Direkt zum Seiteninhalt springen

Teilchenphysik

Die Natur der Dunklen Materie durch Präzision erhellen

„Intracluster-Licht“: Licht, das von Sternen ausgesandt wird, die von ihren Muttergalaxien weggerissen wurden – in verstärkter weiß-grauer Färbung. Bild: ESA / Euclid space mission

Ohne Dunkle Materie würde das Universum ganz anders aussehen, es gäbe vermutlich weder Sterne noch Galaxien. Doch aus welchen Teilchen Dunkle Materie besteht, ist trotz intensiver direkter Suche danach unbekannt. Sie entziehen sich der elektromagnetischen Wechselwirkung, könnten aber indirekt subtile Spuren in einer anderen Grundkraft der Physik hinterlassen, der Schwachen Kraft.

In der Physik ist das Größte fast immer mit dem Kleinsten verbunden. Das gilt auch für eines der ganz großen ungelösten Rätsel, die Dunkle Materie. „Aus der Astronomie wissen wir, dass überall im Weltall Materie fehlt“, erklärt Frank Maas, „zum Beispiel drehen sich Galaxienarme zu schnell für die dort sichtbare Materie.“ In den letzten Jahrzehnten zeigen immer mehr astronomische Beobachtungen Gravitationsphänomene, die nur durch die Existenz einer ungeheuren Masse an nicht sichtbarer Materie erklärbar sind: Etwa fünf Sechstel der Materie im All reagiert offensichtlich weder auf Licht noch auf Mikrowellen oder Röntgenstrahlung. Sie entzieht sich jeglicher elektromagnetischer Wechselwirkung.

Frank Maas (Institut für Kernphysik, JGU Mainz, GSI/FAIR und Helmholtz-Institut Mainz) Foto: privat/ Sabrina Hopp

Aber woraus besteht Dunkle Materie? Das ist aktuell völlig unklar. Eines ist allerdings klar: Es sind keine Teilchen, die das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik erklären kann. Die Suche nach den Bausteinen der Dunklen Materie ist also eine Suche nach „Neuer Physik“ jenseits dieses Modells, das den Mikrokosmos der Teilchen, die unsere sichtbare Welt formen, heute sehr präzise erklären kann. Weltweit sind viele Forschungsteams auf dieser wichtigen Suche, nun gesellt sich das Forschungsprojekt „Zeptometrie“ hinzu. Ein internationales Konsortium treibt es im Rahmen eines ERC Advanced Grant voran, und einer der drei leitenden Wissenschaftler ist Frank Maas, Sektionsleiter am Helmholtz-Institut Mainz und leitender Wissenschaftler am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung. Ein Zeptometer ist ein Trilliardstel Meter, das ist ein Millionstel kleiner als der Durchmesser eines Protons. Auf dieser unvorstellbar kleinen Skala will das Teilchenphysik-Projekt nach möglichen Spuren von Dunkle-Materie-Teilchen suchen.

Eine Schwäche für die Schwache Kraft?

Die Idee: Wenn die Dunkle Materie sich der elektromagnetischen Kraft entzieht und nur über Gravitation bemerkbar macht, so könnte sie eventuell doch wie normale Materie auch auf die „Schwache Kraft“ reagieren. Diese gehört zu den vier bekannten Grundkräften der Physik und ist für den radioaktiven Zerfall verantwortlich. In der Welt der Teilchenphysik werden die Grundkräfte durch winzige, „virtuelle“ Teilchen vermittelt. Bei der elektromagnetischen Kraft sind es virtuelle Lichtquanten, Photonen. Da diese keine Ruhemasse haben, können sie im Prinzip unbegrenzt weit zur Kraftvermittlung zwischen Materieteilchen reisen. Deshalb hat die elektromagnetische Kraft eine lange Reichweite. Anders ist es bei der schwachen Kraft: Diese wird durch drei Teilchen mit recht hoher Ruhemasse, darunter das sogenannte Z-Boson, übertragen. Deshalb hat sie eine nur sehr kurze Reichweite – etwa ein Tausendstel des Durchmessers des Protons. Nach einer speziellen Form der Heisenbergschen Unschärferelation verhält sich nämlich die Lebensdauer der virtuellen Teilchen umgekehrt zu ihrer Ruhemasse: Wer schwer ist, kommt nicht weit.

Der Teilchenbeschleuniger MESA

Bei dem neuen Mainzer Experiment, kurz P2 genannt, soll nun die Reichweite der Schwachen Kraft extrem genau untersucht werden. Dazu soll der neue Mainzer Elektronenbeschleuniger MESA, der im Rahmen der Exzellenzinitiative entwickelt und an der Universität Mainz aufgebaut wird, einen dichten Strom an Elektronen in flüssigen Wasserstoff schießen, der etwa 250 Grad Celsius kalt ist. Die Elektronen müssen zuvor auf eine bestimmte Weise präpariert worden sein, um auf die Schwache Kraft empfindlich zu sein. Das Experiment ist so konzipiert, dass die Elektronen auf ihrer Flugbahn die subtilen Effekte von potenziell neuen Teilchen bis hinunter zu Abständen von einem Tausendstel der Reichweite der schwachen Kraft fühlen können: bis zu einem Zeptometer. Daher der Name des Projektes „Zeptometrie“. Wie eine Raumsonde bei einem „Swing-by-Manöver“ um einen Planeten werden die Elektronen abgelenkt und treffen schließlich auf einen Detektor, der sie registriert.

Attraktive Ausreißer für Neue Physik

In der genauen Flugbahn zum Detektor ist die Information über die Wirkung des Z-Bosons enthalten, das die Schwache Kraft vermittelt und so das Elektron mit abgelenkt hat. Das Standardmodell der Teilchenphysik sagt für diesen Fall vorher, dass auf 25 Millionen Elektronen, die auf einer bestimmten Flugbahn eintreffen, statistisch ein Ausreißer auf einer etwas abweichenden Flugbahn kommt. Sollte nun die Zahl der Ausreißer signifikant neben dieser Vorhersage liegen, dann wäre das ein Zeichen für „Neue Physik“ jenseits des Standardmodells. „Das wäre der spannende Fall“, sagt Maas. Die Schwache Kraft könnte so den entscheidenden Hinweis liefern, wo im Mikrokosmos die Forschung gezielt nach Dunkle-Materie-Teilchen suchen muss.

Die geringe Zahl an vorhergesagten Abweichlern unter den Elektronen vermittelt zudem einen Eindruck davon, wie präzise das Mainzer Experiment arbeiten muss. Im Vergleich zu den erwähnten 25 Millionen Elektronen darf die Fehlerrate keine 0,01 Elektronen übersteigen. „Auch der gesamte Beschleuniger MESA ist deshalb ein Teil des Experiments und muss präzise kontrolliert und stabilisiert werden“, betont Maas. Nur wenn dieser extrem stabil seine Elektronen liefert, erreicht die Messung die erforderliche Präzision. Hinzu kommt eine enorme Menge an Daten, die in etwa fünf Jahren Messzeit aufgenommen werden muss, um genügend der seltenen Ausreißerereignisse für eine solide Statistik zu erfassen.

Noch eine weitere wichtige Eigenschaft der schwachen Kraft will das Konsortium nutzen: Mit hohen Kollisionsenergien wächst sie an, sie wird stärker. Deshalb soll ein Team um Maarten Bonekamp vom Commissariat à l’Énergie Atomique et aux Énergies Alternatives (CEA) in Frankreich sie bei den höchsten Energien am CERN in Genf untersuchen, während die Mainzer sich auf niedrige Energien konzentrieren, die dem starken LHC-Beschleuniger in Genf nicht zugänglich sind. Beide Messungen sollen ein genaueres Bild der schwachen Kraft auf der Zeptometer-Skala liefern. Wichtig ist zudem für die Interpretation der Daten die theoretische Physik: Zuständig hierfür ist ein Team um Jens Erler, Professor am Institut für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität.

Leser:innenkommentare