ressourcen und Nutzflächen bei wachsender Weltbevölkerung, der fortschreitende Klimawandel und der Rückgang der Artenvielfalt – all dies sind globale Herausforderungen. Eine Umstellung ist notwendig: weg von einer Wirtschaftsform, die auf fossilen Ressourcen basiert, hin zu einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaftsweise: der Bioökonomie. Das Wissenschaftsjahr 2020/21 nimmt daher das Thema Bioökonomie in den Blick.
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