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Atomphysik

Die Sonne im Labor

Labor am Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HIBEF). Bild: European XFEL/Jan Hosan

Labor am Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HIBEF). Bild: European XFEL/Jan Hosan

Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, im Labor so extreme Verhältnisse zu erzeugen, wie sie im Inneren von Sternen herrschen. Die Experimente liefern wichtige Erkenntnisse für das Verständnis von Sonnen und großen Planeten.

In den Vorlesungsnotizen zu den berühmten Fermi-Lectures, die der italienische Kernphysiker Enrico Fermi Anfang der 50er Jahre gehalten hat, findet sich ein Diagramm, dass bis heute unter Physikern eine gewisse Bekanntheit hat. Handschriftlich und etwas schwer zu entziffern zeigt die Notiz die Zustände der Materie in unserem Universum in Abhängigkeit von Temperatur und Druck. Von uns bekannten Flüssigkeiten und Gasen, wie wir sie bei niedrigen und höheren Energiedichten auf der Erde finden und die universal gesehen eher die Ausnahme sind, über Zustände, wie sie in unserer Sonne herrschen, bis hin zu heißen Neutronengasen und in Neutronensternen.

Der Physiker Enrico Fermi skizzierte in einer einfachen Grafik die Materiezustände des Universums. Der Bereich der Warmen Dichten Materie gibt bis heute Rätsel auf. Grafik (bearbeitet): Faksimile-Reproduktion der Notizen von Enrico Fermi für eine von ihm 1951-52 gehaltene Vorlesung. Quelle: Fermi, Enrico (1966): Notes on thermodynamics and statistics, S. 171

An einem Punkt in der Mitte von Fermis Diagramm gibt es ein Gebiet, von dem wenig bekannt ist. »Das ist der Bereich, für den wir uns interessieren«, sagt Dominik Kraus, Professor für Experimentalphysik an der Universität Rostock und Leitender Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR). »Er umfasst die sogenannte Warme Dichte Materie, ein in physikalischer Hinsicht sowohl experimentell wie theoretisch sehr schwierig zu durchdringender Bereich, bisher quasi eine terra incognita.« Bei solch hohen Temperaturen und Drücken, die hier in der Warmen Dichten Materie herrschen, finden sich in Planeten eine Vielfalt von Elementen.

Dominik Kraus. Bild: privat

Dem Forscherteam, dem Kraus angehört, ist es mit Hilfe sehr intensiver Laserstrahlung gelungen, im Labor der National Ignition Facility (NIF), USA, für Billionstel einer Sekunde die extremen Bedingungen der Warmen Dichten Materie zu erzeugen. So ähnlich wie ein Hammerschlag auf den Amboss enorme Energie und hohen Druck erzeugt, um ein Schmiedeeisen zu formen, sorgt das extrem gebündelte, gepulste Licht eines Lasers, das auf eine kleine Materiekapsel geschossen wird, für denselben Effekt. Das Team konnte Temperaturen von Millionen Grad Celsius sowie Druck von Milliarden Atmosphären erzeugen und die Auswirkungen auf Materie mit Röntgenstrahlung vermessen.

»Röntgenstrahlen bisher unerreichter Intensität, Qualität und Brillanz auf extrem kurzen Zeitskalen eröffnen überhaupt erst die Option, die hohen Energiedichten in der Materie unter solchen extremen Bedingungen zu durchdringen«, sagt Kraus. Die Untersuchungskapseln, in denen Stoffe wie Beryllium durch das Laserlicht auf das 30-fache ihrer ursprünglichen Dichte zusammengepresst werden, sind winzig. Sie haben einen Durchmesser von zwei Millimetern. »Aber darin können wir die grundlegenden Parameter der zusammengepressten Materie wie Temperatur und Dichte präzise vermessen«, sagt Kraus.

Ronald Redmer. Bild: privat

Die Analyse der unter diesen Bedingungen gewonnen Messdaten ist entsprechend aufwendig. »Wenn man in den Bereich der Warmen Dichten Materie kommt, steht man vor dem Problem, dass die Modellierung dessen, was da mit der Materie passiert, sehr anspruchsvoll wird«, erklärt Ronald Redmer, theoretischer Physiker und Professor an der Universität Rostock. »Wir haben es mit sogenannten Vielteilchenproblemen und angesichts der extremen Bedingungen mit spezifischen Quanteneffekten zu tun, die wir vermittels bekannter Näherungsmethoden der Quantenmechanik nicht beschreiben können.« Fortschritte auf dem Gebiet der Computertechnik mit zunehmend leistungsfähigeren Prozessoren und neue Rechenmethoden, „Machine Learning“ und Künstlicher Intelligenz eröffnen allerdings neue Möglichkeiten.

Die aktuellen Ergebnisse vertiefen nicht nur das Verständnis in der Grundlagenforschung, sie haben auch Auswirkungen auf die Erforschung der sogenannten Trägheitsfusion, bei der mittels Verschmelzung von beispielsweise schwerem Wasserstoff die Gewinnung von Energie in Aussicht steht. Erst im Dezember letzten Jahres konnte an der NIF im Rahmen eines „Proof-of-principle“-Experiments erstmals erfolgreich gezeigt werden, dass sich dieses Prinzip, auf dem ebenfalls die Wasserstoffbombe basiert, auch zur friedlichen Energieerzeugung nutzen lässt – zumindest im Ansatz. Interessant sind die Messungen des Teams um Dominik Kraus auch für das Gebiet der Astrophysik. »Und hier kommt die Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HIBEF) am European XFEL in Hamburg und Schenefeld ins Spiel«, sagt Kraus. »Die HIBEF ist derzeit der einzige Platz auf der Welt, wo sich sowohl Verfahren der Geophysik (geringe Temperaturen, hohe Drücke) wie auch der Plasma-Physik (hohe Temperaturen, geringe Drücke) in derselben Untersuchungskammer durchführen lassen.« Dort will das Forschungsteam um Kraus und Redmer nun ähnliche Bedingungen wie an der NIF in deutlich kleinerem Maßstab erreichen, wodurch eine vielfach größere Anzahl von Experimenten ermöglicht würde als bisher. »Dort können wir zwar nicht die ganz hohen Energiedichten erreichen wie an der NIF«, erklärt Kraus. »Aber wir haben die Möglichkeit, Materiezustände wie die im Inneren von kleineren Planeten zu reproduzieren – Zustände wie im Innern der Erde oder von Uranus und Neptun. Vielleicht sogar bis hin zu physikalischen Randbereichen im Innern des Jupiters oder der Sonne.«

Infografik: Laser- Von der Kursiosität zum Innovationstreiber (DESY-Forschungsmagazin femto - Ausgabe 01/23)

Vieles gibt den Forschern und Forscherinnen noch Rätsel auf. Weshalb ist das Standardmodell der Sonne nicht mit aktuellen Messungen der Häufigkeitsverteilung der chemischen Elemente vereinbar? Wieso kennen wir noch immer nicht exakt die Schmelzkurve von Eisen? Weshalb verhalten sich Uranus und Neptun, die Zwillings-Eisplaneten unseres Sonnensystems, derart verschieden? Wie konnten sich in der Frühzeit des Universums überhaupt die ersten Sterne bilden, in der es noch fast keine schweren Elemente gab, die doch in der Frühphase jeder Sternentstehung wesentlich sind? »Mit HIBEF und unserer Forschung holen wir uns einige dieser fundamentalen Fragen quasi ins Labor«, sagt Dominik Kraus.

Publikation: T. Döppner et al.: “Observing the onset of pressure-driven K-shell delocalization”. DOI: 10.1038/s41586-023-05996-8 https://www.nature.com/articles/s41586-023-05996-8

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