Portrait
Die Quantenpionierin
Schon in der Schule hat Kristel Michielsen für den Zugang zu Informatik gekämpft. Diesen Weg hat sie konsequent fortgesetzt. Am Forschungszentrum Jülich simuliert sie die Funktionsweise von Quantenrechnern – mit Erfolg: In den vergangenen zehn Jahren konnte sie einige Weltrekorde aufstellen.
Beim ersten Mal, als sie einen Kampf für die IT gewann, war Kristel Michielsen 16 Jahre alt. Um die Wahl der Abiturkurse an ihrem Gymnasium in der belgischen Provinz unweit von Antwerpen ging es, und eigentlich sollte sie vier Stunden Latein pro Woche belegen, wenn sie Mathematik als Schwerpunkt wählte. „Aber das lockte mich überhaupt nicht“, sagt sie im Rückblick. Und sie entschied sich, zu kämpfen: Zusammen mit fünf Gleichgesinnten setzte sie schließlich beim Schuldirektor durch, die Lateinstunden zu reduzieren und stattdessen eine Einführung in die Informatik zu bekommen.
Anfang der 1980er Jahren war das, damals war die Informatik noch eine denkbar exotische Fachrichtung, und die Tochter einer Biologie- und Geographielehrerin und eines Ingenieurs war vor allem aus intellektueller Neugier an der Disziplin interessiert. Die Neugier trieb sie schließlich auch in einen Bereich der Wissenschaft, der die Informationswissenschaften revolutionieren könnte. Heute, mit 53 Jahren, ist sie mit ihrem Fachbereich Quantum Information Processing am Forschungszentrum Jülich eine der Pionierinnen im Bereich der Quantencomputer.
Herkömmlicher Supercopumputer simulieren die Funktionsweise von Quantencomputern
Auf Fotos lächelt Kristel Michielsen mit ihrer markanten Lockenmähne in die Kameras, im Hintergrund stapeln sich die Hightech-Komponenten des Jülicher Supercomputers. „Dort im Rechnerraum kann man die spannendsten Aufnahmen machen“, sagt Michielsen achselzuckend. Und auch, wenn sie nicht täglich am Supercomputer steht, spielt er für ihre Arbeit eine entscheidende Rolle: Mit ihrem Team simuliert sie mit Hilfe herkömmlicher Supercomputer die Funktionsweise relativ großer Quantenrechner. Diese werden derzeit noch entwickelt, aber schon jetzt zeigt sich eines ihrer Probleme: Die sogenannten Qubits – ein Kürzel für Quantenbits – sind instabil. Bei Rechenoperationen entstehen dadurch leicht Fehler, die es auszugleichen gilt. Die Funktionsweise und auch die Störanfälligkeit von Quantencomputern lassen sich über Kristel Michielsens Simulationen vorwegnehmen.
An dieser Arbeit lässt sich zugleich ablesen, wie groß die Fortschritte im Bereich der Quantencomputer sind – als Indikator können die Weltrekorde von Kristel Michielsen dienen: Im Jahr 2010 simulierte sie mit Kollegen als Erste einen Quantencomputer mit 42 Qubits auf dem damaligen Jülicher Superrechner JUGENE, stufenweise steigerte sich der Wert bis 46 Qubits im Dezember 2017. Zuletzt machte Kristel Michielsen Schlagzeilen, als sie an einem Google-Projekt beteiligt war, das erstmals die sogenannte Quantenüberlegenheit in der Praxis bewiesen hat – dass also ein Quantencomputer ein bestimmtes Problem weitaus schneller lösen kann als ein herkömmlicher Rechner: Der Google-Quantenprozessor schaffte eine komplizierte Rechenoperation in 200 Sekunden. Der schnellste Superrechner der Welt würde für diese Aufgabe 10.000 Jahre brauchen, hieß es von Google. Konkurrenten zweifeln diese Werte zwar an, aber Kristel Michielsen relativiert sie ohnehin: „Es ist schwer, ein Gerät, das noch in der Entwicklung steckt wie ein Quantencomputer, mit einem Hochleistungsrechner zu vergleichen. Das ist, als würde man ein Kinderfahrrad mit einem Ferrari vergleichen.“
Die Anwendungsorientierung ist etwas, das Kristel Michielsen an ihrer Arbeit besonders wichtig ist. Nach ihrem Studium in Antwerpen und mehr als zehn Jahren Forschung in Groningen gründete sie im Jahr 2006 ein Unternehmen, das eine hochspezialisierte Software für Computerchiphersteller entwickelte. „Ich hatte immer einen guten Kontakt nach Jülich“, erinnert sie sich, „und als dort 2009 meine heutige Stelle frei wurde, wusste ich schon, worauf ich mich einlassen würde.“ Sie nahm den Ruf an, wieder getrieben von ihrer intellektuellen Neugier, die sie seit den Schultagen begleitet.
Im nächsten Schritt sollen Quantencomputer eine Aufgabe aus der Praxis berechnen
Und auch die Wohnfrage hat sie längst gelöst, die sie am Anfang ihrer Jülicher Zeit umtrieb: In größere Städte wie Köln oder Aachen zog es sie nicht, zudem wollte sie nah an der Heimat bleiben. „Wir haben dann ein Haus in der Voreifel entdeckt, das uns gleich gefallen hat“, sagt sie. Auf Anhieb verliebte sie sich in den Garten, den sie in ihrer Freizeit auf Vordermann bringt – „vom Quantenrechner an den Rasenmäher“, sagt sie selbst und schmunzelt. Und Radfahren kann sie dort auch, diese Leidenschaft hat sie sich aus ihrer belgischen Heimat mitgenommen. Nur zur Arbeit wäre es zu weit mit dem Fahrrad: Selbst im Auto dauert es 40 Minuten bis nach Jülich.
Um auf die Frage eine Antwort geben zu können, die sie am häufigsten hört – wann es endlich soweit sei mit dem ersten Quantencomputer – haben Kristel Michielsen und Thomas Lippert die sogenannte QTRL-Skala entwickelt, die das Quantum Technology Readiness Level misst. Sie reicht von eins bis neun; die Zahlen stehen für den theoretischen Rahmen für das Quantencomputing am unteren Ende der Skala und für den ersten einsetzbaren Quantencomputer am oberen Ende. „Derzeit sind wir bei Stufe fünf, würde ich sagen“, erläutert sie dann – der nächste große Schritt sei es, den Quantencomputer eine Aufgabe aus der Praxis berechnen zu lassen und nicht bloß eine rein theoretische, hochkomplexe Formel wie zuletzt bei dem Google-Durchbruch.
„Ich würde derzeitige Quantenrechner wie die von Google und IBM mit einem Heißluftballon vergleichen, der gerade aufsteigt: Er fährt irgendwo hin – nur die genaue Richtung kennen wir noch nicht“, sagt Kristel Michielsen. Dass der Ballon überhaupt fliege, sei der eigentliche Durchbruch. „Jetzt müssen wir noch lernen, ihn zu steuern.“ Das werde gelingen, davon ist sie überzeugt – und bis dahin genießt Kristel Michielsen den Ausblick von dort oben aus dem Korb des Ballons, das ist ihr anzumerken.
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