Die Mobilität der Zukunft
Wie werden wir uns in zehn oder 20 Jahren fortbewegen? Und wie können wir es schaffen, dabei klimaneutral zu werden. Mobilitätsforscher:innen arbeiten intensiv an neuen Technologien und Konzepten.
Wer über die Zukunft der Mobilität nachdenkt, dem kommen vielleicht fliegende Autos aus Science-Fiction-Filmen in den Sinn, Raumgleiter, die scheinbar mühelos der Schwerkraft entschweben. Davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt – wenn es überhaupt je gelingt, die Schwerkraft derart auszutricksen. Konkreter sind dagegen die Planungen von Forschenden, den Verkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft erheblich klima- und umweltfreundlicher, sicherer und komfortabler zu machen. Neue Antriebe, autonome Fahrzeuge, intelligentes Verkehrsmanagement und eine ganze Armada neuartiger Sensorsysteme sind in Entwicklung, die auch ohne Antigravitation für große Veränderungen sorgen werden.
Dabei geht es vor allem um die Energiewende, für die der Verkehrssektor einen zentralen Baustein darstellt. Allein er ist in der EU für über ein Viertel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Aber auch Sicherheit und Effizienz spielen eine große Rolle: In der EU verloren 2021 fast 20.000 Menschen im Straßenverkehr ihr Leben. Und die Staus in Deutschlands Städten allein verursachten 2019 laut einer Studie wirtschaftliche Schäden von fast drei Milliarden Euro. Jeder Deutsche verbringt im Schnitt pro Jahr 46 Stunden im Stau. Darum und aus Umweltgründen soll der Öffentliche Nah- und Fernverkehr attraktiver werden.
„Die Forschung muss die Emotionen stärker in den Blick nehmen“
Eine große Rolle werden in Zukunft autonome Fahrzeuge spielen. „Vor allem im Last- und öffentlichen Nahverkehr kann das einen großen gesellschaftlichen Mehrwert bringen“, sagt Tobias Hesse vom DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik. Autonome Busse und Lastwagen, das haben zahllose Tests bewiesen, sind energieeffizienter und sicherer unterwegs. Es gibt keinen Fahrenden, der oder die ermüden und Fehler machen kann. Indem die Fahrzeuge untereinander und mit der Verkehrsinfrastruktur wie etwa Ampeln und Haltestellen kommunizieren, lassen sich die Taktung optimieren, Wartezeiten reduzieren, die Verlässlichkeit erhöhen, bis dato unwirtschaftliche Strecken und Zeiten in den Fahrplan aufnehmen.
Bei Bussen und Lastwagen ist die maschinelle Steuerung deutlich leichter zu bewerkstelligen als im Individualverkehr: Wie andere Nutzfahrzeuge auch haben sie meist vordefinierte Strecken, die für ein intelligentes sensorbasiertes System besser zu planen und zu beherrschen sind als der komplexe Individualverkehr mit seinen vielen unvorhersehbaren Verkehrssituationen. „Bei Autos für den Privatgebrauch gibt es zwar auch erste Beispiele, die autonomes Fahren auf Level 3 ermöglichen“, sagt Hesse. Das bedeutet, dass man auf gewissen Teilstrecken dem Computer die Verantwortung überlassen und sich vorübergehend anderen Dingen zuwenden kann. Aber ob sich ein vollautonomer Fahrbetrieb (Level 5) durchsetzen wird, bei dem wir uns im eigenen Auto wie im Taxi die ganze Strecke fahren lassen, hält Hesse für fraglich: „Das ist zwar technisch möglich. Aber dafür müsste man ein Privatauto derart hochrüsten, dass es am Ende sicher das Fünffache des Normalpreises kostet, nur um beliebige Wege und komplette Strecken autonom zu fahren anstatt vielleicht 80 Prozent davon. Das werden sich nur sehr wohlhabende Menschen leisten können.“ Stattdessen werde es für PKWs voraussichtlich immer mehr hilfreiche Assistenzsysteme und eine teilweise Automatisierung bis Level 3 geben, die dem Fahrenden Teilaufgaben abnehmen.
U-Shift – modulares, autonomes Fahrzeugkonzept der Zukunft
An solchen Systemen wird viel geforscht. Mit „U-Shift“ hat das DLR sogar schon ein vollautonomes Transportsystem für Personen und Fracht entwickelt: Über eine Führungsschiene mit Hubfunktion kann das U-Förmige Elektro-Gefährt auf vier Rädern Kapseln von der Größe des Laderaums eines Kleintransporters aufnehmen und so entweder vier Europaletten mit Fracht oder bis zu sieben Personen transportieren. Durch intelligente Vernetzung können die Fahrzeuge Kolonne fahren. Denkbar wäre etwa, dass ein solches System tagsüber als Shuttleservice für Personen dient. Und nachts können dann die gleichen Fahrzeuge Fracht transportieren. „Sie sind 24 Stunden am Tag und daher sehr effizient nutzbar“, sagt Projektleiter Tjark Siefkes.
Für den Individualverkehr hat Siefkes Institut zudem ein Konzeptauto entwickelt, das vor allem den Umweltaspekt adressiert: Die Zero Emission Drive Unit (ZEDU) verfügt über einen Batterieantrieb. „Elektrisch zu fahren hat sich für Pkws als die effizienteste Antriebsform erwiesen“, sagt Siefkes. Und Elektroantriebe sind ja längst auch auf dem Markt im Kommen. Doch auch Wasserstoffautos bleiben eine Option und werden weiterhin erforscht und erprobt. Denn sie bieten andere Vorteile: Ihre Reichweite ist größer, was sie vor allem für lange Strecken attraktiv macht. Außerdem könnte man mit einigen Anpassungen auf eine existierende, gut funktionierende Import- und Verteil-Logistik zurückgreifen: Statt Erdöl würden Länder wie die OPEC-Staaten grünen Wasserstoff liefern und dieser dann über die existierenden Tankstellen verteilt. Außerdem stellen Wasserstoffautos quasi Minikraftwerke dar, die in energiearmen Zeiten Strom und Wärme auch für den Haushalt liefern können, da sie die meiste Zeit ohnehin in der Garage stehen. So sorgen sie als Energiepuffer für mehr Netzstabilität. „In größerem Umfang werden Wasserstoffantriebe zunächst in schweren Fahrzeugen und solchen mit hohen Reichweitenanforderungen wie etwa Nutzfahrzeugen und Autos mit Wohnwagen zum Einsatz kommen“, sagt Siefkes. Leichtere wie Kleintransporter, Außendienst- und Pendlerautos würden folgen. „Wir haben bereits Gespräche mit der Industrie zur Serienfertigung eines Brennstoffzellen-Kleinwagens, das wir ‚Safe Light Regional Vehicle‘ nennen, aufgenommen.“
Doch die ZEDU soll noch ein ganz anderes, weniger im Fokus stehendes Umweltproblem lösen: Sie fängt auch ihren Brems- und Reifenabrieb wieder ein. „Ein Drittel des Feinstaubs in Deutschland kommt von den Bremsen, und ein Viertel allen Mikroplastiks in der Umwelt von den Reifen der Autos“, sagt Siefkes.
Um das zu ändern, haben die Forschenden Reifen und Getriebe der ZEDU eingekapselt. In diesem Gehäuse werden sie bei der Fahrt von Luft umströmt, ein Sauger nimmt den Abrieb auf und leitet ihn ins Getriebeöl, das bei der nächsten Inspektion ausgetauscht und entsorgt wird. „Wir forschen noch an der Aerodynamik“, sagt Siefkes. „Womöglich können wir sie so gestalten, dass der Fahrtwind selbst für den Saugeffekt sorgt und wir keine aktive Saugvorrichtung brauchen. Das spart Ressourcen.“ Es sei denkbar, dass die neue Technologie das Image des Autos als Dreckschleuder dreht: „Man tut der Umwelt sogar etwas Gutes, wenn man eine Runde dreht, weil auch der vorhandene Staub auf der Straße eingesaugt wird.“
Wichtig für den Straßenverkehr der Zukunft sei, dass alle Beteiligten vernetzt denken und auch Fahrzeuge sowie Infrastruktur vernetzt sind, sagt Tobias Hesse. Wenn laufend Informationen ausgetauscht werden, wo sich wer befindet und womöglich Kollisionen drohen, können diese vorausschauend vermieden werden, ohne dass die Fahrenden reagieren müssen. Bahnübergänge, Kreuzungen und Stau-Enden verlören ihren Schrecken, weil die Fahrzeuge längst Bescheid wissen, bevor ein Hindernis in Sicht gerät. Notfalleinsätze etwa der Feuerwehr würden erheblich erleichtert und beschleunigt. „Teil unserer Forschung ist daher auch“, so Hesse, „wie die Systeme am besten kooperieren können.“ Und entscheidend werde sein, dass sich am Ende die beteiligten Akteure – darunter Autohersteller, Verkehrsbehörden und -betriebe, Kommunen, Flottenbetreiber, Mobilitätsanbieter – auf die gesellschaftlich besten Lösungen einigen. Etwa auch, wie die Künstlichen Intelligenzen in den Fahrzeugen programmiert und mit den richtigen Daten trainiert werden sollten. „Wir schlagen da herstellerübergreifendes Flottenlernen vor“, sagt Hesse.
Dabei geht es auch um Sicherheit: Nicht nur um Cybersicherheit, dass die Systeme möglichst immun gegen Hackerangriffe werden, sondern auch um die Berücksichtigung sogenannter Corner Cases – das sind ungewöhnliche Verkehrssituationen, mit denen die autonomen Systeme ebenfalls zurechtkommen müssen. In speziellen Tests und Simulationen werden solche Fälle nachgestellt, um Systemfehler und resultierende Unfälle weitgehend auszuschließen.
Auch der Schienenverkehr soll wie bereits angedeutet in das Informations-Netzwerk integriert werden. So würden nicht nur Unfälle an Bahnübergängen vermieden, sondern etwa für Regionalbahnen auch Bedarfshalte möglich. „Die große Herausforderung bei der Bahn insgesamt liegt darin, dass sie immer mehr Passagiere und Güter transportieren soll auf einem Schienen- und Bahnhofsnetz, dessen wesentliche Struktur über hundert Jahre alt ist“, sagt Tjark Siefkes, dessen Institut auch die Zukunft im Schienenverkehr plant. Neue Technologien ermöglichen da intelligente Lösungen. So können durch den Datenaustausch zwischen den Loks verschiedene Züge streckenweise virtuell gekoppelt in Karawane fahren, um Zeit zu sparen und die Einfahrt in die Bahnhöfe besser zu takten. Die Züge der Zukunft werden noch häufiger elektrisch fahren, als sie es ohnehin schon tun – rund 60 Prozent des Deutschen Schienennetzes sind per Oberleitung oder Induktion elektrifiziert. Und wo dies nicht möglich ist, sollen Wasserstoff- oder batterieelektrische Antriebe zum Einsatz kommen, um die CO2-Emissionen auf Null zu drücken.
Doch es gibt noch andere Hebel: Eine neue Generation von Zügen soll doppelstöckig und in Aluminiumleichtbauweise auf Fernstrecken bis zu 400 km/h schnell unterwegs sein. Dabei wird jedes Rad einzeln angetrieben, so dass regeneratives Bremsen möglich wird, um Energie zu sparen. Die Bahnhöfe sollen umgestaltet werden, damit mehr Fahrgäste schneller ein- und aussteigen können – etwa indem auf beiden Seiten des Zuges Gehsteige liegen, so dass auf der einen Seite ein- und auf der anderen ausgestiegen werden kann. Das geschieht auf beiden Stockwerken des Zuges, der Bahnsteig hat also zwei Ebenen. So verringern sich Haltezeiten und Verspätungen.
Die Bedürfnisse für die Zukunft münden in einem neuen Zugmodell, das im DLR entwickelt wird: dem Next Generation Train (NGT). Er soll in drei Varianten Hochgeschwindigkeits- und Intercity-Triebzüge ersetzen: Der Fernverkehrszug NGT High Speed Train (HST) ist auf Geschwindigkeiten bis 400 km/h ausgelegt und bringt Fahrgäste von Großstadt zur Großstadt. Der NGT LINK ist ein Zubringer-Triebzug und auf maximal 230 km/h ausgelegt. Und der NGT CARGO transportiert Güter viel leiser als man das bisher von Güterzügen gewohnt ist. Seine Waggons können mit verminderter Leistung allein und autonom fahren, aber auch an die Triebzüge von HST und LINK gekoppelt werden. Alle Zugvarianten und Bahnhöfe sind dabei so aufeinander abgestimmt, dass extrem kurze Haltezeiten erreicht werden. Die HST-Züge benötigen nur zwei Drittel der Energie eines ICE. Und das bei geringeren Gesamtkosten, da sie erheblich weniger Verschleiß an Rädern und Schienen verursachen. Für einzelne NGT-Technologien gibt es ebenfalls bereits Gespräche mit der Industrie, um sie in Serie umzusetzen. „Die ersten werden spätestens mit der nächsten ICE-Generation auf der Schiene unterwegs sein“, sagt Siefkes.
Deutlich langsamer gefahren wird – auch in Zukunft – im Schiffsverkehr. Dort ist autonomes Steuern daher in vielen Anwendungen schon weiter, der Verkehr ist planbarer und übersichtlicher als auf der Straße. Es gibt bereits erste Fähren, die ohne Steuermann fahren. „Gerade Fähren sind dafür prädestiniert, weil sie immer die gleiche Strecke nehmen“, sagt Axel Hahn, der beim DLR das Institut für Systems Engineering für zukünftige Mobilität leitet. Auch Nutzschiffe im Hafenbereich sind sehr gut autonom denkbar, weil sie dann 24 Stunden am Tag ihren immer gleichen Betrieb aufrechterhalten könnten. Das DLR entwickelt zum Beispiel gemeinsam mit dem Hafenbetreiber Niedersachsen Ports ein Baggerschiff für den Emdener Hafen, das diesen permanent befahrbar hält.
Bei sehr großen Schiffen jedoch, die lange Strecken auf den Weltmeeren unterwegs sind, hält Hahn den autonomen Betrieb für unwahrscheinlich. Die Personalkosten für Kapitän und Mannschaft machen nur einen winzigen Bruchteil aus, die Entwicklung autonomer Systeme würde sich kaum lohnen. Stattdessen werde es immer mehr Assistenzsysteme für die Sicherheit geben. Das DLR hat mit Niedersachsen Ports etwa das System „SmartKai“ entwickelt. Es vermisst ein sich näherndes Schiff und die Abstände genau und meldet diese Daten in Echtzeit der Brücke. Also Einparksensoren für Schiffe.
Die zentrale Herausforderung besteht jedoch darin, die Schifffahrt emissionsfrei zu gestalten. Das ist aus mehreren Gründen schwierig. Kleine Boote und Fähren auf kurzen Strecken lassen sich zwar gut mit Batterien oder herkömmlichen Brennstoffzellen antreiben. Doch sie machen nur einen Bruchteil der Personen- und Frachtkilometer auf den Weltmeeren aus. Große Schiffe bis hin zu Container- und Kreuzfahrtriesen bilden den Löwenanteil. Sie brauchen jedoch Unmengen an Energie in großer Dichte.
Rein akkubetriebene Elektromotoren ohne Dieselgenerator könnten das nicht leisten. Mit Wasserstoff als Energiequelle ginge es, dieser erfordert aber viel größere Lagerkapazitäten: Selbst in seiner komprimierten, flüssigen Form hat er noch das rund 10-fache Volumen der entsprechenden Menge Schiffsdiesel. Diese flüssige Form behält er zudem nur, wenn er bei minus 253 Grad gelagert wird. Die Tanks müssen also extrem gut isoliert sein. „Es ist noch unklar, wie man solche Tanks in der notwendigen Größe in den Schiffsrumpf integrieren soll“, sagt Sören Ehlers, Direktor am DLR-Institut für Maritime Energiesysteme. Hinzu komme, dass es im Schiffbau quasi keine Serienproduktion gibt: Fast alle Schiffe sind Unikate und in ihrer Rumpfform, den Propellern und anderen Eigenschaften individuell angepasst an ihre Einsatzgebiete. Auch die Energiesysteme müssen daher flexibel sein.
Ein großes Problem liegt zudem in der Lebensdauer: „Die Antriebssysteme von Schiffen sollen mindestens 25 Jahre halten“, sagt Ehlers. Denn einmal eingebaut können sie nicht mehr ausgebaut, sondern nur noch gewartet werden. Sie liegen in der Regel tief unten im Rumpf unter all den anderen Decks.“ Aus diesem Grunde seien Reedereien sehr zurückhaltend damit, neue Antriebe auszuprobieren. Zumal die salzige Seeluft etwa Brennstoffzellen enorm zusetzt. Bisherige Konzepte müssen daher nicht nur in der Größe, sondern auch in der Widerstandsfähigkeit an einen Einsatz auf See angepasst werden.
Um das Zögern des Marktes zu überwinden, will das DLR ein eigenes Versuchsschiff in Betrieb nehmen, das den emissionsfreien Betrieb mit verschiedenen Energiesystemen erprobt. „Es ist eine Art schwimmendes Labor mit experimentellen Maschinenräumen, in denen wir die unterschiedlichen Optionen unter Realbedingungen testen“, sagt Ehlers. Auch konventionelle Dieselmotoren mit sogenannten Drop-in-Fuels. Das sind aus Ammoniak, Methanol oder Wasserstoff künstlich hergestellte Kraftstoffe, die den Diesel eins zu eins ersetzen könnten oder ihm zumindest beigemischt werden, um die Emissionen zu senken.
Forschungsschiff Uthörn: Weltweit erstes nahezu klimaneutrales Seeschiff
Auch das Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar-und Meeresforschung setzt Maßstäbe für den Umweltschutz bei seiner eigenen Forschungsflotte. 2022 nahmen die Forscher:innen aus Bremerhaven ein Schiff in Betrieb, dass mit grünem Methanol fährt und damit nahezu CO2-neutral auf der Nordsee unterwegs ist.
Solche künstlichen Kraftstoffe sind auch im Flugverkehr der Zukunft ein Riesenthema. Dort nennt man sie Sustainable Aviation Fuels (SAF), und sie könnten das Kerosin ersetzen. „Die Flugzeuge bleiben wie sie sind und fliegen klimaneutral, sofern die Rohstoffe des SAF aus grünen Quellen stammen oder zuvor der Luft entnommen wurden“, sagt Björn Nagel, Gründungsdirektor des DLR-Instituts für Systemarchitekturen. Das wäre zum Beispiel Wasserstoff aus Elektrolyse, die mit Ökostrom betrieben wird, und Kohlenstoff, den man per Direct-Air-Capture-Verfahren aus der Atmosphäre gewinnt. Für den Betrieb mit SAF müsste man nicht viel mehr als ein paar Dichtungen austauschen, was sich aber bei der normalen Wartung erledigen ließe.“
Die Technologien zur Herstellung von SAF gibt es bereits, die Frage ist jedoch, ob diese auch im industriellen Maßstab reibungslos funktionieren und mit den Mengen mithalten können, die bei verbreiteter Verwendung von SAF nötig würden. Alternativ lässt sich SAF auch aus Biomasse herstellen, bei einem Testflug hat das DLR zum Beispiel altes Frittierfett verwendet. Das funktionierte bei Testflügen bestens, im Massenbetrieb wäre davon aber auch auf lange Sicht wohl nicht genügend verfügbar.
Der Vorteil von SAF: Es wäre unmittelbar nutzbar, man müsste nur genügend Produktionskapazitäten schaffen. Der Nachteil: Die Herstellung ist sehr energieintensiv. Den Wasserstoff direkt zu verbrennen, ohne daraus zunächst mit Kohlenstoff SAF zu machen, wäre weniger aufwändig. Der Nachteil hier: Dafür müssen nicht nur die Turbinen in großem Umfang angepasst werden, auch die Flugzeuge müssten anders gestaltet sein. Denn für die notwendige Energiedichte muss der Wasserstoff flüssig sein, was wie beim Wasserstoffbetrieb von Schiffen stark isolierte Tanks erfordert. Und die sind schwer. „Beim Fliegen ist das natürlich besonders lästig“, sagt Nagel. Außerdem stecke der Teufel im Detail: Wo soll man den größeren Tank überhaupt im Flugzeug unterbringen? „Unsere Studien zeigen, dass dies bei Mittelstreckenflugzeugen noch möglich ist, indem man zum Beispiel den Rumpf verlängert und den Tank hinter der Passagierkabine integriert. Aber bei Langstreckenmaschinen funktioniert das nicht. Aufgrund der enormen Energiemengen für Langstreckenflüge entstünde dadurch ein Ungleichgewicht, das für Stabilitätsprobleme sorgt, wenn der Wasserstoff im Flugverlauf weniger wird."
Im Projekt EXACT werden genau solche Probleme erforscht. Wie kombiniert man die neuen Technologie-Bausteine im Flugverkehr, damit ein schlüssiges Konzept daraus wird? „Wir kämpfen da um jedes Prozent Effizienz“, sagt Nagel. „Wobei diese deutlich höher ist, wenn wir den Wasserstoff nicht in einer Turbine direkt verbrennen, sondern in einer Brennstoffzelle in Strom umwandeln und das Flugzeug mit Elektromotoren antreiben. Dies technologisch zu realisieren und das Gewicht solcher Systeme im Rahmen zu halten, ist allerdings eine Herausforderung. Denn für den Flugbetrieb müssen Brennstoffzellen ganz anders gestaltet sein als anderswo. Im Teststand BALIS im süddeutschem Empfingen arbeitet das DLR daran. Und mit Partnern wie der Deutschen Aircraft, MTU, Lufthansa Technik und der DLR-Ausgründung „H2Fly“ testen die Forschenden ihre Erkenntnisse auch in der Realität, indem man Flugzeuge entsprechend umrüstet.
Aktuell sieht es so aus, als würden in Zukunft allenfalls Kleinflugzeuge auf Kurzstrecken rein batterieelektrisch fliegen können. Für größere Flugzeuge auf längeren Strecken reicht die Energie der Akkus nicht aus. Mittelgroße Regionalflugzeuge könnten am effizientesten mit Wasserstoff und Brennstoffzellen angetrieben werden, auf der Kurz- und Mittelstrecke bietet direkt verbrannter Wasserstoff bislang die meisten Vorteile, und die Langstreckenflieger bleiben mit einiger Wahrscheinlichkeit bei dem direkten Kerosinersatz SAF. „Es gibt mehrere vielversprechende Ansätze für das klimaneutrale Fliegen“, sagt Nagel. Die großen Fragen seien, wie kosteneffizient die Technologien verfügbar gemacht und wie schnell die notwendige Infrastruktur geschaffen werden können. Zumal auch neue Technikstandards und Zulassungsverfahren notwendig sind, um deren Entwicklung sich das DLR ebenfalls kümmert. Wasserstoffflugzeuge, darauf arbeiten Forschung und Industrie gemeinsam hin, sollen bis 2035 für den Massentransport verfügbar werden. Bis 2050 will man eine weitgehend klimaneutrale Luftfahrt verwirklichen.
Ideen, Konzepte und Prototypen für eine nachhaltige Mobilität in der Zukunft gibt es also in allen Verkehrssektoren – selbst wenn das Anti-Schwerkraft-Auto noch nicht darunter ist. Damit sie in die Anwendung kommen, muss jedoch auch abseits der Forschung einiges passieren. Es braucht die richtigen politischen Rahmenbedingungen, Akzeptanz bei den Nutzenden und Mut in der Wirtschaft, sagt Karsten Lemmer, Vorstand für Innovation, Transfer und wissenschaftliche Infrastrukturen im DLR. „Jetzt müssen Forschung, Politik und Wirtschaft an einem Strang ziehen, um die vielen Möglichkeiten aus dem Ideenstadium und den Laboren in die Anwendung zu bringen. Nur wenn dieser Transfer gelingt, kommen die notwendigen neuen Konzepte, Produkte und Innovationen zum Einsatz, die wir für die Transformation der Mobilität benötigen.“
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